Im April hat der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nation (UNFPA) seinen jüngsten Weltbevölkerungsbericht vorgelegt. Danach hat Indien China als das Land mit den meisten Einwohnern abgelöst. Diese Entwicklung war absehbar, da China über 30 Jahre lang eine strikte Ein-Kind-Politik verfolgt hat.
Darüber hinaus verkündete das Nationale Statistikbüro bereits im Januar 2023, Chinas Bevölkerung entwickele sich erstmals seit 1960 insgesamt rückläufig, und zwar mit rund 850.000 Einwohnern in Festlandchina. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die chinesische Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Absatzchancen?
Nach übereinstimmenden Aussagen des Nationalen Statistikbüros und den Prognosen des UNFPA hat China den Bevölkerungszenit bereits überschritten. Bis Ende des Jahrhunderts wird nach dem Bevölkerungsbericht für das Jahr 2022 die Bevölkerung in Festlandchina kontinuierlich zurückgehen.
Geburtenrate bleibt trotz Ende der Ein-Kind-Politik niedrig
Die chinesische Regierung hat die Ein-Kind-Politik im Jahr 2015 offiziell für beendet erklärt. Seit 2021 werden auch drei Kinder pro Elternpaar unterstützt, aber die Geburtenrate in China verharrt auf einem international sehr niedrigen Niveau. Da die Statistik der Geburten derzeit keinen Trend zu einer Umkehr erkennen lässt, ist ein steter Rückgang der Bevölkerung in China zu erwarten.
Den Arbeitsmarkt in China prägen derzeit verschiedene Phänomene: Nach Angaben des Nationalen Statistikbüros ist die Zahl der erwerbstätigen Personen in Festlandchina von 2019 bis 2022 um mehr als 41 Millionen auf zuletzt 733 Millionen Menschen gesunken. Das entspricht annähernd der Gesamtzahl aller Arbeitskräfte in Deutschland.
2022 gab es über 41 Millionen Erwerbstätige weniger als 2019
China hat in den 1960er-Jahren einen Babyboom erlebt. Da das gesetzliche Renteneintrittsalter bei Frauen zwischen 50 und 55 Jahren und bei Männern bei 60 Jahren liegt, sind diese Babyboomer bereits in den Ruhestand getreten oder werden das überwiegend in diesem Jahrzehnt noch tun. Insoweit wird auch in China das Phänomen des Fachkräftemangels immer drängender und auch die deutschen Unternehmen betreffen.
Offiziell ist rund jeder fünfte Jugendliche unter 25 Jahren ohne Arbeit
Umgekehrt drängen jedes Jahr über zehn Millionen Uniabsolventen auf den chinesischen Arbeitsmarkt, sodass kurzfristig zumindest nominal ausreichend Arbeitskräfte vorhanden zu sein scheinen. Gleichzeitig lässt sich derzeit aber beobachten, dass die Jugendarbeitslosigkeit in China steigt oder auf hohem Niveau verharrt: Nach Angaben des Nationalen Statistikbüros lag die Arbeitslosenquote bei den 16- bis 24-Jährigen in Festlandchina im April 2023 bei 20,4 Prozent. Die Gründe dafür sind vielschichtig und können zum Beispiel in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Coronamaßnahmen der letzten drei Jahre stehen. So oder so: Die Nachwehen der Pandemie und andere Faktoren führen mehr als bisher dazu, dass sich junge Menschen – auch in sozialen Netzwerken – enttäuscht über den chinesischen Arbeitsmarkt und ihre eigene Perspektive äußern. Die geringe Durchlässigkeit des Ausbildungssystems und des Berufslebens führt dazu, dass viele junge Menschen zwar einen Uniabschluss haben, aber trotzdem keine Beschäftigung finden.
Die aktuelle Situation ist für die Regierung eine große wirtschaftliche, wird aber zunehmend auch eine gewaltige gesellschaftliche Herausforderung. Hinzu kommt: Unternehmen in China müssen sich auf weiter steigende Personalkosten und mittelfristig auch auf einen Fachkräftemangel einstellen. Dem entgegenwirken könnten weitere Investitionen in Automatisierung und Digitalisierung. Von staatlicher Seite wäre zum Beispiel eine Ausweitung der digitalen Finanzamtsverwaltung wünschenswert (zum Beispiel E-Invoicing und E-Fapios, also die Umstellung von papiergebundenen Rechnungen oder Quittungen auf digitale Lösungen, um den gesetzlichen Aufbewahrungspflichten Genüge zu tun).
