Für Pflege im Alter ist private Vorsorge nötig

10 August, 2020

Im Gespräch mit Sevilay Huesman-Koecke, bis 2022 Head of Business Development im Bereich Gesundheitswirtschaft bei PwC, und Michael Burkhart, Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland. Die meisten Menschen wollen im Alter am liebsten zu Hause versorgt werden. Das ist ein zentrales Ergebnis der PwC-Umfrage „Elderly Care“ unter 2000 Bundesbürgern.

Doch dafür ist das Gesundheitssystem langfristig noch nicht gewappnet – weder personell noch finanziell, sagt Michael Burkhart, bis Juli 2023 Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland. Die Digitalisierung kann nach seiner Einschätzung einen wichtigen Beitrag leisten, um die Pflege effizienter zu gestalten.

Herr Burkhart, die Pflegeheim-Plätze werden angesichts des demografischen Wandels immer knapper. Ist die Versorgung zu Hause, wie sich das die meisten wünschen, da eine Lösung?

Michael Burkhart: Theoretisch schon. Doch es stellen sich zwei Fragen: Der Mangel an Fachkräften ist ja nicht auf Pflegeheime beschränkt, sondern zeigt sich schon heute im ambulanten Bereich. Viele Sozialstationen bewegen sich am Rand ihrer Kapazitäten. Und wer zu Hause gepflegt wird, weiß, dass das finanziell ein Zuschussgeschäft ist. Denn die Pflegeversicherung übernimmt längst nicht alle Kosten.

Wo sehen Sie Ansätze, um Abhilfe zu schaffen?

Burkhart: Die Gesundheitswirtschaft ist in diesem Punkt in Bewegung und sucht nach passenden Angeboten. Es gibt Unternehmen, die verschiedene Bereiche der ambulanten Pflege zusammenfassen, um alles aus einer Hand anzubieten – von der Grund- und Behandlungspflege bis zur Hauswirtschaft.

Auch mit digitalen Angeboten wird versucht, pflegende Angehörige zu entlasten: Spezielle Apps helfen ihnen dabei, den Alltag zu organisieren und geben zudem Tipps, wo und wie sie finanzielle Unterstützung beantragen können.

Sevilay Huesman-Koecke: Gerade im Bereich der digitalen "Pflegehelfer" gibt es spannende Innovationen: Für das Wohlbefinden alter Menschen ist es zum Beispiel entscheidend, ob Inkontinenzprodukte bei Bedarf zeitnah gewechselt werden. Es gibt jetzt digitale Sensoren, die direkt an der Wäsche angebracht werden. Pflegekräfte werden dann per Smartphone-App benachrichtigt, wenn ihre Hilfe benötigt wird. Das erspart dem Personal unnötige Kontrollgänge und bewahrt alte Menschen davor, über Stunden unversorgt zu sein. Mit so solchen Assistenzsystemen lassen sich Arbeitsabläufe im Pflegeheim nicht nur optimieren, sondern auch automatisch dokumentieren.

Burkhart: Ein Beispiel aus dem Bereich Robotik ist eine Maschine, die schwer kranke Menschen mobilisiert, indem sie deren Arme, Beine und Gelenke vorsichtig bewegt. So wird der Kreislauf angeregt und das Dekubitus-Risiko gemindert. Dieser Roboter kann Pflegekräfte entlasten und die Physiotherapie sinnvoll ergänzen.

Doch gerade ältere Menschen stehen Apps und Robotern eher reserviert gegenüber – auch das ergab Ihre Umfrage.

Burkhart: In diesem Punkt bin ich sehr optimistisch: Wenn digitale Angebote wirklich zu mehr Lebensqualität und Selbständigkeit im Alter beitragen, werden sie auch genutzt. Der Hausnotruf ist dafür ein gutes Beispiel. Er hat sich inzwischen etabliert.

Apropos Hausnotruf: Wer trägt da die Kosten?

Huesman-Koecke: Der Hausnotruf wird von der Pflegekasse bezuschusst. Den Rest müssen Betroffene aber selbst bezahlen. Das zeigt auch: Bei neuen Dienstleistungen stellt sich regelmäßig die Frage, wie Kosten aufgeteilt werden.

Die gesetzliche Versicherung kann Technologien, die sich als sinnvoll erweisen, in ihren Leistungskatalog aufnehmen, andere Angebote werden dagegen immer eine Selbstzahler-Leistung bleiben.

Was bedeutet das für die private Vorsorge?

Burkhart: Die Versicherungswirtschaft ist gefragt, individuelle Pakete anzubieten, um Situationen im Alter abzusichern, die Betroffene finanziell überfordern würden. Da geht es gerade um die Kosten für die Pflege, die gesetzliche Versicherungen nicht komplett übernehmen. Doch die eigentliche Herausforderung dürfte darin bestehen, bei Versicherten ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer privaten Vorsorge für die Pflege zu schaffen.

Huesman-Koecke: Es fällt Menschen schwer, sich in Bezug auf das eigene Leben konkret vor Augen zu führen, was Altwerden bedeutet. Das verschieben die meisten gerne auf später. Unsere Umfrage belegt das eindrücklich: Nach Vorstellung der unter 30-Jährigen beginnt das hohe Alter mit seinen Beschwernissen etwa mit 72 Jahren. Die über 70-Jährigen meinen, dass es erst mit etwa 83 Jahren so weit ist. Doch unter dem Gesichtspunkt privater Vorsorge liegt das Altwerden für niemanden in ferner Zukunft.

Die PwC-Experten zum Thema

Michael Burkhart

Michael Burkhart war bis Juli 2023 Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland sowie Standortleiter Frankfurt. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung bei PwC. Seine Branchenexpertise umfasst das gesamte Gesundheitswesen – von Krankenhäusern über gesetzliche Krankenkassen, Pflegeheime, Diagnostikunternehmen, Medizinprodukte und Organisationen des öffentlichen Sektors.

Sevilay Huesman-Koecke

Sevilay Huesman-Koecke war bis 2022 International Director und Head of Business Development im Bereich Gesundheitswirtschaft bei PwC. Außerdem ist die Expertin Initiatorin des externen PwCFrauennetzwerkes women&healthcare.

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Roland M. Werner

Roland M. Werner

Partner, Leiter Gesundheitswirtschaft & Pharma, PwC Germany

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