
Ein Interview mit Dr. Martin Nicklis. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) hat die Entscheider:innen der deutschen Bauindustrie nach ihrem Umgang mit aktuellen Herausforderungen in der Branche gefragt. Abgedeckt wurden die Themenschwerpunkte Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Im Gespräch erläutert Dr. Martin Nicklis, PwC-Experte im Bereich Bau und Großanlagenbau, die wichtigsten Ergebnisse.
Martin Nicklis ist Engineering & Construction Leader bei PwC Deutschland. Seine berufliche Laufbahn ist durch die Prüfung und Beratung von Unternehmen im Bau und in baunahen Bereichen geprägt. Zudem ist er Mitglied von Ausschüssen bei der IHK in Karlsruhe, der ZIA und dem Wirtschaftsrat. Seit zwei Jahren ist er Beiratsmitglied eines großen mittelständischen Bauunternehmens in Süddeutschland.
Herr Dr. Nicklis, für Ihre aktuelle Studie haben Sie 100 Unternehmen zur Lage der Bauindustrie gefragt. Was sind die aktuell größten Herausforderungen der Branche?
Martin Nicklis: Der Bau steht vor zahlreichen Herausforderungen, die von geopolitischen Spannungen und mangelnden digitalen Kompetenzen bis hin zur sich verschärfenden Klimakrise reichen. Vor allem der hohe Kostendruck bereitet den Befragten derzeit Kopfzerbrechen. Sprunghafte Zinserhöhungen und die starke Inflation haben die Baukosten stark ansteigen lassen und zu einem Rückgang der Bauaufträge geführt.
Ein Dauerbrenner aber ist der Mangel an ausreichend qualifiziertem Personal, der demographisch betrachtet zunehmen wird. Das hat große Auswirkungen auf die Transformationsfähigkeit der gesamten Branche. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen deutlich, dass der Fachkräftemangel auch die Umsetzung der Digitalisierung erschwert.
Wie bewertet die Bauindustrie ihre Fortschritte in der Digitalisierung insgesamt?
Nicklis: Die Bauindustrie erkennt zwar das Potenzial digitaler Technologien wie Simulation, Visualisierung und KI, jedoch bleibt die Umsetzung stark hinter den Möglichkeiten zurück. Die Schere zwischen den theoretischen Potenzialen und den praktischen Fähigkeiten der Unternehmen wird in vielen Bereichen sogar immer größer. Besonders bei Technologien wie IoT und BIM gibt es erhebliche Kompetenzlücken. Der Fachkräftemangel einerseits und die bestehenden bürokratischen Hürden andererseits sind wesentliche Gründe für den langsamen Fortschritt in der Digitalisierung. Z. B. berichten uns acht von zehn Befragten, dass analoge Vergabeverfahren den digitalen Wandel bremsen. Lediglich 17 % berichten, dass im Rahmen von Vergabeverfahren digitale Fähigkeiten abgefragt würden. Es ist daher nachvollziehbar, dass Digitalisierung bei vielen Unternehmen nicht vorankommt.
Ein weiteres Zukunftsthema ist: Nachhaltigkeit. Wie läuft die Umsetzung von ESG-Zielen in der Bauindustrie?
Nicklis: Die Umsetzung von ESG-Zielen wird vor allem durch unklare politische Vorgaben und mangelnde regulatorische Rahmenbedingungen erschwert. Während 75 % der befragten Unternehmen zwar ESG-Ziele definiert haben, fehlt es oft an konkretem Wissen zur Umsetzung dieser Ziele. Lediglich ein Drittel der Unternehmen sieht Einsparpotenziale bei den Kosten als wichtigen Treiber an, und lediglich ein Viertel bezieht ESG-Vorgaben in die Vergütung der Mitarbeitenden ein.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, um klare, stabile politische Ziele zu formulieren und die notwendige Expertise in den Unternehmen zu fördern. Sie müssen aber auch selbst die Ärmel hochkrempeln und die Aufgabe proaktiv annehmen.