China Compass, Winter 2024

Blick vom Haitian Tower: die neue First-Tier-City Qingdao

Qingdao
  • Newsletter
  • 10 Minuten Lesezeit
  • 19 Dez 2024

In einer neuen Serie werfen ausgewiesene China-Experten im PwC China Compass einen Blick auf Städte und Regionen in China, die abseits der bekannten Metropolen Shanghai, Beijing oder Shenzhen liegen, aber dennoch aktuell eine zentrale Rolle spielen. Wir starten mit Qingdao. Die Stadt gehört mittlerweile zur ersten Reihe der wichtigen chinesischen Wirtschaftsräume.

„Rote Ziegel, saftiges Grün. Blauer Himmel, türkisblaues Meer.“ Mit diesem Slogan wirbt die in vielerlei Hinsicht einzigartige ostchinesische Küstenmetropole Qingdao für sich. Kürzer und besser könnte man den Anblick, der sich dem Betrachter von der Aussichtsplattform im 71. Stock des Haitian Tower bietet, nicht zusammenfassen. Mit 369 Metern ist der Wolkenkratzer unweit der Marina, wo 2008 die olympischen Segelwettbewerbe ausgetragen wurden, das höchste Gebäude der Stadt. Alt und Neu gehen ineinander über und schlängeln sich entlang der malerischen Küste, wo sich Parks mit goldenen Stränden abwechseln. Zeugen der Vergangenheit sind die roten Ziegeldächer, im modernen Geschäftsviertel dominieren Aluminium und Glas.

Qingdao – eine „junge“ Stadt

Mit nicht einmal 130 Jahren ist Qingdao aus chinesischer Sicht eine junge Stadt. Ihre Gründung geht auf die Besetzung durch das Deutsche Heer unter dem Oberbefehl des deutschen Kaisers zurück, das an der Jiaozhou-Bucht Land für eine Musterkolonie pachtete. Manche Einheimische schließen daraus, dass Qingdao auf mehr als ein Jahrhundert der Öffnung gegenüber dem Ausland zurückblicken kann. Richtig ist: Qingdao gehört zu den ersten Städten Chinas, die sich nach der Reformpolitik Dengs 1978 dem Ausland öffneten. Da die Reformen aber bekanntlich im Süden begannen und sich allmählich entlang der Ostküste nach Norden ausbreiteten, dauerte es einige Jahre, bis Qingdao den „großen Sprung“ wagte. Tatsache ist: In den letzten ein bis zwei Jahrzehnten hat sich die Stadt stark verändert. Sie wurde gründlich „entstaubt“ und modernisiert. Wirtschaftlich ist Qingdao mit inzwischen mehr als zehn Millionen Einwohnern die Metropole der Provinz Shandong. Deren Wirtschaftsleistung stieg im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 5,8 Prozent auf 797,87 Milliarden Yuan. Damit lag das Wachstum 0,8 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt. Auf den Dienstleistungssektor entfielen 511,03 Milliarden Yuan (+4,4 Prozent) und auf das produzierende Gewerbe 263,34 Milliarden Yuan (+8,6 Prozent). Im aktuellen Städteranking, das Mitte Juni 2024 veröffentlicht wurde und die wirtschaftliche Attraktivität chinesischer Städte bewertet, schaffte es Qingdao als einzige Stadt in der Provinz Shandong in die 15 Städte umfassende Kategorie der „New First Tier Cities“.

Hohe Lebensqualität

Was die städtischen Ansiedlungsagenturen zu Recht hervorheben, ist die hohe Lebensqualität, die Qingdao seinen Einwohnern bietet. Man kann es als Privileg betrachten, dort zu leben und zu arbeiten, wo andere Urlaub machen. Darauf verwiesen schon die Autoren des ersten deutschen „Tsingtau-Reiseführers“ hin, der 1904 erschien: Anders als in Deutschland müsse sich der Urlauber in Qingdao nicht entscheiden, ob er sich lieber in den Bergen oder an der See erholen wolle. Beides liege in Qingdao ganz nah beieinander und bilde eine Einheit. Das hat sich bis heute nicht geändert und ist wahrscheinlich ebenso ein Sahnehäubchen auf dem guten Image der Stadt wie ihr wachsendes Kulturangebot oder das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Tsingtao-Bier, das alljährlich mit einem großen Festival am Meer gefeiert wird.

Standortvorteile

Für Investoren dürften dagegen eher die harten Fakten ausschlaggebend sein. Dazu gehört eine industrielle Tradition mit bodenständigen Arbeitskräften und geringer Fluktuation. Zudem ist Shandong die einzige Provinz Chinas, in der alle von den Vereinten Nationen klassifizierten Industriezweige angesiedelt sind, 41 an der Zahl. In Qingdao selbst sind es 39. Besonders stark vertreten sind intelligente Haushaltsgeräte mit den führenden Herstellern Haier, Hisense und Aucma als Marktführer, Schienenfahrzeuge, Fahrzeuge mit alternativem Antrieb (NEV), hochwertige Chemikalien, Nahrungsmittel und Getränke sowie Textilien und Bekleidung. Hinzu kommt der maritime Maschinenbau. Neue Cluster und Wertschöpfungsketten entstehen in der Chip- und Halbleiterproduktion, im medizinischen Gerätebau und in der Wasserstofftechnologie sowie in der Blue Economy (Meeresenergie, Küstentourismus, marine Biotechnologie), in der Pharmakologie sowie in der Bio- und Gentechnologie, die auf biomariner Basis entwickelt werden. Hinzu kommen moderne Handels- und Finanzdienstleistungen. Qingdao mit seinem natürlichen eisfreien Tiefwasserhafen gehört inzwischen zu den Top Ten der weltweiten Containerumschlagplätze.

