China Compass, Winter 2024

Inspired by China: Reise in ein beeindruckendes Technologie- und Innovationszentrum

Shanghai: Skyline bei Nacht
  • Newsletter
  • 10 Minuten Lesezeit
  • 19 Dez 2024

China ist einer der wichtigsten Handelspartner der deutschen Wirtschaft. Technologisch ist das Land in vielen Bereichen führend – etwa bei Elektromobilität oder künstlicher Intelligenz. Was können wir von China lernen? Was nicht? Um diese Fragen ging es bei der Inspirationsreise nach China der INTES Akademie für Familienunternehmen. Ein Erfahrungsbericht und einige Anregungen von Christoph Haß, Geschäftsführer von Possehl Digital.

Ein Milliardenmarkt, ein atemberaubendes Innovationstempo, enorme Technologiekompetenz: Für deutsche Unternehmen führt kein Weg an China vorbei – trotz geopolitischer Spannungen. Auch nicht für uns, die Possehl-Gruppe. Meine Reise nach China, angeboten von der INTES Akademie für Familienunternehmen in Kooperation mit PwC, hat diesen Eindruck bestätigt.

In sechs Tagen lernten wir – eine Reisegruppe von Familienunternehmern und Geschäftsführern – die drei Städte Shanghai, Hangzhou und Beijing kennen, tauschten uns mit Techunternehmen aus und führten Hintergrundgespräche mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Besonders beeindruckt haben mich die Besuche bei der Shanghai Data Exchange, der ersten klassischen Börse für den Handel mit Daten, und bei den Handelsriesen Alibaba und JD.com, die über eine gigantische Marktmacht verfügen. Faszinierend fand ich auch Technologieunternehmen wie Shenhao Robotics, Dahua und iFlytek, die mit künstlicher Intelligenz ganze Branchen verändern.

Auf unserer Reise haben wir auch Eindrücke vom Leben in den Städten gewonnen. Das war nicht nur angenehm. Videokameras sind allgegenwärtig, allein in Shanghai mit seinen rund 26 Millionen Einwohnern sind es über 60 Millionen. Diese Form der Überwachung schafft Sicherheit, greift aber tief in die Privatsphäre ein, zumal fast überall Daten erfasst werden, etwa beim Einsteigen in die Bahn oder beim Bezahlen. Beeindruckend ist auch der Grad der Vernetzung: Alles ist digital, vom Bezahlen mit dem Handy bis zur All-in-One-App für Bahn, Taxi oder Bikesharing. Auch die E-Mobilität hat mich verblüfft. Auf Shanghais Straßen fahren zu 60 Prozent Elektroautos, unter denen chinesische Marken dominieren. Sie haben eine enorme Reichweite, ein ansprechendes Design – und sind vergleichsweise günstig. Für die deutsche Autoindustrie dürfte es schwer werden, hier aufzuholen.

System und Politik: Daten als neue Währung

China ist das Land der Technologien, aber diese sind ohne das politische System nicht denkbar. Mit „China 2049“ plant die Regierung langfristig und hat sich zum Ziel gesetzt, das wirtschaftlich stärkste Land der Welt zu werden. Diesem Plan ordnet die Politik alles unter. Ein zentrales Element des Plans sind Daten. Die Volksrepublik sammelt Unmengen davon, etwa mithilfe von Kameras, im Rahmen von Zahlungssystemen, bei der digitalen Produktion, auf Onlineplattformen, im Zuge von Unternehmensbeteiligungen oder Infrastrukturmaßnahmen im Inland. Die Daten werden gesammelt und monetarisiert, unter anderem über die Shanghai Data Exchange, die erste Datenbörse der Welt. Unternehmen sind zudem verpflichtet, Daten als Vermögenswerte zu aktivieren. Keine Frage, China will Innovations- und Technologieführer werden und damit Geld verdienen. Und das nicht nur im eigenen Land: Über Initiativen wie die Neue Seidenstraße sollen die Datentechnologien auch international verbreitet werden.

Werte und Gesellschaft: vom Wunsch, an der Spitze zu sein

Tempo und Qualität der Innovationen in China sind beeindruckend. Aber sie haben ihren Preis. Der Wettbewerb ist gnadenlos, gesellschaftlich geht es darum, an der Spitze zu sein. Das fördert Innovation und Exzellenz, bedeutet aber auch, dass die Menschen mindestens zwölf Stunden am Tag arbeiten. Eine ehemalige Studentin hat mir erzählt, dass sie aus einfachen Verhältnissen kommt. Um das auszugleichen, hat sie sich voll auf ihr Studium konzentriert und sich ein Jahr lang täglich von 7 bis 23 Uhr auf eine Prüfung vorbereitet. Ihr Einsatz hat sich gelohnt, sie hat es unter die besten 40 von 1.000 Prüflingen geschafft. Diese junge Frau ist kein Einzelfall.

Technik: in Chancen statt in Risiken denken

Auch dank solchen Engagements ist die Technologie in China weit fortgeschritten, auch wenn die Volksrepublik noch nicht in allen Bereichen führend ist. Gerade in der Grundlagenforschung sind wir in Deutschland aus meiner Sicht besser. Unsere Hürde: Deutschland agiert zu langsam und zu bürokratisch, denkt in Risiken. China sieht die Chancen von Innovation und Technologie und setzt sie in Geschäftsmodelle um.

Strategie und Umsetzung: Pragmatismus statt Perfektionismus

Ein weiterer Vorteil: China denkt als Wirtschaftsmacht strategischer als wir. Anders als Deutschland hat China einen Plan, den es radikal umsetzt, ohne dabei alle Parameter im Detail festzulegen. Alle fünf Jahre gibt es rollierende Pläne, die mit gezielter staatlicher Förderung vorangetrieben werden. Im Ergebnis gibt sich die Volksrepublik zunächst mit 80 Prozent zufrieden – „Pareto-Prinzip“ statt „deutscher Ingenieurskunst“. Auch hier sehe ich Potenzial.

