11 Januar, 2023
Ein Interview mit Jonathan Dienlin und Christoph Gruss. Volatile Wirtschaftsmärkte, globale Umbrüche sowie ein zunehmender Kosten- und Innovationsdruck: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen agil auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren können. Eine Herausforderung, der sie kaum ohne die Digitalisierung und die damit im besten Fall einhergehende Restrukturierung vertrauter Funktionen und Abläufe begegnen können. Doch insbesondere im Finanzbereich finden sich immer noch viele analoge und manuelle Prozesse. Dabei liegt gerade hier großes Potenzial. Das Problem: Manuelle Prozesse wie das Ausfüllen von Excel-Tabellen, Belegprüfung oder Report-Anpassungen binden wertvolle Kapazitäten und Ressourcen.
Das führt nicht nur zu hohen Kosten, sondern geht auch zu Lasten von Qualität und Effizienz. Die große Chance: Vom täglichen Doing bis hin zu komplexen steuerrechtlichen Fragestellungen können heute weite Teile automatisiert und ausgelagert werden. Eine Entwicklung, die sich auch auf die Rolle des des Chief Financial Officers (CFO) auswirkt, der sich immer stärker als Navigator und Sparringspartner der Unternehmensleitung, aber auch der IT, herauskristallisiert. Auf Basis der zur Verfügung stehenden Daten analysiert er die Chancen und Risiken interner sowie externer Treiber und entwickeln wirksame Steuerungsmaßnahmen.
Lieber Herr Dienlin, lieber Herr Gruss, die Finanzfunktion hat sich in den vergangenen Jahren massiv gewandelt. Stärker denn je geht es für CFOs heute darum, die Chancen und Möglichkeiten, die die Digitalisierung uns durch intelligente Datenanalysen ermöglicht, zu nutzen. Mit welchen zentralen Herausforderungen ist die Finanzfunktion in diesem Zusammenhang konfrontiert?
Jonathan Dienlin: Wir sehen in diesem Kontext drei ganz zentrale Herausforderungen. Zum einen sind es die historisch gewachsenen Strukturen bei den Unternehmen. Diese machen es zum Teil sehr schwer, im Sinne eines einheitlichen Datenmodells Informationen übergreifend über die verschiedenen Geschäftsbereiche zur Verfügung zu stellen. Schließlich müssen die Informationen so aufbereitet sein, dass die Finanzfunktion auf ihrer Basis Unternehmensentscheidungen gut unterstützen, vorbereiten und beraten kann.
Die zweite große Herausforderung der Finanzfunktion liegt in dem globalen Trend der voranschreitenden Digitalisierung. Die heute zur Verfügung stehenden großen Datenmengen müssen nicht nur ausgewertet werden, sondern auch die dafür benötigten technischen Möglichkeiten müssen vorhanden sein.
Das beginnt mit dem Update des ERP-Systems (Enterprise-Resource-Planning, A.d.R.), ist aber auch an den Schnittstellen relevant – also für vorgelagerte Vertriebs- und Produktionssysteme sowie Reporting- und Konsolidisierungssysteme. All diese Bereiche sind Teil eines großen technologischen Wandels, den Unternehmen heute durchlaufen.
Die dritte zentrale Herausforderung bildet das Thema Demografie und Ressourcen. In den nächsten 15 Jahren werden laut Statistischem Bundesamt etwa 30 Prozent der derzeitigen Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen. Schon jetzt ist es für viele Unternehmen schwierig, passenden Nachwuchs zu finden. In diesem Kontext geht es für die Finanzfunktion heute längst nicht mehr nur um das Thema Kostensenkung. Vielmehr geht es vor allem darum, heute das notwendige Wissen zu erwerben und Kompetenzen – insbesondere im digitalen Bereich – zu fördern.
Wir wollen heute über Finance Automated Managed Services, FAMS, sprechen. Können Sie den Begriff kurz erläutern? Was steckt dahinter?
Dienlin: Mit dem Finance Automated Managed Services-Ansatz unterstützt PwC Unternehmen bei der Bewältigung der eben skizzierten Herausforderungen.
