29 März, 2023
Chinas Luftfahrtindustrie wächst weltweit am dynamischsten. Gleichzeitig ist das Land noch immer abhängig von westlichen Zulieferern, allen voran Airbus und Boeing.
Nach einem von der kürzlichen Öffnung Chinas beflügelten Anstieg des Passagieraufkommens im Jahr 2023 dürfte dieser Industriezweig auch in den Folgejahren weiter kraftvoll expandieren und damit Chancen für europäische Unternehmen der Luftfahrtindustrie bieten.
Das weltweite Passagier- und Frachtaufkommen (PFK) in der Luftfahrtindustrie steigt, nach den Lockerungen der Reisebeschränkungen ab Dezember 2022 speziell in China. Das weltweite Passagieraufkommen wird aller Voraussicht nach innerhalb der nächsten zwölf bis 24 Monate wieder das Niveau von 2019 erreichen und dann weiter zulegen. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass sich Geschäftsreisen voraussichtlich nachhaltig ändern werden.
PwC-Prognosen gehen davon aus, dass sich die Passagiernachfrage im Jahr 2023 erneut stark erhöht, da die Wiederöffnung Chinas für den ein- und ausgehenden Reiseverkehr einen Reiseschub auslösen und damit den wirtschaftlichen Gegenwind in anderen Teilen der Welt weitgehend ausgleichen wird. Ein Anstieg der Passagierkilometer (RPK) um 21 Prozent in diesem Jahr, gefolgt von 17 Prozent im Jahr 2024, wird das weltweite Verkehrsaufkommen über das Niveau von 2019 heben. Die Branche wird sich mithin zwölf Monate früher erholen als ursprünglich erwartet.
Ab 2024 dürfte sich das Nachfragewachstum dann wieder nach dem von Zyklen beeinflussten historischen Muster entwickeln. Viele Fluggesellschaften werden aller Voraussicht nach länger brauchen, um ihre Post-COVID-Bilanzen zu sanieren. Dennoch werden auch sie Flugzeuge der neusten Generation benötigen, um ihre Wachstumspläne zu verwirklichen und ihre ESG-Ratings zu verbessern, die sowohl für Reisende als auch für Investoren immer wichtiger werden.
Die wichtigste Wachstumsregion in Prognosen bis 2040 ist neben dem Mittleren Osten vor allem China. Hier fliegt die Bevölkerung im Vergleich zu Nordamerika und Europa zwar weniger, mit der steigenden Kaufkraft werden sich aber Bedarf und Reiselust der Chinesen deutlich erhöhen.
Nach Prognosen des Boeing Commercial Market Outlook (CMO) wird das Passagieraufkommen in China von 2022 bis 2041 jährlich um 4,9 Prozent steigen. Das ist deutlich mehr als das Wachstum von 3,8 Prozent im globalen Durchschnitt. Entsprechend wird der Marktanteil Chinas am Passagierflugmarkt von aktuell 18 Prozent auf 23,3 Prozent im Jahr 2041 zunehmen. Damit würde China sich vom dritt- zum weltweit größten Markt entwickeln.
Um diesem Bedarf gerecht zu werden, erwarten die beiden bisherigen Hauptlieferanten Airbus und Boeing, dass bis 2041 insgesamt bis zu 8.500 neue Flugzeuge nach China ausgeliefert werden müssen.
Das würde einem jährlichen Bedarf von circa 400 Flugzeugen und einem durchschnittlichen Wachstum der Flotte von 4,2 Prozent pro Jahr entsprechen. Die meisten dieser Flugzeuge dürften dabei Schmalrumpfflugzeuge (Narrow Body Aircraft) mit nur einem Kabinengang sein.
Weltweit wird mittlerweile rund ein Drittel der Flugzeuge durch Leasing finanziert und Chinas Wirtschaft wird bei diesem Wachstum ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Nach einer aktuellen Studie von PwC Irland haben neun der 20 größten Leasingfirmen ihren Sitz in China.
Mit der höheren Zahl der Flugzeuge und einer zu erwartenden längeren Betriebslaufzeit nimmt auch der Wartungsbedarf zu. Um ihm gerecht zu werden, sind Ausrüstungsgegenstände für Reparaturen und speziell ausgebildetes Personal erforderlich. Airbus geht von 154.000 benötigten neuen Technikern bis 2041 aus. Das bietet sowohl Herstellern von Reparaturwerkzeugen als auch Dienstleistern für Berufsbildung weitere Geschäftsmöglichkeiten.
Um dem steigenden Luftverkehr gerecht zu werden, strebt die chinesische Regierung ferner an, bis Ende 2035 über 400 zivile Verkehrsflughäfen im Land zu betreiben. Das entspricht einem Anstieg von 150 Flughäfen gegenüber den 241 zertifizierten Flughäfen im Jahr 2020. China plant also bis 2035 durchschnittlich jeden Monat einen neuen Flughafen zu eröffnen.
Chinesische Fluglinien nutzen zwar hauptsächlich Flugzeuge von Airbus und Boeing, aber im Frühjahr 2023 soll ein Narrow Body Aircraft eines weiteren Herstellers in Betrieb genommen werden: die C919 des Shanghaier Flugzeugproduzenten COMAC.
An der Entwicklung des chinesischen Luftfahrtmarkts können neben den großen Herstellern auch mittelständische Unternehmen partizipieren. Insbesondere in Nischen bestehen für europäische Firmen grundsätzlich gute Möglichkeiten. Dabei gilt es, Risiken zu berücksichtigen und sich im Markt richtig zu positionieren.
Für chinesische Fluglinien und Zulieferer sind internationale Referenzen ein wichtiges Kriterium für den Kauf von Produkten. Das kann für etablierte europäische Zulieferer von Vorteil sein.
Jan Jovy ist Director Inbound/Outbound Services bei PwC in China. In der European Business Group unterstützt er Unternehmen, speziell aus Europa und China, bei internationalen Markteinstiegs-, Expansions- und Transformationsvorhaben. Jan Jovy war sieben Jahre als General Manager bei Auslandshandelskammern in Greater China an der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik tätig und leitete davor fünf Jahre die Greater-China-Aktivitäten eines mittelständischen deutschen Unternehmens.
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Robert Herzner ist Chief Representative Hongkong der GTAI Germany Trade & Invest. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung in Hongkong und Südchina liegt sein Fokus auf der Berichterstattung für deutsche Unternehmen in den Bereichen Handel und Lieferketten, Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) sowie Finanzwirtschaft. Wie zuvor in Shanghai begleitet er ausländische Unternehmen bei der Ansiedlung in Deutschland.
Von GTAI ist eine längere Version dieses Artikels mit weiteren Hinweisen erschienen.
PwC’s „Aviation Inside“ (Englisch): Die Publikation bietet Einblicke und Updates zu aktuellen Themen und Aktivitäten in der Luftfahrtindustrie. Sie erscheint etwa 4-mal pro Jahr.
PwCs „2023 Aviation Industry Review & Outlook“ (in Englisch) und Press Releases