21 Juni, 2019
Mit der Reform der Einkommensteuer hat China das Konzept der chinesischen Einkommensteuer zum 1. Januar 2019 grundlegend neu geordnet. Vor allem ausländische Unternehmen, die Mitarbeiter nach China entsenden, müssen sich auf Änderungen einstellen.
Die Reform reduziert die Einkommensteuerlast für kleine und mittlere Einkommen. Sie berücksichtigt soziale Faktoren wie Kinderausbildung und Pflege der Eltern und wendet sich ab vom alten System hin zu einem flexiblen Begriff von Einkommen. Der Preis dafür: Mit den Änderungen steigt die Komplexität der Berechnung.
Aus Sicht ausländischer Unternehmen betrifft die Reform der Einkommensteuer vor allem drei Gruppen von Steuerpflichtigen:
Wichtige Änderungen für drei Gruppen
China hat die Reform der Einkommensteuer in zwei Stufen umgesetzt: Seit dem 1. Oktober 2018 gab es Änderungen beim pauschalen Abzug von Werbungskosten und die Steuerprogression wurde abgeflacht. Seit dem 1 Januar 2019 gelten alle weiteren Veränderungen.
Zum 1. Oktober 2018 wurde der pauschale Abzug von Werbungskosten einheitlich auf 5.000 Yuan (CNY) pro Monat (60.000 CNY pro Jahr) erhöht. Davor waren 3.500 CNY pro Monat für Angestellte mit chinesischer und 4.800 CNY pro Monat für solche mit ausländischer Staatsangehörigkeit erlaubt.
Daneben gab es zum 1. Oktober 2018 Änderungen in der Steuerprogressionstabelle für das „umfassende Einkommen“ – die Einkünfte aus selbstständiger und nicht selbstständiger Arbeit sowie Autoren- und Lizenzverträgen. Sie steigt im unteren und mittleren Einkommensbereich nur noch verhalten.
Vergleich der anwendbaren Steuersätze
Beide Faktoren zusammen bewirkten schon ab dem 1. Oktober 2018 eine spürbare Reduzierung der monatlichen Steuerbelastung eines Angestellten um bis zu 2.330 CNY pro Monat (oder 27.960 CNY pro Jahr).
Ein Angestellter mit chinesischer Staatsangehörigkeit verdient im Jahr 1.020.000 CNY (rund 134.000 Euro). Für die Berechnung der Steuer werden davon 60.000 CNY als pauschale jährliche Werbungskosten abgezogen. Um die Rechnung zu vereinfachen, berücksichtigen wir keine weiteren Steuerabzüge. Mit einem verbleibenden steuerpflichtigen Einkommen von 960.000 CNY unterliegt der Angestellte dem maximalen Steuersatz in Höhe von 45 Prozent (bitte beachten Sie Tabelle 2). Allerdings greift die jeweilige Progressionsstufe nur für den Gehaltsanteil, der die jeweilige Einkommensgrenze der Progressionsstufe überschreitet. Um diesen Effekt zu berücksichtigen, darf die errechnete Einkommensteuer je nach Progressionsstufe um einen Abzugsbetrag vermindert werden. Bitte beachten Sie Tabelle 3.
Ersparnis pro Jahr
Was sich ab dem 1. Januar 2019 ebenfalls komplett ändert, ist das Verfahren, nach dem Lohnsteuer monatlich berechnet wird. Bislang erfolgte die Berechnung auf Basis einer monatlichen Progressionstabelle mit Abgeltungswirkung. Die Folge war: Monatlich schwankende Einkünfte konnten wegen der Progression zu erheblichen Unterschieden bei der jährlichen Steuerlast führen. Das neue System arbeitet mit einer jährlichen Progressionstabelle.
Die Lohnsteuer wird kumuliert unter Berücksichtigung des bisher gezahlten Gehalts auf Basis der Jahrestabelle ermittelt. Anschließend wird die bisher bereits einbehaltene Lohnsteuer abgezogen.
Effektiver Steuersatz
Das Ziel dieser Berechnungsmethode ist, am Jahresende die über das Jahr gerechnet korrekte Lohnsteuer einbehalten zu haben. Bei monatlicher Betrachtung führt diese Methode jedoch kurioserweise dazu, dass die Lohnsteuer in den frühen Monaten des Kalenderjahrs geringer und in den späten Monaten höher ist.
