So verändert die COVID-19-Pandemie das Leben in den Städten

Da immer mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten, verlagern sich Leben und Konsum aus den Innenstädten in die Stadtteilzentren.

Ihr Experte für Fragen

Dr. Christian Wulff: Consumer Markets Leader, EMEA, PwC Deutschland

Dr. Christian Wulff
Consumer Markets Leader PwC Deutschland & Europa und EMEA
E-Mail

Das Stadtleben hat sich verändert – für immer

Millionen von Menschen leben in Metropolregionen und prägen neue Konsumtrends, die dann auch die ländlichen Gebiete erreichen. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat die dicht besiedelten Städte jedoch hart getroffen und zwingt deren Bewohner zur Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen und sozialen Abstandsregeln. Das Leben in der City wird nie wieder so sein wie es einmal war – auch nicht nach der Pandemie. Immer mehr Menschen arbeiten im Homeoffice, was eine spürbare Verlagerung von Leben und Konsum aus den Innenstädten in die Stadtteilzentren nach sich zieht. Dieser Trend führt nicht nur zu weniger Laufkundschaft bei Händlern in den Innenstädten, sondern wirkt sich auch auf Kantinen, Restaurants, Cafés und kleine Läden aus, deren Geschäft maßgeblich von der arbeitenden Bevölkerung abhängig ist. Nach jüngster Einschätzung von PwC UK könnte sich das BIP in Großbritannien um 15,3 Milliarden Pfund pro Jahr verringern, wenn die Büroangestellten weiterhin von zuhause arbeiten sollen.

„In Deutschland schätzen wir, dass jährlich rund fünf Milliarden Euro an Umsatz pro Jahr aus dem Gastgewerbe in den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) fließen – auch nach der COVID-19-Pandemie.“

Dr. Christian Wulff,Consumer Markets Leader PwC Deutschland & Europa und EMEA

In unserem Artikel geben wir einen Einblick in die durch COVID-19 veränderten Präferenzen der Stadtbewohner sowie die daraus resultierende „neue Normalität” des Stadtlebens in Europa und deren Auswirkungen auf Unternehmen und andere Institutionen.


Gesundheit und Sicherheit haben für Stadtbewohner absoluten Vorrang. Vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben wir europäische Stadtbewohner nach den drei wichtigsten Gründen gefragt, warum sie in der Stadt wohnen und bekamen als Antwort: Beschäftigungsaussichten (30 Prozent), Freundes- und Bekanntenkreis (29 Prozent) und Wohnqualität (27 Prozent) – die Gesundheitsversorgung (20 Prozent) landete auf einem der letzten drei Plätze. Nach dem Ausbruch der Pandemie sind Sicherheit (48 Prozent) und Gesundheitsversorgung (45 Prozent) genauso wichtig geworden wie die Beschäftigungsaussichten (45 Prozent). Zwei der drei meistgewählten Gründe für ein Leben in der Stadt beziehen sich damit auf das Wohlbefinden der Menschen. Die Qualität der Gesundheitsversorgung ist insbesondere für Stadtbewohner in Schweden und Spanien wichtig, wo 56 bzw. 53 Prozent der Befragten diesen Faktor als einen der wichtigsten Gründe für das Leben in der Stadt nannten.

Obwohl Gesundheitsversorgung und Sicherheit während der Pandemie immer wichtiger werden, ist die große Mehrheit der europäischen Stadtbewohner der Ansicht, dass ihre Stadt schlecht auf die Bewältigung von COVID-19 vorbereitet war. Die einzige Ausnahme bildet Deutschland, wo zwei Drittel der Stadtbewohner mit den Vorkehrungen und dem Krisenmanagement ihrer Stadt zufrieden waren.

In der aktuellen zweiten Welle der Pandemie müssen Städte sicherstellen, dass ihre Gesundheitsinfrastruktur ausreichend auf den Schutz und die medizinische Versorgung der Bevölkerung vorbereitet ist. Zudem hat die COVID-19-Pandemie gezeigt, dass Städte effektive Notfallpläne und ein effizientes Krisenmanagement dringend benötigen.

Finanzielle Sicherheit spielt in Krisenzeiten eine wichtige Rolle. Bereits vor der Pandemie begrüßte die große Mehrheit der europäischen Stadtbewohner Initiativen zur Ansiedlung großer Unternehmen in ihrer Stadt. Städte müssen weiterhin sicherstellen, dass sie für erfolgreiche Unternehmen attraktiv bleiben und sollten ihre Bemühungen zur Ansiedlung von Unternehmen und zur Förderung von Innovation noch einmal verstärken.