Der FAMS-Ansatz basiert im Kern auf einer einheitlichen technologischen Plattform, über die auch hochvolumige Prozesse wie zum Beispiel Belegeingänge, Gutschriften, Rechnungen oder Mahnungen automatisiert verarbeitet werden. PwC unterstützt Unternehmen nicht nur dabei, so ein System selbst aufzubauen und umzusetzen, sondern bietet diesen Service auch als Dienstleistung an.
Christoph Gruss: Der Vorteil liegt auf der Hand, denn Unternehmen können den Bereich somit inklusive aller handels- und steuerrechtlichen Fragestellungen übergeben. So erhalten sie die Dienstleistung „Finanz- und Rechnungswesen“ aus einer Hand – und sie gewinnen gleichzeitig die Freiheit und Flexibilität, sich auf die Kernleistungen ihrer Finanzfunktion zu fokussieren. Gleichzeitig wird mit der wachsenden Automatisierung auch die demografische Herausforderung adressiert.
Bei FAMS arbeiten wir mit einem angepassten Pricing und ganz individuellen Modellen der Zusammenarbeit, um auf beiden Seiten Anreize zu schaffen und zu automatisieren. Das heißt, unser Verrechnungsmodell basiert auf einem „Euro x Volumen-Modell“. Unternehmen können so ihre Fixkosten variabilisieren. Das gibt Flexibilität und Planungssicherheit.
Wie ist die Idee, auf der FAMS basiert, entstanden? Welchen Mehrwert kann FAMS Unternehmen im Rahmen ihrer Digitalisierungsstrategie bieten?
Dienlin: Die Idee zu FAMS ist aus der Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von deutschen und internationalen Unternehmen entstanden. Im Rahmen der Zusammenarbeit haben wir häufig festgestellt, dass die Technologie eigentlich nicht der limitierende Faktor ist.
Für die meisten Fragestellungen – gerade, wenn es um hochvolumige Prozesse geht – haben wir technologische Lösungen. Die Herausforderung besteht vielmehr in der sinnvollen Kombination dieser Technologien und der zentralen Fragestellung, wie es gelingt, die gesamte Organisation auf diesen Wandel mitzunehmen. Auch die Durchsetzung eines neuen Standards, der regelkonform – compliant – ist, aber auch die Technologien bestmöglich nutzt, ist entscheidend.
Gruss: Wenn wir ein entsprechendes Projekt übernehmen, schauen wir uns zunächst genau an, was die Anforderungen des jeweiligen Unternehmens an ein Steuerungsmodell sind, und welche relevanten Informationen zur Unternehmenssteuerung und zum Unternehmensreporting benötigt werden. So können wir den jeweils sinnvollen Ansatz und die Spezifikationen der eingesetzten Cloudlösung exakt definieren.
Wie kann man sich ein typisches FAMS-Projekt vorstellen?
Dienlin: Typischerweise definieren wir zunächst mit dem Unternehmen gemeinsam die relevanten Informationen, die die Finanzfunktion schlussendlich zur Verfügung stellen muss. Dabei skizzieren wir, was die operativen Bereiche und die Geschäftsführung jeweils an Informationen benötigen.
Interessanterweise ergeben sich in diesem Kontext häufig wertvolle Informationen, die bis dato niemand beachtet hatte. Gerade für die zukünftige Reportinganforderungen zu ESG-Kriterien könnten genau diese Informationen, etwa zu Energieverbräuchen, jedoch sehr sinnvoll sein.
Auf dieser Basis definieren wir in Folge innerhalb der sogenannten Aufbauphase gemeinsam mit dem Kunden die Prozesse an den Schnittstellen und eruieren, wie hier die Informationsflüsse typischerweise ablaufen.
