06 Juni, 2019
Krankenhäuser, die zur „Kritischen Infrastruktur“ (KRITIS) zählen, sind laut IT-Sicherheitsgesetz verpflichtet, sich gegen Cyberattacken und Systemausfälle besonders zu schützen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat dazu einen branchenspezifischen Sicherheitsstandard (B3S) für die Gesundheitsversorgung im Krankenhaus vorgelegt.
Er gilt für Kliniken ab einer vollstationären Fallzahl von 30.000 pro Jahr. Doch auch für kleinere Häuser empfehlen sich diese Vorgaben als Leitfaden für mehr Versorgungssicherheit.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) am 2. April 2019 eine erste Version für den „Branchenspezifischen Sicherheitsstandard für die Gesundheitsversorgung im Krankenhaus“ vorgelegt. Damit setzt die DKG das IT-Sicherheitsgesetz aus dem Jahr 2015 um, das allgemeine Anforderungen formuliert und KRITIS-Betreibern und deren Branchenverbänden auferlegt, branchenspezifische Sicherheitsstandards (B3S) zu erarbeiten. Die gesetzgeberische Entwicklung ist damit jedoch längst nicht abgeschlossen, die Regelungen werden sich im Bereich der Cyber-Security weiter verschärfen. Das gilt auch für mögliche Sanktionen: Für das kommende IT-Sicherheitsgesetz 2.0 wird bereits eine drastische Erhöhung der Geldbußen bei Verstößen diskutiert. Sie sollen dann bis zu 20 Millionen Euro betragen oder vier Prozent des weltweiten Unternehmensumsatzes, je nachdem welcher Betrag höher ist.
Krankenhäuser, die als kritische Infrastruktur (KRITIS) gelten, müssen in Zukunft regelmäßig den Nachweis erbringen, dass sie die von der DKG entwickelten branchenspezifischen Anforderungen (B3S) erfüllen. Doch auch kleinere Häuser können sich beim Thema Cyber-Security an diesem Standard orientieren, denn der B3S stellt einen durchdachten Leitfaden für Kliniken aller Größen dar, um die digitalen Nervenstränge ihres Betriebs zu schützen. Der Standard beschreibt umfänglich die Prozesse und Maßnahmen, um eine robuste Informationstechnik zu gewährleisten und damit die medizinische Versorgung und Gesundheit der Patienten sicherzustellen.
Um ein Informationssicherheits-Risikomanagement (ISMS-Risikomanagement) zu etablieren, sieht der B3S für Kliniken, die zur kritischen Infrastruktur zählen, insgesamt 37 Management-Anforderungen vor. Dabei ist die Informationstechnik auch nach der sogenannten Kritikalität zu bewerten, also der Frage, ab welcher Zeitspanne der Ausfall eines Systems die medizinische Leistungserbringung einschränkt.
Für die Gefährdungsanalyse gilt ein Allgefahren-Ansatz, der sich nicht nur auf IT-Parameter beschränkt, sondern sämtliche Faktoren umfasst, die den Klinikbetrieb beeinträchtigen können. Aufgelistet werden 40 verschiedene Bedrohungsszenarien, Schwachstellen und mögliche Gefahren wie beispielsweise Elementarschaden und Stromausfall, aber auch Cyber-Attacken und menschliche Fehler.
Der B3S-Katalog empfiehlt insgesamt 168 Maßnahmen, die in Muss-, Soll- und Kann-Anforderungen untergliedert sind. Damit kann das Regelwerk für Klinikbetreiber als Leitfaden für die Praxis dienen wie auch als Grundlage für Kontrollen.
Auch wenn der B3S-Standard im Zuge des BSI-Gesetzes erstellt wurde, betrifft er nicht nur den Schutz der technischen Infrastruktur. Neben den vier klassischen Schutzzielen des Informationssicherheits-Managements (Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität und Vertraulichkeit) werden auch Patientensicherheit und Behandlungseffektivität als wesentliche Aspekte definiert. Der Standard zielt darauf, die medizinische Versorgung der Patienten zu gewährleisten, wofür die Informationstechnik eine grundlegende Voraussetzung darstellt. Neben technischen Aspekten werden deswegen auch die organisatorische, strukturelle und prozessuale Verantwortung auf Führungsebene genannt.