Im Ergebnis beläuft sich die kumulierte Jahressteuerbelastung auf 31.080 CNY. Das sind effektiv circa 10,4 Prozent des angenommenen Jahresbruttogehalts und entspricht dem arithmetischen Mittel der (anfänglich sehr niedrigen und abschließend sehr hohen) monatlichen Effektivsteuersätze.
Seit dem 1. Januar 2019 können Steuerpflichtige in China spezifische zusätzliche Steuerabzüge geltend machen, die die persönlichen sozialen Verpflichtungen des Steuerpflichtigen berücksichtigen.
Um seine Abzüge geltend zu machen, nutzt der Steuerpflichtige zu Jahresbeginn eine App auf dem Smartphone, über die der er alle relevanten Daten und Details meldet. Das erlaubt schon bei der Datenerfassung eine intelligente Plausibilitätsprüfung sowie im Nachgang einen automatisierten Abgleich, ob bestimmte Steuerabzüge (wie für die Kinder) sowohl vom Ehemann als auch von der Ehefrau in Anspruch genommen werden. Für die Finanzverwaltung ist das System in Verbindung mit der ebenfalls neu eingeführten einheitlichen individuellen Steuernummer (TIN) ein überaus ergiebiger, sich selbst aktualisierender und vielseitig nutzbarer Datenpool. Den Arbeitgebern werden die individuellen Abzugsbeträge praktischerweise auch gleich elektronisch für die monatliche Berechnung der Lohnsteuer zugespielt.
Neue spezifische zusätzliche Steuerabzüge
Auch Angestellte ausländischer Staatsangehörigkeit können die spezifischen zusätzlichen Steuerabzüge geltend machen. Alternativ sieht das neue Einkommensteuerrecht vor, die in der Regel attraktiveren bisher geltenden Regelungen zur steuerfreien Erstattung bestimmter privater Lebenshaltungskosten wie Miete, Schulgebühren für die Kinder oder persönliche Heimflüge fortzuführen. Aus diesem Grund werden Angestellte mit ausländischer Staatsangehörigkeit diese zusätzlichen Steuerabzüge aktuell eher selten anwenden. Allerdings begrenzen die Implementierungsregelungen diese Fortführung auf die Jahre 2019 bis 2021. Bei unveränderter Rechtslage könnten daher ab 2022 die spezifischen zusätzlichen Steuerabzüge auch für Angestellte mit ausländischer Staatsangehörigkeit das Mittel der Wahl werden.
Nach dem alten Steuerrecht wurde der Jahresbonus über die „Zwölftelungsmethode“ begünstigt besteuert. Hintergrund der Begünstigung war die monatliche Steuerberechnung, die bei Berücksichtigung der Einmalzahlung des Jahresbonus in einem bestimmten Monat über die anzuwendende Steuerprogression zu einer erheblichen Mehrbelastung des Jahresbonus geführt hätte. Insoweit wurde der Jahresbonus bei einmaliger Auszahlung durch zwölf geteilt, die anwendbare Einkommensteuer auf diesen Teil (vom anderen Monatseinkommen gesondert) ermittelt und die ermittelte Monatssteuerlast dann wieder mit zwölf multipliziert.
Mit der Umstellung auf die Methode der Jahressteuerberechnung entfällt dieser monatliche Progressionseffekt für den Jahresbonus. Dennoch führt die Umstellung auf die Jahressteuerberechnung möglicherweise zu einer erheblichen Mehrbelastung, verglichen mit der ehemals besonders günstigen Besteuerung nach dem alten System.
Mögliche Mehrbelastungen pro Jahr
Um solche Mehrbelastungen zu vermeiden, hat die Finanzverwaltung in den Implementierungsregelungen eine Übergangsfrist bis 2021 eingeräumt, in der die alte Regelung in Anspruch genommen werden darf. Es bleibt abzuwarten, ob ab dem Jahr 2022 dann eine harte Umstellung auf das neue System erfolgen wird. Wer steuereffiziente Vergütungspakete plant, sollte diese mögliche Systemumstellung jedoch frühzeitig berücksichtigen.
