Begriffe wie De-Risking oder China plus 1 sind derzeit oft in deutschen Unternehmen mit China-Geschäft zu hören. Ein wichtiger Teilbereich der Debatte betrifft die Produktion und die Lieferketten in China. Unternehmen fragen sich: Müssen wir unsere Lieferketten und die Beziehungen zu unseren Lieferanten, die wir über viele Jahre in China aufgebaut und gepflegt haben, neu ordnen?
Um den aktuellen Stand der Diskussion aufzuzeigen sowie mögliche Ansatzpunkte und Faktoren für eine etwaige Neuordnung auszuloten, lud PwC China im März 2023 rund 100 Führungskräfte multinationaler Unternehmen (MNC) zu einem Austausch ins neu eröffnete PwC Center in Shanghai ein. Während des Treffens befragten wir die Vertreter der MNC mittels einer Kurzumfrage auch direkt nach dem aktuellen Stand in ihren Unternehmen. Über die wichtigsten Ergebnisse dieser Befragung informiert Sie dieser Beitrag. Den Link zum vollständigen Bericht finden Sie am Ende der Seite.
Die Antworten auf die ersten Fragen der Kurzumfrage bestätigen: Allein die Größe des chinesischen Marktes ist für die meisten MNC weiterhin der wesentliche Grund, sich vor Ort zu engagieren. Auf die Frage, welche ausschlaggebenden Faktoren die Unternehmen dazu veranlassten, ihre Lieferketten in China aufzubauen, nannten über 80 Prozent der Teilnehmer den großen Inlandsmarkt.
Darüber hinaus sprechen die Befragten dem chinesischen Lieferantenmarkt die folgenden Qualifikationen zu: Er verfüge über vollständige industrielle Wertschöpfungsketten, sagen 40 Prozent der Teilnehmer, 36 Prozent halten die Infrastruktur für gut und 32 Prozent die Produktionsbetriebe für dynamisch und flexibel. 22 Prozent sehen in der Anzahl und Qualifikation der Arbeitskräfte einen weiteren Standortvorteil Chinas.
Trotz seiner zahlreichen Vorteile wird es für multinationale Unternehmen zunehmend schwieriger, erfolgreich durch den chinesischen Lieferantenmarkt zu navigieren. Konfrontiert sind vor allem die Unternehmen, die ihre Lieferketten in China aufgebaut haben, mit geopolitischen Unsicherheiten (79 Prozent), dem nachlassenden Marktwachstum (43 Prozent) und steigenden Kosten (39 Prozent). Eine Herausforderung für die Unternehmen ist aber auch der zunehmende Wettbewerb von Produkten und Dienstleistungen, die an günstigeren Standorten produziert und erbracht werden (25 Prozent).
Trotz der zunehmenden Herausforderungen bleibt der größte Teil der MNC dem chinesischen Lieferantenmarkt eng verbunden. So gaben in der Umfrage mehr als 70 Prozent der Befragten an, sie beschäftigten sich derzeit nicht mit der Verlagerung von Produktionskapazitäten oder Beschaffungsvolumen aus China.
Dagegen ziehen immerhin 18 Prozent eine Verlagerung der Produktion oder des Einkaufs bei Lieferanten durchaus in Erwägung, haben sich aber noch nicht endgültig entschieden. Zwölf Prozent gaben an, sie seien dabei, Lieferketten außerhalb Chinas aufzubauen, oder hätten das bereits getan.
Eine Rückverlagerung in ihre jeweiligen Heimatländer (Reshoring) ist für die meisten Unternehmen keine Option. Sie erwägen vielmehr, andere Länder im asiatisch-pazifischen Raum zu Standorten für Produktion oder Einkaufsmarkt zu machen (China plus 1).
Vietnam, Indien und Indonesien sind die Favoriten unter den China-Nachfolgern
Als drei potenzielle Ziele für ihre Investitionen nennen die Teilnehmer Vietnam, Indien und Indonesien. Was diese drei Länder verbindet, ist vor allem ihre große und sehr junge Bevölkerung. Damit bringen sie sich auch als große Verbraucher- und Arbeitsmärkte ins Spiel. Außerdem haben die Regierungen dieser Länder ihre Märkte in den letzten Jahren durch wirtschaftspolitische Reformen stärker geöffnet und damit die Rahmenbedingungen geschaffen, die für ausländische Investitionen förderlich sind.
Auf die Frage nach den wesentlichen Faktoren für den Aufbau von Produktions- und Lieferketten gaben die Führungskräfte an: Ausschlaggebend seien für sie Löhne und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften
(65 Prozent), Transportkosten und die Effizienz von Logistikeinrichtungen (46 Prozent), gefolgt von Handels- und Zollfragen (41 Prozent) und die geografische Nähe zu den jeweiligen Kunden (28 Prozent).
Gegenwärtig verfügt China noch über wesentliche Standortvorzüge als Produktions- und Beschaffungsmarkt. Vorzüge gegenüber anderen Ländern sind die Größe des Marktes, die gut ausgebaute und effiziente Logistikinfrastruktur, aber auch die in vielen Industriebereichen gut eingespielten Wertschöpfungsketten.
Auf der Negativseite schlagen die zunehmenden geopolitischen Unsicherheiten zu Buche. Parallel stiegen auch die Kosten in den letzten Jahren stark an, speziell im Vergleich zu anderen Ländern im asiatisch-pazifischen Raum.
Aus diesem Grund haben einige Unternehmen damit begonnen, zumindest Teile ihrer Geschäftstätigkeit und Beschaffung aus China zu verlagern. Vietnam, Indien und Indonesien sind zu den Nutznießern dieser Umstrukturierung der Lieferketten mithilfe der Strategie China plus 1 geworden.
Den vollständigen Bericht: „Insights from MNCs Senior Executives in China: Supply chain transformation in Asia Pacific (Spring 2023)“ finden Sie hier:
Jan Jovy ist Director Inbound/Outbound Services bei PwC in China. Als Teil der European Business Group unterstützt er Unternehmen, speziell aus Europa und China, bei internationalen Markteinstiegs-, Expansions- und Transformationsvorhaben. Jan Jovy war sieben Jahre als General Manager bei Auslandshandelskammern in Greater China an der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik tätig und leitete davor fünf Jahre die Greater-China-Aktivitäten eines mittelständischen deutschen Unternehmens.
Tel.: +86 2323 7795
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