Umsatzsteuer Quick Fixes 2020

15 Mai, 2020

Mit den sogenannten Quick Fixes hat die EU-Kommission zum 1. Januar 2020 Sofortmaßnahmen zur Mehrwertsteuer beschlossen – mit dem Ziel, europaweit uneinheitliche Regelungen für den Handel zu vereinheitlichen, zu vereinfachen und betrugssicherer zu machen.

Die wichtigsten Änderungen zur Steuer, die insbesondere Unternehmen der Konsumgüterindustrie betreffen, erläutert Frank Gehring, Tax Partner bei PwC Deutschland.

Was sich für den Handel und die Konsumgüterindustrie jetzt ändert

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Frank Gehring
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Die EU-Kommission hat mit ihren Sofortmaßnahmen zur Umsatzsteuer in der Europäischen Union Konkretisierungen bestehender Regelungen für den Handel vorgenommen. Diese sollten zwar bis zum 1. Januar 2020 in nationales Recht umgesetzt und angewendet werden. Doch tatsächlich steht dies in einigen EU-Mitgliedsstaaten noch aus – zumal einige Länder derzeit noch prüfen, ob ihre Praxis mit den neuen Bestimmungen konform ist oder nicht. Für Unternehmen bedeutet dies derzeit eine zusätzliche Unsicherheit für den innereuropäischen Warenverkehr.

Was steckt hinter den Quick Fixes für die Umsatzsteuer? Die Sofortmaßnahmen betreffen

  1. die Nachweispflicht bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
  2. die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und die Zusammenfassende Meldung,
  3. Reihengeschäfte sowie
  4. Konsignationslager.

Im Folgenden lesen Sie, was sich mit den jeweiligen Regelungen zur Umsatz- bzw. Mehrwertsteuer ändert und was sie für die Praxis im Handel und in der Konsumgüterindustrie bedeuten.

1. Nachweispflicht bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

Eine der Sofortmaßnahmen betrifft die Voraussetzungen für umsatzsteuerfreie, innergemeinschaftliche Lieferungen. Der Nachweis, dass eine Lieferung von einem EU-Mitgliedsstaat in einen anderen tatsächlich stattgefunden hat, war bislang uneinheitlich geregelt. So gab es beispielsweise die 2013 eingeführte „Gelangensbestätigung“ – also den Nachweis, dass Lieferungen von Deutschland in ein anderes EU-Land tatsächlich angekommen sind – nur in wenigen Ländern, allen voran in Deutschland. Andere Länder hatten andere Regelungen. Diesen „Flickenteppich“ aus unterschiedlichen Nachweisregelungen wollte die EU-Kommission vereinheitlichen.

Was ist neu?
Entscheidend ist, wer den Transport durchführt – der Händler oder Hersteller (zum Beispiel mit einer konzerneigenen Logistik-Tochtergesellschaft oder einem selbstständigen Speditionsunternehmen, nachfolgend „Lieferant“) oder der Kunde, der die Ware selbst abholt.

Organisiert der Lieferant den Transport, sind zwei Nachweise erforderlich, die weder vom Lieferanten noch vom Kunden oder von mit ihnen verbundenen Personen ausgestellt werden dürfen. Zudem müssen die Nachweise von zwei voneinander unabhängigen Stellen ausgestellt worden sein. Das kann beispielsweise ein Frachtbrief oder die Rechnung eines (unabhängigen!) Speditionsunternehmens sein. Alternativ zu entweder Frachtbrief oder Rechnung kann auch eine Versicherungspolice für den Transport, ein Banknachweis für die Speditionsrechnung – oder die Bestätigung durch eine öffentliche Stelle, zum Beispiel durch einen Notar, gelten.

Holt ein Kunde die Ware selbst ab, ist zusätzlich zu den beiden vorgenannten Belegen eine Gelangensbestätigung erforderlich – ähnlich der, wie sie bereits in Deutschland für den Handel in Kraft ist. Diese muss innerhalb von zehn Tagen, nachdem die Lieferung stattgefunden hat, vorliegen.

Was das für die Praxis im Handel bedeutet
Die neuen Vorschriften scheinen für die Praxis im Handel und in der Konsumgüterindustrie ungeeignet. Für deutsche Unternehmen, die ausschließlich Waren aus Deutschland in andere EU-Staaten exportieren, ändert sich durch die neue Nachweisregelung zunächst nicht viel. Denn der Gesetzgeber hat entschieden, sie neben der bestehenden Regelung in die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) zu integrieren. Bestehende Prozesse und Systeme lassen sich daher weiterverwenden.

Wer allerdings Tochtergesellschaften in anderen EU-Ländern unterhält und auch von dort aus Waren versendet, muss seine Prozesse zur Nachweispflicht ggf. anpassen – abhängig davon, wie die anderen EU-Staaten diese in nationales Recht überführen. Dies ist freilich längst noch nicht überall geschehen. Zu befürchten ist, dass der alte „Flickenteppich“ durch eine Vielzahl neuer, aber ebenso uneinheitlicher nationaler Bestimmungen ersetzt wird und somit das Ziel der Vereinfachung verfehlt wird.

