Effektiver Schutz gegen Wirtschaftskriminalität

Interview: „Unabhängige Aufklärung, konsequentes Handeln und Integrität als Leitsatz stärken die innere Unternehmensresilienz“

  • Interview
  • 6 Minuten Lesezeit
  • 26 Mrz 2025

Im Interview spricht Anita Kim-Reinartz, Leiterin Forensik bei PwC Deutschland, über die komplexen Risiken, denen Unternehmen heute gegenüberstehen. Besonders hervorzuheben sind die geopolitischen Einflüsse aus den USA und die Auswirkungen des technologischen Fortschritts. Unternehmen müssen sich sowohl auf regulatorische Änderungen als auch auf innovative Angriffsstrategien im Wettbewerb einstellen.

Anita Kim-Reinartz ist Leiterin „Forensic Services“ bei PwC Deutschland. Sie verfügt über langjährige Berufserfahrung im Bereich Forensik und ist eine anerkannte Expertin für Betrugserkennung, Betrugsprävention und Investigation. Sie hat vielfache Projekte für nationale und multinationale Unternehmen aus verschiedenen Branchen geleitet – eines ihrer Spezialgebiete ist dabei der Einsatz von Forensic Technology zur Aufdeckung und Prävention von Wirtschaftskriminalität.

Frau Kim-Reinartz, wie beeinflussen geopolitische Unsicherheiten und der technologische Fortschritt die ethischen Standards von Unternehmen und fördern Fälle von Unterschlagung, Bestechung oder Korruption?

Anita Kim-Reinartz: Unternehmen stehen aktuell vor großen Herausforderungen durch geo- und wirtschaftspolitische Unsicherheiten und den raschen technologischen Fortschritt. Ein Beispiel ist die kürzlich in den USA unterzeichnete Executive Order, die zur temporären Aussetzung von Maßnahmen gegen Bestechung und Korruption ausländischer Amtsträger führt. Solche wirtschaftspolitischen Handlungen erhöhen die Unsicherheit der Wirtschaftsakteure erheblich. Dies führt dazu, dass die Unternehmensresilienz und das Verständnis für Integrität nachlassen. Zudem erhöht der technologische Fortschritt den Druck, im Wettbewerb zu bestehen. Dieser Fortschritt bringt dann auch fragwürdige Angriffe und unethische Methoden mit sich, was die Stabilität von Unternehmen weiter in ein teilweise schwer greifbares Risiko bringt.

Wie können Unternehmen sich vor solchen Risiken schützen bzw. wie sollten sie mit kritischen Situationen umgehen?

Kim-Reinartz: Ein Unternehmen kann sich vor Risiken schützen, indem es eine starke Integrität und Transparenz fördert. Dies beinhaltet die Implementierung eines stabilen Compliance-Programms, das regelmäßig überprüft und aktualisiert wird, um den aktuellen gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden.

In kritischen Situationen sind die sachgerechte forensische Aufklärung und der konsequente Umgang mit Verstößen entscheidend.

Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Mitarbeitenden gut geschult sind und dass es klare Kommunikationswege gibt, um Missstände frühzeitig zu erkennen und anzugehen. Durch eine offene und transparente Kommunikation wird das Vertrauen der Mitarbeitenden und Stakeholder gestärkt, was wiederum die Resilienz des Unternehmens erhöht.

Wie kann Forensik dabei helfen, komplexe Gefahren zu reduzieren?

Kim-Reinartz: Risiken sind heute klassischerweise eng miteinander verbunden und verlangen daher nach einem umfassenden Ansatz. Aus diesem Grund befürworten wir, sie nicht isoliert zu betrachten, sondern als Ganzes und in ihrer gesamten Komplexität. Unser Ansatz stützt sich daher auf drei zentrale Schritte: See Risk, Take Risk und Manage Risk. 

Insbesondere für den letzten Schritt „Manage Risk“ ist der Einsatz technischer Mittel sowohl für die Aufklärung als auch in der Prävention aus unserer Sicht von hoher Relevanz.

Moderne Mittel der Forensik schaffen eine gewisse Chancengleichheit, denn Expert:innen setzen genauso auf technologisch fortschrittliche Mittel wie potenzielle Bedrohungsakteure. Dazu gehören etwa KI-Lösungen, die verdächtige Muster in großen Datenmengen erkennen. Das ermöglicht es beispielsweise, verdächtige Transaktionen genauer zu untersuchen.

Sehr wichtig ist auch der konsequente Umgang mit den Ergebnissen von Sachverhaltsaufklärungen, um die interne Infrastruktur und somit die Resilienz des Unternehmens – sowohl prozessual, systemseitig aber auch kulturell – zu stärken.

Ob es tatsächliche Verstöße sind oder beispielsweise Prozesslücken ist dabei nicht ausschlaggebend – aber nur im konsequenten Handeln kann das Präventionskonzept auf einem stabilen Fundament stehen.

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Es braucht also eine möglichst ganzheitliche Perspektive?

Kim-Reinartz: Genau. Deswegen basiert unsere Herangehensweise auch auf dem Dreiklang aus See Risk, Take Risk und Manage Risk. Dazu gehört eine neue Perspektive, die eine umfassende Betrachtung von Risiken auf allen Unternehmensebenen möglich macht, um Risiken zu steuern oder zu mitigieren. In der Forensik folgen wir dem Prinzip „Prepare, Detect, Respond, Emerge Stronger“: Unternehmen bereiten sich vor, indem sie ihre Prozesse optimieren und ihr Team schulen. Sie identifizieren frühzeitig mögliche Verstöße und können auch effektiv auf Bedrohungen durch den Einsatz fortschrittlicher Technologien reagieren. Schließlich gehen sie gestärkt aus Vorfällen hervor, indem sie kontinuierlich lernen und ihre Sicherheitsstrategien weiterentwickeln. Durch die Kombination dieser Maßnahmen – Prozessoptimierung, gezielte Weiterbildung und ein tiefes Verständnis der (digitalen) Risiken – können Unternehmen robuste Fähigkeiten und Mechanismen aufbauen, um sich effektiv gegen Wirtschaftskriminalität zu schützen.

Welche Veränderungen erwarten Sie in den kommenden Jahren in Ihrem Feld?

Kim-Reinartz: Forensik-Expert:innen werden zunehmend interdisziplinär arbeiten und verstärkt mit Spezialist:innen aus den Bereichen Datenwissenschaft und Cybersecurity kooperieren. Aber auch die stetige Beobachtung und Begleitung der geopolitischen und technischen Entwicklungen wird zunehmend wichtig werden. 

Die Bedeutung von Echtzeit-Überwachung und sofortiger Reaktionsfähigkeit wird wachsen, um Bedrohungen noch schneller zu begegnen.

Zudem wird der Fokus auf präventive Maßnahmen und die proaktive Identifikation von Risiken weiter zunehmen. Hier kommt wieder unser Ansatz mit „See Risk“ ins Spiel: Risiken in Anbetracht neuer Herausforderungen anders zu betrachten und zu bewerten.

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Anita Kim-Reinartz

Anita Kim-Reinartz

Partnerin, Leiterin Forensic Services, PwC Germany

Tel.: +49 160 94412272