Der Standard verpflichtet beispielsweise auch die Geschäftsführung persönlich zur Bekanntgabe und Durchsetzung von Zielen der Informationssicherheit und fordert neben dem Datenschutzbeauftragten und der IT-Leitung einen dedizierten Informationssicherheitsbeauftragten (ISB bzw. CISO). Die Geschäftsführung muss notwendige organisatorische, personelle und finanzielle Mittel zur Verfügung stellen sowie die Wirksamkeit des Informationssicherheitsmanagements überprüfen und fortlaufend kontrollieren.
Die fundamentale Bedeutung von digitaler Informationsverarbeitung zeigt sich meist erst während des Ausfalls von Systemen. Damit in diesen Fällen die medizinische Versorgung – und somit das Krankenhaus als kritische Infrastruktur – aufrechterhalten werden kann, empfiehlt der B3S-Standard die Etablierung eines betrieblichen Kontinuitätsmanagement-Systems (Business Continuity Management). Dazu müssen zunächst kritische Systeme, Komponenten oder Prozesse mit hohem Risiko identifiziert werden. Für die Bereiche, deren Ausfall einen hohen Schaden verursacht, müssen Geschäftsfortführungs-, Notfall- und Wiederanlauf-Pläne erstellt werden. Diese Pflicht zur Identifizierung kritischer Leistungen in Verbindung mit der Gefährdungsanalyse im Allgefahren-Ansatz bildet die Grundlagen eines betrieblichen Kontinuitätsmanagements.
Der B3S beschreibt Anforderungen, die aktuell nur Kliniken ab einer Schwelle von 30.000 vollstationären Behandlungsfällen pro Jahr erfüllen müssen. Die Vorgaben dürften die meisten Häuser, die zur kritischen Infrastruktur zählen, vor große Herausforderungen stellen. Doch sie sind weder überzogen, noch unerreichbar und in anderen Branchen schon lange Usus. Schließlich geht es nicht darum, formal einen Standard zu erfüllen, sondern die medizinische Versorgung der Patienten in jedem Fall aufrechtzuerhalten.
Der B3S dürfte eine weitreichende Wirkung entfalten – vor allem im Zuge der steigenden Anforderungen und Sanktionen des geplanten IT-Sicherheitsgesetzes 2.0. Er gibt den Stand der Technik für informations(sicherheits)technische Prozesse so vor, dass er auch Krankenhäusern als Orientierung dienen kann, die nicht als kritische Infrastruktur gelten.
Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität und Vertraulichkeit bilden das strategische Fundament für die Digitalisierung von Versorgungsprozessen. Der B3S bietet deswegen auch die Chance, Mehrwert jenseits der gesetzlichen Pflichten zu entfalten. Ein gute Informationssicherheit kann zum Wettbewerbsvorteil für Klinikbetreiber werden, die Prozesse und Angebote digitalisieren und optimieren. Die Investitionen können sich auch im Hinblick auf zukünftige Digitalisierungsprojekte wie auch die Rechtssicherheit auszahlen.
„Mit dem BS3 kann nicht nur eine gute IT-Sicherheit erreicht werden – er kann auch zum echten Wettbewerbsvorteil für Klinikbetreiber werden.“
Der B3S der Deutschen Krankenhausgesellschaft spiegelt wieder, wie heterogen und verflochten, aber auch wie individuell die Systemlandschaften in den einzelnen Einrichtungen gestalten. Wo in Krankenhäusern IT-Strukturen über Jahrzehnte gewachsen sind, sind die Spezialisten vollkommen damit ausgelastet, das Tagesgeschäft aufrechtzuerhalten. Zwischen dringlichen Anforderungen, personellen und finanziellen Grenzen bleibt kaum Zeit für eine langfristige strategische Planung. Für diese Häuser kann der neue Sicherheitsstandard im Zuge des BSI-Gesetzes den Anstoß zu größeren Veränderungen geben.
Doch auch Kliniken, die bereits nach bestem Wissen auf dem aktuellen Stand der Technik operieren, müssen überprüfen, ob und inwieweit sie dem B3S-Standard entsprechen:
Hendrik Gollnisch
Kritische Infrastruktur und Sicherheitsmanagement, PwC Germany
Tel.: +49 30 2636-1500