Schlussfolgerungen für die deutsche Industrie

Was können wir also von China lernen? Hier meine persönlichen Schlussfolgerungen:

  • Kein Schwarz-Weiß-Denken: China als System muss differenziert und kritisch betrachtet werden. Das Land ist in vielen Bereichen besser organisiert und ehrgeiziger, was uns in vielen Branchen und Technologiefeldern ins Hintertreffen gebracht hat. Aber China hat ein anderes politisches System und andere Wertvorstellungen. Ich finde den Leistungsdruck zu groß, die Überwachung zu umfassend.
  • De-Risking kann vieles bedeuten: Seien wir ehrlich zu uns selbst – ohne China kann die deutsche Wirtschaft nicht bestehen. De-Risking kann auch bedeuten, in China für China zu produzieren. In jedem Fall braucht fast jedes deutsche Unternehmen eine China-Strategie. Wichtig ist, sich intensiv mit der Situation vor Ort auseinanderzusetzen und zu berücksichtigen, dass auch China De-Risking betreibt. Aber die Volksrepublik kann besser auf uns verzichten als wir auf sie, denn in China leben mehr als 1,4 Milliarden Menschen. Deshalb haben wir als Europa bessere Chancen als Deutschland allein.
  • Wir müssen umdenken: Ich stehe hinter unseren demokratischen Werten. Gleichzeitig wünsche ich mir eine Umsetzungsstärke, eine Schnelligkeit und einen Pragmatismus wie in China. Wir müssen Veränderungen zulassen, zukunftsorientiert denken, statt uns auf unsere traditionellen Technologien und Stärken zu verlassen.
  • Vision und Umsetzung: Was uns in Deutschland fehlt, ist eine Vision für den industriellen Mittelstand. Wo wollen wir Technologieführer werden? Welche (digitalen) Technologien sichern unseren Wohlstand und sind unser Geschäftsmodell der Zukunft? Hier müssen wir als Unternehmen, aber auch als Staat handeln.
  • Digitalisierung, Technologie und Innovation als Geschäftsmodell denken: Im Vergleich zu China betrachten wir Digitalisierung, Innovation und Technologie zu stark aus der Perspektive des Return on Investment (ROI). Natürlich ist das wichtig. Gleichzeitig sollten wir uns fragen, wie wir mit Digitalisierung Geld verdienen können und nicht nur Geld sparen. China denkt an den Gewinn durch Daten – Kosteneinsparungen sind nur ein Nebenprodukt.
  • Unsere Hausaufgaben machen: Letztlich liegt es an uns, eine Vision für unsere Zukunft zu entwickeln. Wichtig ist, dass wir diese Vision rasch und konsequent umsetzen. Wir sollten die Frage beantworten, wie unsere Wertschöpfungskette in Zukunft aussehen soll und welche Rolle wir in einer global vernetzten Welt spielen wollen.
  • China ist nicht gleich China: Wir haben nur einen kleinen Ausschnitt des Landes gesehen. Die Volksrepublik hat einen anderen Blick auf viele Themen und Konfliktpunkte, aber Technologie ist immer auch Politik. Das darf man nicht vergessen.

Mein Fazit der Reise

Die Reise hat mich inspiriert, ich bin mit viel Motivation und Lust auf Technologie, Innovation, Digitalisierung als Geschäftsmodell und Veränderungswillen zurückgekehrt. Ich möchte an unseren Visionen und der digitalen Zukunft des Mittelstands arbeiten. Vielleicht hilft dabei auch ein Abendessen am runden Tisch: In China findet fast jede Mahlzeit am runden Tisch statt. Das fördert den Austausch und das Miteinander, weil niemand abseits sitzt. Ich finde: Wir sollten uns öfter an runde Tische setzen!

Last but not least bedanke ich mich herzlich bei Britta Wormuth und Jan Jovy, die im Schulterschluss zwischen der INTES Akademie und PwC diese beeindruckenden Erfahrungen ermöglicht haben.

Zum Unternehmen

Christoph Haß ist Geschäftsführer von Possehl Digital. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder, nicht die seines Unternehmens oder der Possehl-Gruppe.

Hinweis: Der Originalbeitrag wurde in der Ausgabe 2/2024 des INTES UnternehmerBriefs veröffentlicht. Finden können Sie ihn hier.

Christoph Haß

Christoph Haß ist Geschäftsführer der Possehl Digital. Da er in den vergangenen Jahren in verschiedenen Positionen in der Digitalbranche tätig war, versteht er die Bedürfnisse der verschiedenen Akteure sehr gut. Als Geschäftsführer von Possehl Digital und Gesellschafter von Data Spark treibt er die KI-Transformation voran – in der Possehl Gruppe und im industriellen Mittelstand. 

Interesse geweckt?

Sichern Sie sich die aktuellen Informationen und melden sich an. Als Abonnent der digitalen Ausgabe erhalten Sie dreimal im Jahr ein Informationsupdate.

PwC China Compass

Als Abonnent erfahren Sie, wie Sie Chancen und Gestaltungsspielräume vorausschauend nutzen und Risiken des China-Geschäfts sicher umschiffen.

Follow us

Contact us

Marc Tedder

Marc Tedder

Partner, PwC China Business Group Leader & Chairman PwC European China Business Group, PwC China

Dr. Katja Banik

Dr. Katja Banik

Redaktionsleitung, PwC Germany

Tel.: +49 151 14262429

Hide