China ist einer der wichtigsten Handelspartner der deutschen Wirtschaft. Technologisch ist das Land in vielen Bereichen führend – etwa bei Elektromobilität oder künstlicher Intelligenz. Was können wir von China lernen? Was nicht? Um diese Fragen ging es bei der Inspirationsreise nach China der INTES Akademie für Familienunternehmen. Ein Erfahrungsbericht und einige Anregungen von Christoph Haß, Geschäftsführer von Possehl Digital.
Ein Milliardenmarkt, ein atemberaubendes Innovationstempo, enorme Technologiekompetenz: Für deutsche Unternehmen führt kein Weg an China vorbei – trotz geopolitischer Spannungen. Auch nicht für uns, die Possehl-Gruppe. Meine Reise nach China, angeboten von der INTES Akademie für Familienunternehmen in Kooperation mit PwC, hat diesen Eindruck bestätigt.
In sechs Tagen lernten wir – eine Reisegruppe von Familienunternehmern und Geschäftsführern – die drei Städte Shanghai, Hangzhou und Beijing kennen, tauschten uns mit Techunternehmen aus und führten Hintergrundgespräche mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Besonders beeindruckt haben mich die Besuche bei der Shanghai Data Exchange, der ersten klassischen Börse für den Handel mit Daten, und bei den Handelsriesen Alibaba und JD.com, die über eine gigantische Marktmacht verfügen. Faszinierend fand ich auch Technologieunternehmen wie Shenhao Robotics, Dahua und iFlytek, die mit künstlicher Intelligenz ganze Branchen verändern.
Auf unserer Reise haben wir auch Eindrücke vom Leben in den Städten gewonnen. Das war nicht nur angenehm. Videokameras sind allgegenwärtig, allein in Shanghai mit seinen rund 26 Millionen Einwohnern sind es über 60 Millionen. Diese Form der Überwachung schafft Sicherheit, greift aber tief in die Privatsphäre ein, zumal fast überall Daten erfasst werden, etwa beim Einsteigen in die Bahn oder beim Bezahlen. Beeindruckend ist auch der Grad der Vernetzung: Alles ist digital, vom Bezahlen mit dem Handy bis zur All-in-One-App für Bahn, Taxi oder Bikesharing. Auch die E-Mobilität hat mich verblüfft. Auf Shanghais Straßen fahren zu 60 Prozent Elektroautos, unter denen chinesische Marken dominieren. Sie haben eine enorme Reichweite, ein ansprechendes Design – und sind vergleichsweise günstig. Für die deutsche Autoindustrie dürfte es schwer werden, hier aufzuholen.
China ist das Land der Technologien, aber diese sind ohne das politische System nicht denkbar. Mit „China 2049“ plant die Regierung langfristig und hat sich zum Ziel gesetzt, das wirtschaftlich stärkste Land der Welt zu werden. Diesem Plan ordnet die Politik alles unter. Ein zentrales Element des Plans sind Daten. Die Volksrepublik sammelt Unmengen davon, etwa mithilfe von Kameras, im Rahmen von Zahlungssystemen, bei der digitalen Produktion, auf Onlineplattformen, im Zuge von Unternehmensbeteiligungen oder Infrastrukturmaßnahmen im Inland. Die Daten werden gesammelt und monetarisiert, unter anderem über die Shanghai Data Exchange, die erste Datenbörse der Welt. Unternehmen sind zudem verpflichtet, Daten als Vermögenswerte zu aktivieren. Keine Frage, China will Innovations- und Technologieführer werden und damit Geld verdienen. Und das nicht nur im eigenen Land: Über Initiativen wie die Neue Seidenstraße sollen die Datentechnologien auch international verbreitet werden.
Tempo und Qualität der Innovationen in China sind beeindruckend. Aber sie haben ihren Preis. Der Wettbewerb ist gnadenlos, gesellschaftlich geht es darum, an der Spitze zu sein. Das fördert Innovation und Exzellenz, bedeutet aber auch, dass die Menschen mindestens zwölf Stunden am Tag arbeiten. Eine ehemalige Studentin hat mir erzählt, dass sie aus einfachen Verhältnissen kommt. Um das auszugleichen, hat sie sich voll auf ihr Studium konzentriert und sich ein Jahr lang täglich von 7 bis 23 Uhr auf eine Prüfung vorbereitet. Ihr Einsatz hat sich gelohnt, sie hat es unter die besten 40 von 1.000 Prüflingen geschafft. Diese junge Frau ist kein Einzelfall.
Auch dank solchen Engagements ist die Technologie in China weit fortgeschritten, auch wenn die Volksrepublik noch nicht in allen Bereichen führend ist. Gerade in der Grundlagenforschung sind wir in Deutschland aus meiner Sicht besser. Unsere Hürde: Deutschland agiert zu langsam und zu bürokratisch, denkt in Risiken. China sieht die Chancen von Innovation und Technologie und setzt sie in Geschäftsmodelle um.
Ein weiterer Vorteil: China denkt als Wirtschaftsmacht strategischer als wir. Anders als Deutschland hat China einen Plan, den es radikal umsetzt, ohne dabei alle Parameter im Detail festzulegen. Alle fünf Jahre gibt es rollierende Pläne, die mit gezielter staatlicher Förderung vorangetrieben werden. Im Ergebnis gibt sich die Volksrepublik zunächst mit 80 Prozent zufrieden – „Pareto-Prinzip“ statt „deutscher Ingenieurskunst“. Auch hier sehe ich Potenzial.
Was können wir also von China lernen? Hier meine persönlichen Schlussfolgerungen:
Die Reise hat mich inspiriert, ich bin mit viel Motivation und Lust auf Technologie, Innovation, Digitalisierung als Geschäftsmodell und Veränderungswillen zurückgekehrt. Ich möchte an unseren Visionen und der digitalen Zukunft des Mittelstands arbeiten. Vielleicht hilft dabei auch ein Abendessen am runden Tisch: In China findet fast jede Mahlzeit am runden Tisch statt. Das fördert den Austausch und das Miteinander, weil niemand abseits sitzt. Ich finde: Wir sollten uns öfter an runde Tische setzen!
Last but not least bedanke ich mich herzlich bei Britta Wormuth und Jan Jovy, die im Schulterschluss zwischen der INTES Akademie und PwC diese beeindruckenden Erfahrungen ermöglicht haben.
Christoph Haß ist Geschäftsführer von Possehl Digital. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder, nicht die seines Unternehmens oder der Possehl-Gruppe.
Hinweis: Der Originalbeitrag wurde in der Ausgabe 2/2024 des INTES UnternehmerBriefs veröffentlicht. Finden können Sie ihn hier.
Christoph Haß
Christoph Haß ist Geschäftsführer der Possehl Digital. Da er in den vergangenen Jahren in verschiedenen Positionen in der Digitalbranche tätig war, versteht er die Bedürfnisse der verschiedenen Akteure sehr gut. Als Geschäftsführer von Possehl Digital und Gesellschafter von Data Spark treibt er die KI-Transformation voran – in der Possehl Gruppe und im industriellen Mittelstand.
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