Offiziell ist rund jeder fünfte Jugendliche unter 25 Jahren ohne Arbeit
China hat heute einen geringeren Anteil von Rentnern an der Gesamtbevökerung als andere Industriestaaten. Der Anteil betrug 2020 rund 14 Prozent (das sind etwa 198 Millionen) an der Gesamtbevölkerung (von etwa 1,4 Milliarden). Das wird sich in den nächsten 30 Jahren rapide ändern und 2050 wird es voraussichtlich mehr als 400 Millionen Chinesen über 65 Jahre geben. Diese Entwicklung erhöht den Druck auf die Regierung, das Renteneintrittsalter gegebenenfalls erstmals zu erhöhen.
Auf der anderen Seite kann gerade diese Bevölkerungsgruppe auch große Chancen für deutsche Unternehmen in China bieten: Einhergehend mit steigenden Lebensstandards werden sich neue Möglichkeiten für Medizin-/Biopharma- und Life-Science-Unternehmen, aber auch für die Tourismus- und Kosmetikindustrie eröffnen. Durch ihre hohe Quote an Wohnungseigentum kann diese Schicht ihr geringeres Renteneinkommen möglicherweise kompensieren und allein ihre Größe macht die Gruppe der Rentner in China zu einer weltweit einzigarten Konsumentenschicht.
Die im Artikel genannten Zahlen basieren auf den vergangenheitsbezogenen Daten des Nationalen Statistikbüros sowie dem Bevölkerungsbericht des UNPFA, der auch Prognosen enthält. Nach dem Bericht für 2022 könnte sich die chinesische Bevölkerung bis etwa 2100 halbieren. Insoweit steht die chinesische Regierung auch demografisch vor sehr großen Herausforderungen: Wie kann die Jugendarbeitslosigkeit kurzfristig eingedämmt werden, ohne das wirtschaftliche Wachstum zu stark zu belasten? Wohin mit den bereits leer stehenden oder noch im Bau befindlichen, aber aller Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr erforderlichen Wohnimmobilien? Wie viel Binnenmarkt kann China im Jahr 2050 überhaupt noch aufweisen?
Japan kann unter anderem aufgrund seiner hohen Wirtschaftsleistung vergleichsweise einfacher als China die Überalterung der Gesellschaft verkraften. In Europa wird der Bevölkerungsrückgang dagegen maßgeblich auch durch Zuwanderungen beeinflusst – eine Option, die in China weder von der Regierung noch gesellschaftlich derzeit diskutiert wird. Insoweit sind der rapide Anstieg und der nun folgende Rückgang der Bevölkerung in Festlandchina weltweit einzigartig.
Deutsche Unternehmen können sich jetzt schon für die Zukunft des Arbeitsmarkts in China rüsten und weiter verstärkt in Automatisierung/Digitalisierung investieren. Mittelfristig werden die Bemühungen für die Rekrutierung von Arbeitskräften sicherlich steigen. Gleichzeitig können sich Unternehmen mittel- und langfristig auf eine veränderte Alterspyramide einstellen und entsprechend frühzeitig im chinesischen Absatzmarkt mit ihren Produkten positionieren.
Nach seinem Abschluss in International Business begann Sebastian Huth 2006 bei PwC als Prüfungsassistent in Düsseldorf. Dort wurde er 2011 als Steuerberater und 2013 als Wirtschaftsprüfer bestellt. Danach wechselte er nach Siegen. Neben seinen Kenntnissen in internationalen Konzernprüfungen verfügt er über langjährige Erfahrung in der Betreuung von nationalen und internationalen Familienunternehmen. Ab 2017 war er in Köln verantwortlich für die Steuerung und Leitung von Konzernprüfungen börsennotierter Unternehmen. Seit April 2021 ist er erster Ansprechpartner am German Desk von PwC Shanghai. Im Vordergrund stehen für ihn die persönliche Betreuung deutschsprachiger Mandanten in China und der Ausbau des internationalen Netzwerks.
Tel.: +86 21 2323-5028
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