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Roland Werner
Leiter Gesundheitswirtschaft & Pharma bei PwC Deutschland
Tel.: +49 170 7628-557
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Der Fachkräftemangel im deutschen Gesundheitswesen spitzt sich weiter zu: Im Jahr 2035 können knapp 1,8 Millionen offene Stellen nicht mehr besetzt werden, weil qualifizierte Kräfte fehlen. Das entspricht einem Engpass von 35 Prozent. Bereits heute liegt der Versorgungsengpass bei rund sieben Prozent. Besonders betroffen vom Personalnotstand ist die Alten- und Krankenpflege. Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens müssen sich auf große Herausforderungen in ihrem Personalmanagement einstellen. Sie können sich nicht allein auf die Rekrutierung neuer Kräfte konzentrieren, sondern müssen auch in die Mitarbeiterbindung investieren, denn die Wechselbereitschaft im Gesundheitswesen ist hoch: Unter Pflegekräften mit leitender Tätigkeit und Ärzt:innen kann sich nur knapp jede:r Dritte vorstellen, den Beruf bis zur Rente auszuüben. Was sind die Ursachen des Fachkräftemangels in der Pflege und im Gesundheitswesen allgemein? Wie kann gegengesteuert werden?
Eine wesentliche Ursache für den Fachkräftemangel in der Pflege sind – neben dem demografischen Wandel – die Arbeitsbedingungen in der Pflege. So beklagen 72 Prozent der Ärzt:innen und Pflegekräfte in leitender Funktion die körperliche Belastung, die mit dem Beruf einhergeht, gefolgt von der psychischen Belastung mit 59 Prozent. Potenzielle Pflegefachkräfte wie 18- bis 29-Jährige mit Schulabschluss in den vergangenen drei Jahren, Arbeitslose und Wechselwillige fürchten vor allem die psychische Belastung, wie 63 Prozent angeben. Erst an zweiter Stelle sehen sie mit 57 Prozent die körperliche Anstrengung im Pflegeberuf.
Insgesamt ist das Bild von Pflege bedenklich negativ geprägt, gerade erfahrenen Kräften scheint im Laufe der Zeit der berufliche Idealismus verloren zu gehen: Dass man in Gesundheitsberufen Menschen helfen kann, bestätigen nur 28 Prozent.
Zu besseren Arbeitsbedingungen gehört eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung der Leistung von Pflegenden. Mehr Wertschätzung fordern auch 50 Prozent der Ärzt:innen und leitenden Beschäftigten im Pflegebereich ebenso wie 56 Prozent der potenziellen Nachwuchskräfte. Die Covid-19-Pandemie hat die Systemrelevanz der Pflege zwar in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Doch nach Einschätzung der erfahrenen Kräfte wird dieser Effekt eher kurzfristiger Natur sein, nehmen 41 Prozent der Befragten an. Der Mehrheit aus dieser Gruppe war mit 90 Prozent auch vor Ausbruch der Pandemie bewusst, wie systemrelevant Pflege ist.
Ein wichtiges Signal für mehr Wertschätzung wäre ein angemessenes Gehalt. Damit ließe sich insbesondere die Gruppe derer für die Pflege anwerben, die als „stille Reserve“ gilt: Wechselwillige mit Interesse an der Pflege, Arbeitslose und Absolvent:innen mit Schulabschluss in den vergangenen drei Jahren. Fragt man diese Gruppe, welche Bedingungen sich verbessern müssten, damit sie bis zur Rente in der Pflege bleiben, nennen 68 Prozent die Bezahlung. An zweiter Stelle stehen bessere Arbeitszeiten (49 Prozent), an dritter Stelle eine bessere personelle Ausstattung (47 Prozent). Um diese Zielgruppe zu gewinnen, müssten Unternehmen also mit Gehaltsanreizen arbeiten. Diese sind auch für erfahrene Kräfte wichtig, werden aber nur von 41 Prozent genannt.
