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Dr. Florian Kaufmann
Partner bei PwC Deutschland und Leiter des PwC-Hochschulteams
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Die Coronavirus-Pandemie hat auch der Digitalisierung an Hochschulen (zwangsweise) neuen Schwung verliehen. Die PwC-Studie „Die Digitalisierung an den Universitäten steuern“ analysiert die Governance-Modelle der 31 größten deutschen Universitäten mit mehr als 25.000 Studierenden im Hinblick auf die Organisation der Digitalisierung. Dabei wurden unterschiedliche Entwicklungsstände und Herausforderungen in der Lehre, Forschung und Verwaltung festgestellt. Eines der Kernergebnisse lautet: Bislang fehlt den Leitungen vor allem ein universitätsweiter- oder gar hochschulübergreifender Plan, um den digitalen Wandel qualitativ hochwertig umzusetzen.
„Die Digitalisierung von Lehre, Forschung und Verwaltung wird immer wichtiger. Die besondere Herausforderung liegt darin, dass die großen Universitäten aus riesigen Konglomeraten mit unterschiedlichsten Teilbetrieben und Verwaltungskulturen bestehen.“
Mit Blick auf die Lehre haben praktisch alle Hochschulen (94,4 Prozent) Vorlesungsaufzeichnungen und soziale Medien – zumindest in geringem Maße – genutzt. Zum mit 93,5 Prozent ebenfalls stark genutzten mobilen Lernen gehören beispielsweise digitale Videokonferenzen, die eigentlich in speziell entwickelten Learning-Management-Systemen (LMS) stattfinden sollten. Aus technischen Gründen mussten die Hochschulen für Konferenzen oft aber auf kommerziellen Anbietern zurückgreifen. Insgesamt waren die digitalen Lehr-Lern-Formate selten didaktisch optimiert.
In der universitären Forschung steht die Digitalisierung dagegen noch am Anfang. Forschungsinformationssysteme sind zwar an einem Drittel (30,6 Prozent) der untersuchten Hochschulen implementiert, jedoch nur bei 7,1 Prozent vollständig. Managementsysteme für Forschungsdaten nutzt fast jede fünfte der Hochschulen (18,2 Prozent), aber auch diese meist nur teilweise (15,2 Prozent). Ähnlich sehen die Zahlen bei virtuellen Forschungsumgebungen aus: Fast jede fünfte Universität verwendet sie (18,8 Prozent), jedoch immer nur teilweise. Anders als in der Lehre dürfte die Pandemie in der Forschung der Studie zufolge keinen großen Digitalisierungsschub erzeugt haben. In der Forschung stand, ebenso wie in Lehre und Verwaltung für viele Hochschulen an erster Stelle die Frage, mit welchen Tools sie sicher kommunizieren und produktiv zusammenarbeiten können. Dafür mussten sie zunächst eine grundlegende IT-Infrastruktur für die Arbeit im Homeoffice schaffen.
Die Hochschulverwaltungen machen derzeit ihre ersten Schritte auf dem Weg zur umfassenden Digitalisierung. So drucken die Mitarbeitenden beispielsweise online ausgefüllte Formulare oft noch aus, obwohl komplett digitale Prozesse Vieles vereinfachen könnten. Am weitesten vorangeschritten ist die Digitalisierung in Studierendenangelegenheiten: Prüfungs- und Notenbescheide erhalten sie an rund zwei Drittel der untersuchten Hochschulen (66,3 Prozent) digital, die Bewerbungsverfahren für Studienplätze laufen an immerhin 55,8 Prozent der Universitäten komplett digital und die Immatrikulation an 41,9 Prozent der Hochschulen. Mitarbeitende können an etwas mehr als einem Drittel (36,4 Prozent) der Hochschulen Urlaube digital bearbeiten. In allen anderen untersuchten Bereichen hat maximal ein Fünftel der Hochschulen die Digitalisierung konsequent umgesetzt.
Wie ein zeitgemäßes digitales Hochschulkonzept aussehen kann, zeigt das Gründungskonzept der Technischen Universität Nürnberg (TUN), das der Wissenschaftsrat im Januar 2020 genehmigt hat. An der geplanten Hochschule sollen Studierende in einer Kombination aus Vorlesungen, E-Learning und Blended Learning lernen. Dank der digitalen Lehr- und Lernmethoden können Lehrende besser auf die individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten und Lerngeschwindigkeiten der Studierenden eingehen. Auch Forschungs- und Verwaltungsaufgaben werden durchgängig digital unterstützt, um eine bestmögliche Qualität zu erreichen. Von so einer holistischen Vision der Digitalisierung sind jedoch die großen deutschen Universitäten noch weit entfernt, wie die Studie zeigt.