Multimodaler Verkehr Schiene-Meer

Im 1892 erbauten Hafen, der heute über 700 Routen mit mehr als 180 Ländern und Regionen verbindet, wurde 2016 das erste vollautomatische Containerterminal Asiens eröffnet. Im Jahr 2023 wurden im Hafen über 700 Millionen Tonnen Güter und mehr als 30 Millionen TEU-Container umgeschlagen. Damit rangiert der zweitgrößte chinesische Außenhandelshafen beim Umschlagvolumen unter den Top Five weltweit. Ein weiterer Pluspunkt ist das gut ausgebaute multimodale Schiene-Meer-Verkehrsnetz mit Verbindungen ins ganze Land sowie nach Zentralasien und Europa. Ergänzend soll sich der 2021 eröffnete Jiaodong International Airport zu einem Luftdrehkreuz mit wichtiger Hub-Funktion insbesondere für die Region Nordostasien entwickeln.

Last but not least ist die geografische Lage zwischen den Wirtschaftsclustern Beijing-Tianjin-Hebei (Jing-Jin-Ji) im Norden und Yangtse-Delta im Süden ein starkes Argument für Qingdao. Darüber hinaus liegt Qingdao im Einzugsgebiet des neu zu entwickelnden Wirtschaftsclusters im Becken des Gelben Flusses. Als Standort kann die Wirtschaftsmetropole sowohl eine Alternative zu anderen Städten oder Regionen in China sein, in denen die Kosten steigen oder die Industrie weniger willkommen ist, als auch ein Ausgangspunkt für eine „China plus one“-Strategie, bei der besonders die Märkte Japan und Korea eine Rolle spielen. Aus Sicht der Stadtregierung hat die Zusammenarbeit mit Deutschland hohe Priorität. Deutsche Unternehmen trügen dazu bei, Wertschöpfung und Innovation in Qingdao zu stärken, hieß es bei einem Treffen mit Vertretern deutscher Firmen im März 2024. Deutsche Unternehmen haben den Angaben zufolge in Qingdao 154 Investitionsvorhaben realisiert und 1,997 Milliarden US-Dollar investiert. Ein besonderes Beispiel der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit ist der Deutsch-Chinesische Ökopark Qingdao, der 2023 sein zehnjähriges Bestehen feierte: Er ist mehr als ein Industriepark. Er ist ein Beispiel für eine nachhaltige Stadtentwicklung, bei der deutsche Umweltnormen und -standards umgesetzt werden.

Wirtschaftsdaten Qingdao

  2023 (in Mrd. ¥) Veränderung
Vorjahr (in %)
1. HJ 2024 (in Mrd. ¥)

Veränderung

Vorjahr (in %)

Bruttosozialprodukt 1.576,03 5,9 797,87 5,8
Dienstleistungssektor 999,92 6,1 511,03 4,4
Produzierendes Gewerbe 526,84 5,6 263,34 8,6
Konsum 631,89 7,3 292,55 5,6
Außenhandelsvolumen 875,97 4,6 437,83 1,8
Ausfuhr 471,36 0,3 254,50 9,8
Einfuhr 404,61 10,1 183,33 -7,6

Quelle: Statistisches Amt der Stadt Qingdao, 27. Januar 2024, abgerufen am 25. Juli 2024

Fazit

Qingdao hat es in der Ausgabe 2024 des PwC China Reports „Chinese Cities of Opportunity 2024“ unter die Top Ten geschafft. Der Report analysiert chinesische Städte umfassend anhand verschiedener Indikatoren. Im Bereich Verkehr und Städteplanung belegt Qingdao dabei sogar den ersten Platz und lässt damit andere große Metropolen hinter sich. Im Bereich Effizienz und Integration des Verkehrs über verschiedene Verkehrsträger hinweg gilt Qingdao als führend in China.

Insgesamt zeichnen sich Topstädte wie Qingdao vor allem durch eine ausgewogene Entwicklung aus. In Rankings belegen sie in vielen Kategorien Spitzenplätze und beweisen damit ihre robuste Gesamtstärke.

Weiterführende Hinweise

Deutsch-Chinesischer Ökopark Qingdao: www.sgep-qd.de

PwC China, Chinese Cities of Opportunity 2024: https://www.pwccn.com/en/research-and-insights/chinese-cities-of-opportunities-2024-report.html

Peter Tichauer

Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und über 20 Jahre als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.

Jan Jovy

Jan Jovy ist Director Inbound/Outbound Services bei PwC in China. Als Teil der European Business Group unterstützt er vor allem Unternehmen aus Europa und China bei internationalen Markteintritts-, Expansions- und Transformationsprojekten. Jan war sieben Jahre als Geschäftsführer von Auslandshandelskammern in Greater China an der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik tätig und leitete zuvor fünf Jahre die Greater-China-Aktivitäten eines mittelständischen deutschen Unternehmens.

Tel.: +186 2323 7795 
E-Mail

Interesse geweckt?

Sichern Sie sich die aktuellen Informationen und melden sich an. Als Abonnent der digitalen Ausgabe erhalten Sie dreimal im Jahr ein Informationsupdate.

PwC China Compass

Als Abonnent erfahren Sie, wie Sie Chancen und Gestaltungsspielräume vorausschauend nutzen und Risiken des China-Geschäfts sicher umschiffen.

Follow us

Contact us

Marc Tedder

Marc Tedder

Partner, PwC China Business Group Leader & Chairman PwC European China Business Group, PwC China

Dr. Katja Banik

Dr. Katja Banik

Redaktionsleitung, PwC Germany

Tel.: +49 151 14262429

Hide