Gruss: Unsere cloudbasierte Technologieplattform wird dann für die Bedürfnisse der jeweiligen Kunden angepasst. Unsere Kunden haben die Möglichkeit, diesen Service bei uns komplett aus einer Hand zu beziehen. Das hat für die Unternehmen selbst den zentralen Vorteil, dass ihre eigene IT an dieser Stelle Ressourcen einsparen kann. Gleichzeitig profitieren sie von den Technologiekomponenten und dem Knowhow, das wir mitbringen.
Nach der Aufbauphase geht es in den Betrieb. Das bedeutet, wir stellen die Informationen für die Steuerung des Unternehmens bereit – die Reportings, die operative Buchhaltung sowie die Steuererklärungen und Abschlüsse. Dazu gibt es einen regelmäßigen Austausch und eine gemeinsam genutzte Plattform, in der alle Informationen, die für den Betrieb und die Steuerung des Unternehmens benötigt werden, abrufbar sind.
Welche Technologien kommen dabei zum Einsatz?
Dienlin: Bei PwC stellen wir sicher, dass wir die Software, die aktuell am Markt verfügbar ist, für die jeweiligen Anforderungen und Problemstellungen unserer Kunden bestmöglich zum Einsatz bringen. Dazu haben wir eine eigene cloudbasierte Plattform definiert und aufgesetzt. In diesem Kontext arbeiten wir eng mit großen, renommierten Partnern zusammen. Ein Schulterschluss, der uns große Skalierungsmöglichkeiten bietet.
Studien zeigen, dass gerade in kleinen und mittleren Unternehmen zum Teil noch gravierender Nachholbedarf in puncto Automatisierung herrscht – oft fehlt es schlichtweg an personellen Ressourcen und technologischem Know-how. Wie kann FAMS auch in diesem Bereich unterstützen?
Dienlin: Das ist tatsächlich ein sehr interessanter Punkt.
Durch die Tatsache, dass wir die Technologie und das Know-how mitbringen, muss in puncto Automatisierung kundenseitig gar nicht mehr viel gemacht werden. Ein Bereich, in dem wir die IT des Kunden benötigen, ist der Schnittstellenbereich. So stellen wir sicher, dass wir die Schnittstellen aus zB. debitorischen Betriebssystemen bzw. Produktions-Betriebssystemen kennen. Die restlichen Prozesse laufen primär über PwC.
Gruss: Hier liegt auch der mitunter größte Vorteil für Unternehmen, da sie binnen kurzer Zeit von großen Digitalisierungsschritten mit End-to-End-Prozessen profitieren. Dadurch entfallen die langen Transformationszeiträume, die man noch von Früher kennt. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in der Vergangenheit zum Teil mehrere Jahre gedauert hat, um ein ERP System auszutauschen. Heutzutage ist dieser Zeitfaktor goldwert – und er setzt wertvolle Kapazität für das Kerngeschäft frei.
Jonathan Dienlin, Partner und Finance Automated Managed Services Lead
Als Experte für Finance Transformation und Digital Finance hat er eine langjährige Erfolgsbilanz im Bereich Finanzielle Steuerung, Finance Organisation und Automatisierung von Finanzprozessen. In den letzten 14+ Jahren hat er Projekte zur Transformation der Finanzfunktion bei Familienunternehmen und Konzernen in Deutschland durchgeführt. Diese Projekte decken das gesamte Spektrum von der Strategie und Machbarkeit über Konzeption bis hin zur organisatorischen Umstrukturierung und Einführung von Softwarelösungen ab.
Christoph Gruss, Partner im Bereich Capital Markets & Accounting Advisory Services
Der Schwerpunkt der Tätigkeit von Christoph Gruss ist die Beratung der Finanzfunktion in allen Fragen der Rechnungslegung – insbesondere zu Anpassungen der Rechnungslegung aufgrund der Einführung von neuen Umsatzerlös- und Leasingstandards in der IFRS- und US-GAAP-Welt. Er ist Experte für die Einflüsse der Digitalisierung auf diese und weitere betroffene Finanzprozesse. So sehen sich neben den transaktionalen Prozessen insbesondere auch die Kapitalmarktbezogenen sowie regulatorischen Finanzprozesse dieser Veränderung ausgesetzt.