Die europäischen Metropolregionen bieten Unternehmen hervorragend ausgebildete Arbeitskräfte und eine Vielzahl an Bildungseinrichtungen und Hochschulen. Das Times Higher Education World University Ranking zeigt, dass zum Beispiel London mit 17 und Paris mit zehn Universitäten und Hochschulen hervorragende Bildungs- und Wissenschaftsökosysteme bieten. Darüber hinaus verfügen 53 Prozent der Stadtbewohner von London und 47 Prozent der Bürger von Paris über eine Hochschulausbildung. Bereits heute wird ein hoher Anteil der Bruttowertschöpfung in europäischen Großstädten mit professionellen Dienstleistungen generiert.

Moderne Metropolen müssen die richtige Balance zwischen Investitionsanreizen für Unternehmen, zum Beispiel niedrige Gewerbe- und Grundsteuerhebesätze, und der Sicherung der wichtigsten Bedürfnisse ihrer Bewohner wie die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum und dem Schutz der lokalen Betriebe finden. Durch COVID-19 gewinnen auch Stadtrandlagen an Attraktivität, die bislang nicht optimal an die Innenstadt angebunden sind. Städte haben die Chance, dort bezahlbaren Wohnraum für Bewohner zu schaffen, die ohnehin einen Teil ihrer Arbeit im Homeoffice erledigen. Gleichzeitig eignen sich diese Gebiete für die Ansiedlung neuer Unternehmen, da deren Attraktivität gerade für die digitale Workforce immer weniger von einer guten Verkehrsanbindung an die Innenstadt abhängig ist.

Seit dem Ausbruch der Pandemie ist die Arbeit aus dem Homeoffice für viele Europäer zum Alltag geworden. Diese Entwicklung war für viele Unternehmen anfangs eine Herausforderung, da sie quasi über Nacht Homeoffice-Ausstattungen bereitstellen und neue Formen der der Zusammenarbeit umsetzen mussten. Bereits vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat eine große Mehrheit der niederländischen (78 Prozent) und deutschen (70 Prozent) Stadtbewohner zumindest gelegentlich von zu Hause gearbeitet; bei den französischen Stadtbewohnern war dieser Anteil geringer (63 Prozent). Unternehmen, die ihre Mitarbeiter schnell mit den notwendigen technischen Mitteln für die Arbeit aus dem Homeoffice ausgestattet haben, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil, da sie nicht nur ihren Geschäftsbetrieb reibungslos fortführen, sondern auch in einem aktuell oft schwierig zu prognostizierenden Umfeld neue Chancen effektiver nutzen können.

Neben der technischen Ausstattung ist für die Arbeit im Homeoffice eine schnelle und stabile Internetverbindung unerlässlich. Daher haben wir für unsere Studie die europäischen Stadtbewohner nach ihrer Zufriedenheit mit der Breitband-Geschwindigkeit in ihrem Zuhause gefragt. Obwohl die Datennetze aufgrund der hohen Nachfrage stark gefordert sind, sind mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten mit der Internet-Geschwindigkeit zufrieden. Ein gutes Viertel der Stadtbewohner in Deutschland (26 Prozent), Schweden (26 Prozent) und Frankreich (21 Prozent) ist sogar sehr zufrieden.

Einwohner von Metropolregionen sind bei der Qualität der Internetanbindung klar im Vorteil gegenüber den Einwohnern kleinerer Städte und ländlicher Regionen, wo die Arbeit im Homeoffice häufig eine Herausforderung darstellt. Der Ausbau einer landesweiten, zukunftsfähigen digitalen Infrastruktur bleibt weiterhin ein wesentlicher Faktor für die Standortqualität einer Region im internationalen Wettbewerb um Investitionen und Talente. In Deutschland sind zum Beispiel bisher nur 4,6 Prozent aller Breitbandverbindungen über Glasfaserkabel ausgebaut. Nur in vier OECD-Staaten ist der Anteil der Glasfaseranschlüsse noch geringer als in Deutschland, unter anderem in Großbritannien.