Ein Interview mit Michael Burkhart und Sevilay Huesman-Koecke. Der Fachkräftemangel hat sich zur größten Bedrohung für das deutsche Gesundheitssystem entwickelt. Wie ernst ist die Lage wirklich? Wie beurteilen (potenzielle) Gesundheitsfachkräfte die Situation? Und wie können Gesundheitswesen und Politik gegensteuern?
Wie könnte die hohe körperliche und psychische Belastung in der Pflege verringert werden? Dabei spielen digitale Technologien eine wesentliche Rolle. Sie bieten das Potenzial, Pflegekräfte zu entlasten und gleichzeitig die Autonomie von kranken oder pflegebedürftigen Menschen zu stärken. Dieses Potenzial sehen die Studienteilnehmer:innen durchaus. Insbesondere die Gruppe der 18- bis 29-jährigen Absolventinnen, Wechselwilligen und Arbeitslosen ist aufgeschlossen gegenüber der digitalen Transformation.
So bestätigen 62 Prozent, dass intelligente Technologien das Personal entlasten, und ebenso viele begrüßen die Chance zur besseren Beobachtung von Gesundheitsdaten. Im Arbeitsalltag kann sich das durch einen Zeitgewinn für Patient:innen bemerkbar machen, wie 59 Prozent angeben.
Die Gruppe der erfahrenen Kräfte sieht das Potenzial der digitalen Transformation ebenso, ist in ihrer Einschätzung aber etwas verhaltener.
Wie kann die Gesundheits- und Pflegepolitik so gestaltet werden, dass sich wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf begeistern? Welchen Beitrag können dazu Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens leisten?
Beim Recruiting spielt die persönliche Ansprache eine wesentliche Rolle, wie die Studie zeigt. Daher ist es sinnvoll, Mitarbeitende zu Botschaftern für den Pflegeberuf zu machen.
Dazu zählt in erster Linie, das Gehalt zu erhöhen. Ebenso ist es wichtig, die körperliche und psychische Belastung abzubauen – insbesondere durch eine gute personelle Ausstattung, die dafür sorgt, dass die Belegschaft weniger unter Druck steht und die Arbeit sich auf mehr Schultern verteilt.
Die digitale Transformation trägt dazu bei, das Personal zu entlasten und die Versorgung zu verbessern. Das gelingt aber nur, wenn intelligente Technologien wirklich einen Mehrwert im Pflegealltag erbringen und nicht allein zur Administration eingesetzt werden.
Wie die Studie zeigt, ist sowohl den erfahrenen als auch den potenziellen Kräften die Möglichkeit zur Weiterentwicklung wichtig, wie etwa jede:r Zweite bestätigt. Daher ist es für Unternehmen der Gesundheitswirtschaft entscheidend, in Fort- und Weiterbildung zu investieren.
Neue Perspektiven ergeben sich auch dann, wenn über eine neue Aufgabenverteilung nachgedacht wird und Pflegende mehr Kompetenzen bekommen.
„Wir werden dem Fachkräftemangel nicht mehr durch einzelne Maßnahmen begegnen können, sondern brauchen eine grundlegend neue Pflege- und Gesundheitspolitik. Dazu gehört vor allem die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege: durch eine höhere Bezahlung, mehr Anerkennung und eine angemessene personelle Ausstattung.“
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie basieren auf den folgenden Daten:
Befragung Absolventen und leitenden Angestellten im Auftrag von PwC Deutschland durch Civey:
Studiendaten von Wifor:
Die vorliegende Studie basiert auf einem makroökonomischen Arbeitsmarktmodell des WifOR Institutes. Die mit diesem Modell berechnete Angebotsentwicklung basiert auf den Arbeitsmarktdaten der Bundesagentur für Arbeit und des statistischen Bundesamtes zur quantitativen Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.
Roland M. Werner
Partner, Leiter Gesundheitswirtschaft & Pharma, PwC Germany
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