2. USt-IdNr. und Zusammenfassende Meldung

Die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) dient den beteiligten Unternehmen sowie den Finanzämtern und anderen Behörden als Identifikationsmerkmal sowie zum Datenabgleich im innergemeinschaftlichen Handel.

Was ist neu?
Die europäische Rechtsprechung hatte entschieden, dass die USt-IdNr. nur ein formelles Kriterium sei, keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Befreiung von der Steuer. Damit war dem wirksamen Datenabgleich der Finanzbehörden im Prinzip die Grundlage entzogen. Hier hat die EU-Kommission nun für Klarheit gesorgt. Die USt-IdNr. wird zur zwingenden Voraussetzung für die Befreiung von der Umsatzsteuer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen – ohne USt-IdNr. also keine Befreiung.

Die Zusammenfassende Meldung, die in Deutschland jeweils zum 25. des Folgemonats beim Finanzamt einzureichen ist, wird ebenfalls zur Voraussetzung für die Steuerbefreiung – jede innergemeinschaftliche Lieferung muss darin genau enthalten sein und mit den Lieferungen aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung exakt übereinstimmen.

Was das für die Praxis im Handel bedeutet
Da die USt-IdNr. zwingende Voraussetzung für die Befreiung von der Steuer ist, müssen Unternehmen aus dem Handel und der Konsumgüterindustrie genauer als bisher prüfen, ob die ihnen vorliegenden Nummern ihrer Geschäftspartner noch aktuell sind. Denn in der Praxis kommt es recht häufig vor, dass USt-IdNr. verfallen oder ungültig werden. Wer hier nachträgliche Umsatzsteuerbelastungen durch das Finanzamt oder gar Strafzahlungen vermeiden möchte, ist gut beraten, die USt-IdNr. seiner Geschäftspartner eingehend und fortlaufend zu prüfen. In vielen Fällen werden hierzu Prozess- und ggf. auch Systemanpassungen notwendig sein.

Dies gilt auch für die Regelung zur Zusammenfassenden Meldung (ZM). Für Unternehmen ergeben sich in vielen Fällen Konflikte zwischen ZM und der Umsatzsteuer-Voranmeldung beim Finanzamt. Diese ergeben sich häufig durch fehlerhafte Systemeinstellungen oder auch aufgrund von Korrekturbuchungen, Retouren oder Rabatten.

Unternehmen müssen solche Differenzen aufklären – anderenfalls laufen sie Gefahr, dem Finanzamt Umsatzsteuer nachzahlen zu müssen. Hier gilt es vor allem, Umsatzsteuer-Voranmeldung und ZM zu synchronisieren. Diese Prozessumstellung sollten Unternehmen schnellstmöglich vornehmen, um späteren Mehraufwand und möglicherweise auch hohe Kosten zu vermeiden.

3. Reihengeschäfte

Eine weitere Sofortmaßnahme betrifft sogenannte Reihengeschäfte im Handel, bei denen mehrere Parteien dieselbe Ware liefern und dadurch die Ware unmittelbar vom Ersten bis zum Letzten in der Kette gelangt. Bislang werden solche Reihengeschäfte in den EU-Staaten hinsichtlich der Umsatzsteuer unterschiedlich behandelt. Die Folge: Es kommt zu Nicht- oder Doppelbesteuerung. Bisher war nicht EU-weit einheitlich geregelt, welche der Lieferungen die sogenannte bewegte Lieferung (bL), also möglicherweise die von der Steuer befreite Lieferung ist. 

Was ist neu?
Reihengeschäfte, bei denen der mittlere Unternehmer Waren befördert oder versendet, werden nun wie folgt geregelt: Grundsätzlich ist die Lieferung des ersten an den mittleren Unternehmer die bL. Es sei denn, der mittlere Unternehmer teilt dem ersten seine USt-IdNr. des Mitgliedsstaates mit, in dem die Beförderung oder Versendung begonnen hat. Dann wird die bL dem mittleren Unternehmer zugerechnet. 

Was das für die Praxis im Handel bedeutet
Auch hier gilt es, Prozesse zu überprüfen, ggf. anzupassen und diese Anpassung zu dokumentieren. Unternehmen, die beispielsweise Waren oder Materialien aus anderen Ländern einkaufen oder dort Werke oder Tochtergesellschaften betreiben, sollten sich jede einzelne Konstellation genau anschauen. Denn was theoretisch eindeutig klingt, ist es in der Praxis nicht immer. So ist allein die Sachverhaltsermittlung – also die Feststellung, ob Unternehmen Teil eines Reihengeschäfts sind –nicht immer einfach. Hinzukommt auch hier, dass die konkrete Umsetzung der USt Quick Fixes zum 1. Januar 2020 noch nicht in allen Ländern erfolgt ist. Werden bestehende Lieferkonstellationen ungeprüft fortgeführt, ergeben sich für Unternehmen möglicherweise zusätzliche Erklärungspflichten in anderen EU-Staaten.

