Die globale Automobilindustrie steckt in einer tiefgreifenden Transformation und China spielt dabei eine herausragende Rolle. Im laufenden Jahr hat der Autohersteller BYD die Rolle des Marktführers auf seinem Heimatmarkt übernommen und China wurde zum größten Autoexporteur der Welt.
Aufgrund der hohen Relevanz der Automobilindustrie für den Industriestandort Deutschland stellen sich drängende Fragen: Sind die deutschen Hersteller auf dem chinesischen Markt noch konkurrenzfähig? Wie sind aktuelle Meldungen einzuschätzen, die Kooperationen zwischen deutschen und chinesischen Herstellern ankündigen? Parallel drängen chinesische Erstausrüster (OEMs) und Zulieferer auf den deutschen und europäischen Markt. Wohin geht die Reise und welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus?
Diese und weitere Fragen habe ich gemeinsam mit Thomas Heck, Leiter der PwC China Business Group in Deutschland und Chairman der European China Business Group, im Webcast „Automobilindustrie China – Produktionsstandort, Absatzmarkt und Exporteur“ mit einem Panel führender Experten aus Deutschland und China diskutiert: Jin Jun, Automotive Leader bei PwC China, Hugh Cao, Partner bei IDG Capital, und Dr. Andreas Gissler, Partner bei Strategy& Deutschland, haben aufschlussreiche Antworten gegeben.
Der chinesische Automobilmarkt ist vor allem eines: zu groß, um ihn außer Acht zu lassen. In diesem Jahr werden in China voraussichtlich über 22 Millionen Neufahrzeuge verkauft werden, rund 30 Prozent davon vollelektrisch oder hybrid. 2030 werden in China wahrscheinlich mehr als 30 Millionen Neufahrzeuge pro Jahr verkauft werden und damit das Land zu dem mit Abstand bedeutendsten Automarkt der Welt machen. Wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist die „Revolution“ des Smart Electric Vehicle. Von der Entwicklung und dem Markterfolg dieser Fahrzeuge profitieren aktuell vor allem die chinesischen Hersteller, die das Feld technologisch anführen und den ausländischen Herstellern erhebliche Marktanteile abnehmen. Gleichzeitig erweist sich der Markt als schwierig: Die hohe Zahl von Wettbewerbern sowie extremer Innovations- und Preisdruck verringern die Profitabilität. Es ist davon auszugehen, dass keiner der chinesischen Hersteller mit Ausnahme von BYD derzeit eine nennenswerte Marge erwirtschaftet, die allermeisten verlieren Geld. Trotzdem sind weitere Marktzutritte zu beobachten, speziell von führenden chinesischen Unternehmen aus dem Telekommunikations- und Technologiesektor wie Huawei, Baidu und Xiaomi. Auch sie dürften künftig einen Platz im neuen chinesischen Automarkt einnehmen, wenn nicht als OEM, dann als wichtiger Akteur in der Lieferkette.
Kurz- und mittelfristig wird sich die Marktsituation kaum signifikant ändern. Trotzdem erscheint eine Restrukturierung des Marktes und eine erhebliche Verringerung der Zahl der führenden Marktteilnehmer langfristig unausweichlich. Wer das Rennen um Innovation und Skalierung gewinnt, ist schwer vorherzusagen. Welche Eigenschaften die zukünftigen Gewinner im chinesischen Markt mitbringen müssen, zeichnet sich allerdings bereits ab:
Auch wenn sich die Zahl der führenden OEMs im Rahmen dieses Restrukturierungsprozesses deutlich verkleinern wird, wird es voraussichtlich auch zukünftig Platz für kleinere regionale chinesische OEMs geben. Welche Konsequenzen hat das für die deutschen Autobauer auf dem chinesischen Markt? Die deutschen OEMs haben sich über viele Jahre eine starke Position ihrer Marken in China erarbeitet. Ihr Engagement vor Ort ist im Vergleich zu anderen internationalen OEMs herausragend und wird in China auch so wahrgenommen. Gleichzeitig werden sie aktuell von den chinesischen Herstellern herausgefordert, die ihnen bei der technologischen Entwicklung von Smart Electric Vehicles in vielerlei Hinsicht vorangehen und dabei enge Kundenbindung und exzellentes Marktverständnis mit kurzen Innovationszyklen kombinieren. Vor diesem Hintergrund verschaffen die kürzlich vermeldeten Kooperationen eine Win-win-Situation für die beteiligten deutschen und chinesischen Autobauern und es ist davon auszugehen, dass wir künftig mehr davon sehen werden.
Das Wettrennen um globale Skalierung führt die chinesischen Autobauer und Zulieferer auch nach Deutschland und Europa, was im Rahmen der diesjährigen IAA eindrücklich zu beobachten war. Hersteller wie BYD, Nio oder Geely strömen mit sehr unterschiedlichen Marktzugangsstrategien auf den Heimatmarkt der deutschen Autobauer.
Eines ist ihnen allerdings bei allen Unterschieden im Auftritt gemeinsam: Auch auf dem deutschen Markt wird ihr Angebot im Segment des Smart Electric Vehicle als attraktiv und hochwertig wahrgenommen. Es scheint abgemacht: Die chinesischen Hersteller kommen, um zu bleiben. Fraglich ist, welche Marktzugangsstrategie aufgeht und wie stark sie die deutschen Hersteller in den verschiedenen Segmenten unter Druck setzen können.
Die Ernsthaftigkeit ihres Engagements ist an den Plänen verschiedener chinesischer Hersteller abzulesen, ihre Autos zukünftig auch in Deutschland zu produzieren. Die ersten in Europa produzierten chinesischen Autos könnten bereits innerhalb der kommenden drei Jahre vom Band rollen.
Die globale Transformation der Automobilindustrie wird maßgeblich vom chinesischen Markt und den chinesischen Herstellern bestimmt. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit globaler Skalierung ist der chinesische Markt aus Sicht der deutschen OEMs zu groß, um ihn außer Acht lassen zu können. Mit Blick auf die starken etablierten deutschen Marken und die derzeitigen technologischen Vorteile chinesischer Hersteller von Smart Electric Vehicles scheinen Kooperationen eine erfolgversprechende Strategie, um die anstehende Restrukturierung des chinesischen Automarkts erfolgreich zu bestehen. Dabei sind Rückkopplungseffekte auf den deutschen und europäischen Markt zu berücksichtigen.
Marc Tedder
Marc Tedder ist Wirtschaftsprüfer und Partner bei PwC Deutschland. Seit August 2022 leitet er die PwC German Business Group in China. Vor seiner Entsendung nach Beijing hat er drei Jahre lang die PwC German Business Group in Mexiko geleitet. Marc Tedder hat insgesamt mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Prüfung und Beratung international tätiger Unternehmen. Er ist ein gefragter Ansprechpartner für alle Herausforderungen im Zusammenhang mit Investitionen deutscher Unternehmen in China und Mexiko.
Tel.: +86 176 00861725
E-Mail
Sichern Sie sich die aktuellen Informationen und melden sich an. Als Abonnent der digitalen Ausgabe erhalten Sie dreimal im Jahr ein Informationsupdate.
Als Abonnent erfahren Sie, wie Sie Chancen und Gestaltungsspielräume vorausschauend nutzen und Risiken des China-Geschäfts sicher umschiffen.