07 Mai, 2019
Das Gesundheitswesen tut sich mit der Digitalisierung schwer, die elektronische Patientenakte kommt nicht vom Fleck. Mit dem Medical Data Space ist im Gesundheitsclub Rhein-Main ein System vorgestellt worden, das es ermöglicht, gesundheitliche Informationen von Patienten gezielt abzurufen, wenn sie gebraucht werden.
Medical Data Space – das Thema klingt sehr speziell!
Michael Burkhart: Wir haben im Gesundheitsclub immer 25 Experten aus allen Bereichen der Gesundheitswirtschaft zu Gast. Diesmal hatten wir den Fall, dass das Thema für die meisten Neuland gewesen ist. Gerade deshalb haben wir das Medical Data Space auf die Agenda gesetzt, weil es neue Horizonte eröffnet. Dieses System stellt einen Weg dar, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzubringen, ohne dass der Datenschutz leidet.
Die Skepsis ist groß, dass im Zuge der Digitalisierung Patientendaten irgendwo zentral angehäuft werden. Was unterscheidet das Medical Data Space von einer gigantischen Datenbank?
Thomas Berlage: Im Medical Data Space werden keine Daten gesammelt. Es stellt vielmehr eine Plattform dar, auf der sich verschiedene Akteure des Gesundheitswesens freiwillig vernetzen und sich bei Bedarf gegenseitig Daten zur Verfügung stellen. Es geht also darum, bestimmte Informationen gezielt auszutauschen.
Habe ich da als Patient ein Wörtchen mitzureden?
Berlage: Patienten sind ein entscheidender Teil dieses Netzwerks. Sie besitzen ein Patientenkonto, über das sie festlegen, wer ihre Daten nutzen und weiterleiten darf. So können Versicherte beispielsweise grundsätzlich erlauben, dass das Krankenhaus mit dem Hausarzt Untersuchungsergebnisse und Laborwerte austauscht. Oder sie können verfügen, dass bestimmte Gesundheitsdaten einem Forschungsunternehmen in anonymisierter Form übermittelt werden. Im Patientenkonto wird dokumentiert, ob und wann bestimmte Informationen geflossen sind. Der Einzelne behält also die Hoheit über seine persönlichen Daten.
Aleksei Resetko: Zudem wird auch dafür gesorgt, dass das Netzwerk aus vertrauenswürdigen Partnern besteht. Jeder mögliche Akteur, egal ob Arzt, Forschungseinrichtung oder Krankenhaus, muss sich zunächst zertifizieren lassen. Im Zuge dessen werden Regeln für den Austausch ebenso definiert wie technische Details. Jeder Netzwerk-Teilnehmer verpflichtet sich, die Vorgaben einzuhalten.
Müssen die einzelnen Akteure bestimmte technische Standards erfüllen?
Berlage: Die Teilnehmer sind über eine Internet-Plattform oder eine App miteinander verbunden. Es spielt also keine Rolle, mit welchem System die einzelnen Einrichtungen ihre Daten verwalten. Das ist ein großer Vorteil angesichts der heterogenen IT-Landschaft, die das Gesundheitssystem aufweist. Im Idealfall können Daten sogar automatisch übermittelt werden, ohne dass Mitarbeiter manuell eingreifen.
Inwieweit sind solche Netzwerke noch Zukunftsmusik?
Burkhart: Die Idee der Data Spaces kommt aus der Industrie. Dort nehmen solche Projekte schon konkrete Formen an. PwC ist Gründungsmitglied der International Data Spaces Association (IDSA), die seit zweieinhalb Jahren zusammen mit Fraunhofer und großen Unternehmen an der Entwicklung arbeitet.
Resetko: Auf der Hannover Messe haben wir in diesem Jahr bereits verschiedene Nutzungsmöglichkeiten vorgestellt. Bisher stehen von den 100 IDSA-Mitgliedern etwa zehn große Unternehmen in den Startlöchern, um mit dem Data Space zu arbeiten. Die Gesundheitswirtschaft ist dort zwar nicht vertreten, aber wir würden gerne Teilnehmer aus diesem Bereich für so ein Projekt gewinnen.
Berlage: Beim Fraunhofer-Institut starten wir Anfang 2020 zusammen mit der Uniklinik Münster ein Modellprojekt mit mindestens 1.000 Glaukom-Patienten und 200 niedergelassenen Augenärzten aus der Region. Es zielt auf die Nachsorge nach einer Operation von Patienten mit Grünem Star. Über eine App sind Patienten, Augenärzte und Klinik miteinander vernetzt und haben so die Informationen, die bei der Betreuung der Patienten wichtig sind, jederzeit zur Hand.
Wer profitiert von einem Medical Data Space am meisten?
Berlage: Dieses Netzwerk dient vor allem dem Wohl der Patienten. Ihre Daten sollen immer da verfügbar sein, wo sie zur Behandlung, Nachsorge, Prävention gebraucht werden, ohne dass sich Erkrankte selbst darum kümmern müssen. Wie ist es denn heute? Nach einem Krankenhausaufenthalt müssen die frisch Entlassenen zuerst einmal zum Hausarzt gehen, um die nötigen Verordnungen und Rezepte zu erhalten. Es gibt viele Situationen, in denen Versicherte Unterlagen anfordern, höchstpersönlich abholen und übermitteln müssen. Das fehlende Zusammenspiel der Akteure im Gesundheitswesen geht oft zu Lasten der Patienten.
Burkhart: Noch konzentriert sich die Gesundheitswirtschaft vor allem darauf, effizienter und kostengünstiger zu arbeiten. Patienten merken genau, dass überall gespart wird: Waren bei unseren Umfragen vor fünf Jahren noch an die 85 Prozent der Versicherten mit dem Gesundheitssystem in Deutschland zufrieden, sind es aktuell nur noch etwa 65 Prozent. Wir müssen Patienten als Kunden wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. Bei den Bundestagswahlen 2021 wird die Gesundheitsversorgung vielleicht noch keine entscheidende Rolle spielen – aber ich bin sicher: Spätestens 2025 wird sie zu den Topthemen gehören.
Aleksei Resetko ist Partner bei PwC im Bereich Cybersecurity & Privacy und hat fast 20 Jahre Berufserfahrung auf den Gebieten Informationssicherheit, Verfügbarkeit und Betrieb von IT- und Telekommunikationsnetzen. Sein Schwerpunkt liegt auf den Themen Cloud-Computing-Sicherheit und -Verfügbarkeit.
Roland M. Werner
Partner, Leiter Gesundheitswirtschaft & Pharma, PwC Germany
Tel.: +49 170 7628-557