4. Konsignationslager

Bei Konsignationslagern haben Kunden Zugriff auf die Waren im Lager eines Lieferanten und holen sie bei Bedarf ab. Nach einem wöchentlichen Verbrauchsreport wird die entnommene Stückzahl berechnet. Grundsätzlich mussten sich Lieferanten bei grenzüberschreitenden Konstellationen im Zielland umsatzsteuerlich erfassen lassen. Allerdings hatten einige EU-Staaten Vereinfachungen bei dieser Steuer zugelassen. So durften Waren, je nach Land, beispielsweise drei, 12 oder 24 Monate in einem Konsignationslager verbleiben, bevor sie vom Kunden abgerufen wurden. Waren alle Voraussetzungen für die Vereinfachung erfüllt, durfte der Lieferant eine innergemeinschaftliche Lieferung an seinen Kunden erklären und vermied so eine Registrierung für die Mehrwertsteuer im Zielland.

Was ist neu?
Die EU-Kommission hat auch hier vereinheitlicht: unter bestimmten, einheitlich geregelten Voraussetzungen dürfen Waren nun 12 Monate im Konsignationslager verbleiben, ohne eine Registrierung des Lieferanten auszulösen; wird die Ware nicht rechtzeitig abgerufen, darf der Lieferant Waren zurückholen oder sie an einen anderen Kunden verkaufen. Nicht erlaubt ist hingegen der Transport vom Lager in einem Land in ein anderes Land. Schwund und Inventurdifferenzen führen zudem automatisch zu einer Registrierungspflicht.

Was das für die Praxis im Handel bedeutet

Die Konsignationslagerregelung wird nur vordergründig vereinheitlicht. Zwar hat Deutschland nunmehr auch eine entsprechende Regelung eingeführt, laut deutschem Umsatzsteuergesetz (UStG) müssen Unternehmen aber die Vereinfachung anwenden. Ein Wahlrecht besteht nicht, etwa für den Fall, dass der Lieferant ohnehin schon im Auslieferungsland umsatzsteuerlich registriert ist und auf die Befreiung von der Steuer verzichten möchte.

Dies wird in einigen EU-Mitgliedsstaaten anders gehandhabt, hier lässt man dem Unternehmer die Wahl. Auch legt man in einigen Ländern die vermeintlich einheitlichen Regeln anders aus als der deutsche Gesetzgeber; die Übertragung der deutschen Rechtslage gemäß UStG auf andere Länder ist daher wenig ratsam. Unternehmen, die Waren über Konsignationsläger beziehen und Rechnungen mit Umsatzsteuer akzeptieren, riskieren möglicherweise, dass sie den Vorsteuerabzug verlieren. Auf der Ausgangsseite kann es passieren, dass sich erst mit Verzögerung herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Vereinfachung nicht vorlagen, sodass hier Nachbelastungen durch das Finanzamt drohen. Wer also Waren über Konsignationslager ein- oder verkauft, sollte jeden einzelnen Fall erneut anschauen, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden.

Die wichtigsten Handlungsempfehlungen zu den USt Quick Fixes auf einen Blick

Mit den Quick Fixes hat die EU-Kommission zum 1. Januar 2020 Sofortmaßnahmen beschlossen, die die Regelungen zur Umsatzsteuer im innergemeinschaftlichen Warenverkehr vereinheitlichen, vereinfachen und betrugssicherer gestalten sollen. Wie sie sich in der Praxis auswirken werden, ist derzeit noch nicht für alle Einzelfälle abzusehen. Zumal, wie geschildert, in manchen EU-Staaten die Umsetzung in nationales Recht noch aussteht.

Schon jetzt steht allerdings fest, dass Unternehmen, die am innereuropäischen Warenverkehr und Handel teilnehmen, durch die Neuregelungen gewisse Risiken drohen – vor allem dann, wenn sie in gutem Glauben so weitermachen wie bisher.

Stattdessen sollten Unternehmen insbesondere der Konsumgüterindustrie und des Handels

  • interne Prozesse zur Steuerfindung überprüfen, ggf. anpassen und diese Anpassungen dokumentieren, 
  • regelmäßig die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ihrer Geschäftspartner überprüfen und ggf. die internen Prozesse dafür ändern, 
  • die Zusammenfassende Meldung mit der Umsatzsteuer-Voranmeldung abstimmen und Differenzen zwischen beiden vermeiden, 
  • überprüfen, ob sie (unwissentlich) an Reihengeschäften teilnehmen, die umsatzsteuerliche Behandlung ihrer internationalen Reihengeschäfte erneut untersuchen und ggf. neu organisieren,  
  • sicherstellen, ob sie die Voraussetzungen zur Vereinfachung erfüllen, wenn sie Konsignationslager nutzen oder betreiben.

Haben Sie Fragen zu Ihrem individuellen Fall? Dann sprechen Sie uns gerne an.

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