„Die benötigten IT-Ressourcen sind selbst hochschulintern weit verteilt und knapp. Die Universitäten werden künftige Technologien, etwa künstliche Intelligenz und Big Data Analytics, nur hochschulübergreifend effizient nutzen können.“
Von den untersuchten Hochschulen hat etwas mehr als die Hälfte (17 von 31) eine Person zur oder zum Digitalisierungsbeauftragten benannt, wobei deren Zuständigkeiten und Befugnisse stark variieren. Andere bilden Ausschüsse aus Mitgliedern der Leitungen oder Stabstellen.
PwC hat in der Studie verschiedene Governance-Modelle einzelner Universitäten exemplarisch vertieft betrachtet: die Technische Universität München, die Freie Universität Berlin, das KIT, die Universität Leipzig sowie die RWTH Aachen. Dabei zeigten sich ferner starke Unterschiede in der Zuweisung einer Richtlinienkompetenz für den/ die CIO für der Formulierung der Digitalisierungsstrategie sowie der Unterstützung des/ der für die Digitalisierung Verantwortlichen durch operative Ressourcen. Eine wichtige Rolle spielt auch das Verhältnis der IT-Dienstleistenden an den Universitäten (Rechenzentrum, Universitätsbibliothek und bspw. E-Learning-Einrichtungen) untereinander sowie mit der Ebene der Universitätsleitungen.
Zusammenfassend wird festgestellt, dass sich entgegen dem gewerblichen Vorbild im Bereich der Universitäten noch kein allgemeines Best Practice gefunden hat und die großen deutschen Universitäten die Weiterentwicklung der digitalen Governance weiterhin oben auf der Agenda haben (müssen).
„Bei aller Fokussierung auf die Digitalisierung darf nicht übersehen werden, dass die öffentlichen Hochschulen grundsätzlich auf allen Ebenen einen von Vertrauen und Überzeugungskraft geprägten Führungsansatz benötigen.“
Der Studie zufolge fehlt vielen Universitäten vor allem ein Plan, der alle Einzelvorhaben zeitlich und inhaltlich verknüpft und systematisch darlegt, wie sich jeder einzelne Prozess oder Service digitalisieren lässt, um eine definierte digitale Vision zu erreichen. Insbesondere „nach Corona“ wird es darauf ankommen, den Ist-Stand der Digitalisierung ehrlich einzuschätzen, kritische Meilensteine zu definieren und die Entwicklung der Digitalisierung vom Krisenmodus wieder auf einen zielgerichteten Weg entlang strategischer Ziele zu überführen.
Im Rahmen der Studie wurde ein systemimmanentes Ressourcenproblem als Stolperstein für die universitäre Digitalisierung identifiziert. Neben der zentralen Steuerung aller IT-Ressourcen durch eine CIO-Stelle könnten die Universitäten das (IT-)Ressourcenproblem mildern, indem sie Synergien aus der hochschulübergreifenden Zusammenarbeit stärker nutzen. Für eine zentrale Steuerung der IT-Ressourcen müssen die Rollen, die einzelne IT-Dienstleistende einnehmen, genau definiert sein (z.B.: Treiber der Digitalisierung oder reiner Service-Provider?) und die Mitarbeitenden befähigt werden, die komplexen Digitalisierungsprozesse an Universitäten methodisch und persönlich-fachlich navigieren zu können. Verstärkte hochschulübergreifende Zusammenarbeit wird ein essenzieller Faktor darin sein, dass deutsche Universitäten im internationalen Wettbewerb nicht abgehängt werden und sich auf die in den kommenden Jahren zunehmenden Chancen und Risiken künstlicher Intelligenz einstellen können.
Die Hochschulleitungen sollten ihren Digitalisierungsfortschritt ehrlich bewerten, eine digitale Vision entwickeln und diese rasch in einem festgelegten Zeitrahmen umsetzen.
Bei der Studie handelt es sich um ein Zwischenergebnis, das auf einem repräsentativen Vergleich der Organigramme zur Zuständigkeit für IT- und Digitalisierungsstrategien in Hochschulleitungen sowie 20 explorativen Interviews basiert. Diese wurden bisher u.a. mit der Technischen Universität München, der Freien Universität Berlin, der Technischen Universität Darmstadt, der Universität Leipzig, der Universität Stuttgart und der Justus-Liebig-Universität Gießen geführt, weitere Hintergrundgespräche sind geplant. Zudem soll eine Folgestudie Best-Practice-Lösungen für einen möglichst effektiven und effizienten digitalen Wandel finden.