Die Corona-Pandemie hat für einen kräftigen Digitalisierungsschub im deutschen Versicherungsvertrieb gesorgt. Durch die zügige Einführung von digitalen Kanälen und Kontaktmöglichkeiten schließen die traditionellen Versicherer immer stärker zu den Direktversicherern auf – während es den Endkund:innen immer schwerer fällt, zwischen den einzelnen Marktteilnehmern zu differenzieren. Demnach stehen Direktversicherer infolge der Pandemie langfristig vor der Herausforderung, sich über die Kostenthematik hinaus wieder erkennbarer in der Wahrnehmung der Kunden von traditionellen Häusern und neuen Digitalversicherern abzugrenzen.
Wie die gemeinsam mit den Versicherungsforen Leipzig erstellte Analyse von PwC Deutschland zu aktuellen Entwicklungen und Chancen des Direktvertriebs in Deutschland ergab, sollten Direktversicherer ihr digitales Kundenerlebnis weiter verbessern sowie Prozesse für ihre Kunden schlüssiger und einfacher gestalten, um am Markt sichtbar zu bleiben und sich nachhaltig erfolgreich zu positionieren.
Die Analyse zum Direktvertrieb ist der letzte Teil der Gesamtstudie „Versicherungsvertrieb in Zeiten der Pandemie – Eisberg oder Rückenwind?“, in der die Entwicklungen und Perspektiven der fünf wesentlichen Versicherungsvertriebswege in Deutschland infolge der Pandemie beleuchtet werden. Die Ergebnisse der Endkund:innenbefragung wurden jeweils um qualitative Experteninterviews ergänzt.
Wir möchten Sie hier regelmäßig über interessante Erkenntnisse aus den Einzelanalysen über den Banken-, Ausschließlichkeits-, Direkt-, Struktur- und Maklervertrieb der Studie informieren und freuen uns, Ihnen nachfolgend aktuelle Handlungsfelder für den Direktvertrieb präsentieren zu können.
Infolge der Corona-Krise ist die Akzeptanz der Kund:innen für Online-Vertriebskanäle deutlich gestiegen. Unsere Studie ergab, dass fast genauso viele Verbraucher:innen (36,1 Prozent) gerne direkt auf der Webseite des Versicherers ihre Policen abschließen würden wie beim Versicherungsvermittler ihres Vertrauens (39,5 Prozent). Weitere knapp 30 Prozent würden dies über das Servicecenter des Versicherers via Telefon, E-Mail oder Chat tun.
Dennoch werden neue Policen in Deutschland nach wie vor hauptsächlich über Vermittler abgeschlossen. Das kann daran liegen, dass viele Häuser die Möglichkeit eines Online-Abschlusses noch nicht bieten oder Kund:innen die Abschlussstrecke noch als zu kompliziert empfinden und einen Vermittler einschalten.
Im europäischen Vergleich nimmt der Direktvertrieb in Deutschland nach wie vor einen geringen Anteil am Neugeschäft ein und hält sich seit mehreren Jahren auf einem konstanten Niveau: Aktuell beträgt der Anteil des Direktvertriebs hierzulande 3,3 Prozent (Leben) bis 13,9 Prozent (Schaden/Unfall inkl. Kfz.). Verglichen dazu liegt er in Polen bei 37 Prozent und Finnland bei knapp 55 Prozent in den Sparten Schaden/Unfall.
Im Gegensatz zu traditionellen Versicherern verfügten Direktversicherer bereits vor der Pandemie über digitale Kanäle und Kontaktmöglichkeiten zu ihren Kunden. Während der Pandemie haben die traditionellen Häuser aber zügig nachgezogen und neue digitale Kontaktmöglichkeiten wie Videoberatungen eingeführt.
Beschleunigt durch die Corona-Krise löst sich die Abgrenzung zwischen traditionellen Häusern und Direktversicherern nun zunehmend auf. Damit stehen die Direktversicherer vor der strategischen Frage, wie sie ihre Position langfristig im Wettbewerb zu anderen Marktteilnehmern stärken wollen.
„Direktversicherer sollten zügig neue, digitale Servicekanäle und -angebote an den Start bringen oder alte wiederaufleben lassen, die aufgrund einer zu geringen Nutzung vom Markt genommen wurden.“
Um das Kundenerlebnis zu verbessern und den Direktvertrieb einfacher und produktiver zu gestalten, sollten Anliegen, bei denen Kund:innen keine persönliche Interaktion benötigen, komplett digital abgewickelt werden können. Kund:innen sollten einfach und zügig eine Police abschließen, Zusatzleistungen und Self-Service-Möglichkeiten nutzen können.
Bei komplexeren, erklärungsbedürftigen Produkten sollten Direktversicherer ihren Kund:innen die Möglichkeit bieten, Fragen per Telefon oder Chat zu klären. Dies bietet die Chance, auch Produkte wie Biometrie-Lösungen zu vertreiben, die auf eine gewisse Vertrauensbasis erfordern.
Ein wesentlicher Stellhebel, um sich merklich für die Verbraucher:innen von den Wettbewerbern abzuheben, können zusätzliche (digitale) Services sein. Diese dürfen auch branchenfremd sein und bestehende Angebote oder Services ergänzen, wie ein Karriere-Coaching im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung. Embedded Insurance, wo passgenaue Lösungen unmittelbar beim Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung angeboten werden, bietet der Branche ebenfalls neue Chancen.
„Wenn die Grenzen zwischen Direkt- und Multikanalversicherern weiter verschwimmen, dürfte die Konsolidierung innerhalb der Branche fortschreiten. Versicherungskund:innen erwarten moderne, digitale Interaktionsmöglichkeiten und Self-Services – auch von traditionellen Versicherern.“
Die Gesamtanalyse des Versicherungsvertriebs in Deutschland erfolgte in fünf Stufen: Zunächst wurden in einer umfassenden Recherche Erkenntnisse zu aktuellen Trends, Themen und Kundenanforderungen zusammengetragen. Anschließend führten wir eine Online-Umfrage unter 1.000 Endkund:innen durch und erhoben deren Erwartungen an sowie deren Erfahrungen mit dem Vertriebsprozess. Ein Schwerpunkt lag dabei auf Veränderungen, die sich aufgrund der Pandemie in der Interaktion mit Versicherern ergeben haben.
Die Teilergebnisse haben wir dann in einer weiteren Online-Umfrage den Einschätzungen von Vertriebsexperten aus Versicherungsunternehmen gegenübergestellt. In einem vierten Schritt diskutierten wir zentrale Themen und Fragestellungen in leitfadengestützten Tiefeninterviews noch einmal detailliert mit Vorständ:innen und leitenden Vertriebsexpert:innen aus Versicherungsunternehmen.
Diese Erkenntnisse werden nun schrittweise für die verschiedenen Vertriebswege aufbereitet, Handlungsfelder formuliert und aufeinander aufbauend veröffentlicht.