02 Januar, 2020
Ein Interview mit Martin Whyte und Andreas Odenkirchen. Unternehmen verschiedener Branchen setzen vermehrt KI-Lösungen ein. Dass sich dieser Trend weiter beschleunigen wird, zeigt eine PwC-Studie, wonach das deutsche Bruttoinlandsprodukt bis zum Jahr 2030 allein aufgrund von KI-Technologien um 11,3 Prozent steigen wird. Im Maschinenbau haben allerdings nur 9 Prozent
der Befragten Entscheider KI-Lösungen in ihre operativen Prozesse integriert. Welche Gründe es dafür gibt und wie einzelne Schritte aussehen könnten, um KI-Technologien erfolgreich einzusetzen, lesen Sie im Interview mit den PwC-Experten Martin Whyte, Director im Bereich Digital Operations Analytics und Andreas Odenkirchen, Senior Manager im Bereich Data Analytics.
Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Sie gilt als eine der wichtigsten Zukunftstechnologien. Derzeit hat aber nur jedes zehnte Maschinenbau-Unternehmen KI implementiert. Ist dies ein Widerspruch?
Whyte: Nein, ehrlich gesagt nicht. Denn Digitalisierung ist ein Marathon – und kein Sprint. Wir stehen am Anfang einer langen Entwicklung, gerade im Bereich Künstliche Intelligenz ist Orientierung statt vorschneller Umsetzung zu Beginn das A und O. Viele kennen nur das Buzzword „KI“, können aber mit den Anwendungen nichts anfangen. Wer weiß denn zum Beispiel, dass man vier Typen von KI unterscheiden kann und daraus verschiedene Handlungsoptionen ableiten kann? Dieses Wissen ist in vielen Unternehmen nicht vorhanden.
Was sind diese vier Typen der Künstlichen Intelligenz?
Whyte: Wir unterscheiden zwischen assistierender, ergänzender, automatischer und autonomer Intelligenz. Mit allen vier Typen eröffnen sich unterschiedliche Möglichkeiten. Bei den beiden erstgenannten ist der Einfluss des Menschen dominierend, während es sich bei den letztgenannten um automatische bzw. autonom-lernende Systeme handelt. Dabei sind die Grenzen fließend und Entwicklungsschritte zwischen den Typen sinnvoll. Aus unserer Sicht ist in naher Zukunft jedoch kein KI-System vollkommen autonom und von der Überwachung des Menschen entkoppelt. Wir empfehlen daher: Definieren Sie ihr Ziel und setzen Sie dies schrittweise um, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.
Wie sieht die Umsetzung konkret aus?
Odenkirchen: Wir empfehlen in unserer neuen Studie "AI in Manufacturing" ein sechsstufiges Verfahren. Der erste Schritt sollte eine Zielformulierung umfassen, also die Frage: Wo sehen wir für unser Geschäft und unsere Industrie Einsatzmöglichkeiten von KI und welche Vorteile erhoffen wir uns davon? Danach folgt eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Datensets hinsichtlich Verfügbarkeit, Umfang und Qualität. Ergänzt wird diese Analyse um eine Bewertung der Technologie, die bereits im Unternehmen verfügbar ist oder für den effizienten Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Zukunft benötigt wird. Wenn dies geklärt ist, kommt man zum eigentlichen Kern, nämlich der Frage, inwieweit neue Mitarbeiter eingestellt werden müssen bzw. bestehendes Personal für den Umgang mit KI-Technologien geschult werden sollte. Und schließlich sind natürlich auch Prozesse von Daten-Governance über KI-Modellüberwachung bis hin zur Zuständigkeitsverteilung zwischen den Abteilungen und Funktionen zu definieren. Insgesamt kann man sagen: Es bedarf einer digitalen Kultur im gesamten Unternehmen, um Künstliche Intelligenz flächendeckend zu nutzen und somit signifikante geschäftliche Mehrwerte zu erzielen. Wenn man lediglich auf ein zentrales KI-Team setzt, ohne zum Beispiel die Mitarbeiter auf dem Shopfloor einzubinden, wird es nicht funktionieren.
Haben Sie ein konkretes Beispiel für ein Erfolgsmodell im Maschinenbau?
Odenkirchen: Ein großer Automobilzulieferer nutzt KI, um Produktionsprozesse hinsichtlich Qualität und erzeugter Menge intelligent zu optimieren und zu automatisieren. Wir haben in enger Abstimmung mit dem Kunden auf Basis historischer Daten ein Predictive Maintenance System entwickelt, um den Verschleiß von Werkzeugen zur Bearbeitung von Getriebeteilen frühzeitig vorherzusagen und den Austausch des Werkzeugs mit möglichst wenig Produktionsausfall automatisiert gestalten zu können. Auf einer großen Datenhistorie mit einer Vielzahl von Variablen setzten wir gemeinsam mit dem Kunden schließlich einen Algorithmus auf, um die Unterscheidung der Zeitreihen von intakten und bald brechenden Werkzeugen zu erlernen. Letztendlich konnte mithilfe der entwickelten KI-Lösung eine Genauigkeit von 99 Prozent in der Prognose des Maschinenverschleißes erreicht werden.
Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen für Künstliche Intelligenz?
Whyte: Aus unserer Sicht ist das zunächst das richtige Erwartungsmanagement. Wir sehen häufig eine völlig überzogene Erwartung an das Thema KI und dann in der weiteren Folge bei Nichteintreten des erwarteten Erfolgs Ernüchterung.
Dann ist der eigene Reifegrad zu betrachten: Wie ist es um die technische Ausstattung im Unternehmen im allgemeinen und den einzelnen Funktionen im besonderen bestellt, was ist notwendigerweise noch anzuschaffen, und vor allem was stiftet Wert hinsichtlich des definierten Ziels.
Dann muss der Blick auf die Menschen gelegt werden. Sind die Mitarbeiter ausreichend qualifiziert, sind die Zuständigkeiten geklärt, fühlen sich die Kolleginnen und Kollegen mitgenommen auf der digitalen Reise. Dazu gehört immer, Vertrauen in Künstliche Intelligenz zu schaffen – insbesondere, wenn die Komplexität der KI-Algorithmen das menschliche Denkvermögen übersteigt. Und natürlich vollkommen klar, das Ganze muss sich auch rentieren. Die digitale Transformation ist kein Selbstzweck! Das gilt vor allem für den Einsatz KI-basierter Technologien.
Martin Whyte ist Director innerhalb der Technologieberatung von PwC und leitet das Team Digital Operations Analytics. Sein Schwerpunkt liegt in der Konzeption, Gestaltung und Implementierung von datengetriebenen Lösungen in den Bereichen Fertigung, Supply Chain und Beschaffung. In seiner Zeit vor PwC war Martin Whyte in verschiedenen verantwortlichen Positionen in anderen Technologieberatungsunternehmen tätig, wobei er sich immer auf Data Analytics Lösungen konzentrierte.
Andreas Odenkirchen ist Director im Bereich Technology Consulting bei PwC Europe und Experte für Data Analytics und Künstliche Intelligenz. Er berät Industrieunternehmen bei der digitalen Transformation und befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Machine Learning, Big Data, Internet of Things und Cloud Computing. Andreas Odenkirchen verfügt über langjährige Projekterfahrung und begleitet Unternehmen von der Strategie über den Aufbau neuer Fähigkeiten bis hin zur Implementierung KI-gestützter Lösungen.
Director, Data & Analytics, Operations Transformation, PwC Germany
Tel.: +49 151 15535019