Die digitale Infrastruktur wird gegenwärtig in ganz Europa ausgebaut und optimiert, um den steigenden Bedarf an schnellen und zuverlässigen Internetverbindungen für das Homeoffice und die steigende Nutzung von Onlineshopping, Streamingdiensten und Gaming abdecken zu können. Städte und Regionen mit einer gut ausgebauten digitalen Infrastruktur haben einen klaren Wettbewerbsvorteil beim Werben um hochqualifizierte Arbeitnehmer und unternehmerische Investitionen.

Stadtbewohner setzen in Sachen Mobilität seit Jahrzehnten auf das eigene Auto. Vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat mehr als ein Drittel der Stadtbewohner in Frankreich, Spanien und Deutschland das Auto als Hauptverkehrsmittel genutzt. Während der Pandemie ist dieser Trend zur individuellen Mobilität weiter angestiegen – wohl aus Angst vor einer Ansteckung in öffentlichen Bussen und Bahnen.

Ein genauerer Blick auf diesen Trend zeigt jedoch, dass zum Beispiel beim Einkaufen die Wahl des Transportmittels davon abhängt, wo und was die Stadtbewohner kaufen wollen. In Deutschland zum Beispiel erledigen 60 Prozent der Städter ihren täglichen Einkauf zu Fuß (34 Prozent) oder mit dem Fahrrad (26 Prozent), während Fahrten zu einem Einkaufszentrum oder Outlet außerhalb der Stadt größtenteils mit dem Auto erfolgen (43 Prozent). Beim Einkauf des täglichen Bedarfs hat COVID-19 den Trend weg vom Auto sogar beschleunigt: Ein Viertel der europäischen Städter kauft häufiger in Läden vor Ort ein, da sich das Leben von der Innenstadt in die Stadtteilviertel verlagert hat.

In dicht besiedelten Städten kann der Besitz eines Autos nicht nur teuer, sondern mitunter auch stressig sein. Daher greifen immer mehr europäische Stadtbewohner auf Carsharing-Angebote zurück. Durchschnittlich 13 Prozent der Befragten geben an, diesen Service schon einmal genutzt zu haben; weitere 36 Prozent sind bereit, dies in Zukunft zu testen.

Abgesehen von der praktischen und günstigen Nutzung eines Transportmittels ist für Stadtbewohner auch dessen Umweltfreundlichkeit ein wichtiger Aspekt. Auf die Frage, welche Maßnahmen die negativen Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt reduzieren könnten, nennen 72 Prozent der europäischen Städter den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs als wichtigsten Schritt. Weitere 67 Prozent der städtischen Konsumenten sind der Meinung, dass Investitionen in die Infrastruktur für personenbetriebene Verkehrsmittel – zum Beispiel in Radwege – wichtig sind, um verkehrsbedingte CO2-Emissionen zu reduzieren.

Metropolregionen und Städte müssen intelligente Verkehrskonzepte finden, die den Mobilitätswandel der Bewohner unterstützen und lenken. Dazu gehören die Incentivierung einer Kultur des Teilens statt Besitzens, etwa durch das Angebot kostenloser Parkplätze für Carsharing, und die Konnektivität von Transportmitteln, zum Beispiel durch Apps, die auf einer Plattform einen reibungslosen Wechsel zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln ermöglichen. Eine weitere Maßnahme ist der Ausbau der Infrastruktur für personenbetriebene Transportmittel. Beispielsweise würden es 64 Prozent der deutschen Bevölkerung begrüßen, wenn die während der COVID-19-Pandemie in einigen Städten geschaffenen temporären Pop-up-Radwege langfristig beibehalten werden. Smarte Mobilitätslösungen sind ein wichtiger Faktor, um die Attraktivität der Großstädte zu erhalten oder weiter zu steigern. Dies gilt insbesondere für die Innenstädte, die besonders hart durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie getroffen worden sind.

Die Methodik

Für die europäische Ausgabe des PwC Global Consumer Insights Survey 2020 haben wir europäische Stadtbewohner in zwei Studien befragt. Die erste Umfrage wurde vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie durchgeführt. An ihr nahmen 6.185 Verbraucher aus 22 Städten in 7 europäischen Ländern teil. Die zweite Umfrage erfolgte im April und Mai 2020, nach dem Ausbruch der Pandemie. An ihr nahmen 3.400 Verbraucher aus 7 Ländern teil (Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Spanien, Schweden und Großbritannien).

Contact us

Dr. Christian Wulff

Dr. Christian Wulff

Retail & Consumer Leader, PwC EMEA, PwC Germany

Dr. Stephanie Rumpff

Dr. Stephanie Rumpff

Head of Business Development, PwC Germany

Follow us