Ausländische Staatsbürger werden in China in der Regel als „nicht in China beheimatet“ (not domiciled) betrachtet. Dessen ungeachtet erfolgt nach dem neuen Einkommensteuerrecht die Besteuerung in China als „steuerlich Ansässiger“ grundsätzlich, wenn sich der Steuerpflichtige in einem Steuerjahr mehr als 90 Tage in China aufhält. Im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen (wie dem deutsch-chinesischen) wird diese Frist meist auf 183 Tage verlängert. Damit vereinfacht das neue Einkommensteuerrecht die vormals geltenden Abstufungen, die eine steuerliche Ansässigkeit erst ab einem (nur unwesentlich unterbrochenen) Aufenthalt von einem ganzen Steuerjahr angenommen hatte. Auf der anderen Seite weitet die Neuregelung auch den Anwendungsbereich der steuerlichen Ansässigkeit in China aus. Lokal angestellte sowie langfristig nach China entsendete Ausländer werden von dieser Veränderung möglicherweise wenig bemerken. Sie werden das über ihre Tätigkeit in China oder für ein Unternehmen in China verdiente Gehalt unabhängig vom Ort der Auszahlung weiterhin in China versteuern. Bei kurzfristig entsendeten Ausländern ist hingegen in Zukunft verstärkt auf die Anwesenheitsdauer in China zu achten. Außerdem wird gerade bei Kurzfristentsendungen die Frage nach der Steuerpflicht in China schon bisher in komplexer Weise von der Prüfung der Auslösung einer steuerpflichtigen Betriebsstätte in China überlagert. Daher kann es auch bei Aufenthalten von weit weniger als 90 oder 183 Tagen zur Einkommensteuerpflicht in China kommen.
Zu beachten ist ferner die Neuregelung der Besteuerung ausländischer Einkünfte (Bitte beachten Sie: Mit ausländischen Einkünften sind nicht etwa im Ausland gezahlte oder verdiente Gehälter gemeint, sondern Einkünfte aus Kapitalvermögen oder Vermietung und Verpachtung) für in China ansässige ausländische Staatsbürger. Bisher konnte die Besteuerung ausländischer Einkünfte in China unterbleiben, wenn der ausländische Staatsbürger innerhalb eines Fünfjahreszeitraums in einem Kalenderjahr entweder kumuliert mehr als 90 Tage oder am Stück mehr als 30 Tage außerhalb Chinas verbracht hat. Durch diese Unterbrechung wurde jeweils wieder eine neue Fünfjahresfrist in Gang gesetzt.
Durch die neue Regelung wird die Fünfjahresfrist nun auf sechs Jahre ausgeweitet. Nicht fortgeführt wurde dagegen die Möglichkeit, die Anwesenheit durch eine kumulierte Abwesenheit von mehr als 90 Tagen zu unterbrechen. Insoweit ist im Rahmen der Neuregelung daher eine Abwesenheit am Stück von mehr als 30 Tagen in einem Kalenderjahr erforderlich, um innerhalb von sechs Jahren die Steuerpflicht ausländischer Einkünfte abzuwenden und eine neue Sechsjahresfrist in Gang zu setzen. Auch wurde unlängst im Nachgang klargestellt, dass die Sechsjahresfrist fuer Altfaelle einheitlich ab dem 1. Januar 2019 (neu) beginnt.
Mit Blick auf die Erstattung bestimmter privater Lebenshaltungskosten sehen die Neuregelungen zur Einkommensteuer eine auf drei Jahre (2019 bis 2021) befristete Fortführung der Steuerfreiheit vor. Schon bisher wurden für Angestellte mit ausländischer Staatsangehörigkeit in China bestimmte Erstattungen ausdrücklich von der Einkommensteuer ausgenommen, wenn diese in die vorgesehenen Kategorien fallen und betraglich angemessen waren. Das entfaltet positive Wirkungen in zweierlei Hinsicht. Für Angestellte, die selbst für die Einkommensteuer in China aufkommen, bedeutet die steuerfreie Erstattung beispielsweise der Schulkosten für die Kinder oder der Mietkosten für die Wohnung, dass diese Erstattung nicht durch die Hintertür einer höheren steuerlichen Bemessungsgrundlage zu einer erhöhten Steuerlast führt. Außerdem bedeutet die Steuerfreiheit der Erstattung für Unternehmen, die die chinesische Steuerlast für ihre Angestellten übernehmen, dass auf eine Hochrechnung der Steuerlast (Steuer auf die übernommene Steuer) zumindest für die Erstattungsbeträge verzichtet werden kann.
Insoweit ist es positiv, dass diese Regelungen nun zumindest für weitere drei Jahre fortgeführt werden. Ab 2022 könnten ausländischen Angestellten (oder Unternehmen) im Umkehrschluss jedoch erhebliche steuerliche Mehrbelastungen drohen, die sich aus der Besteuerung der in großen Städten sehr teuren Mieten und extremen Schulgebühren ergeben würden.
Mögliche Auswirkung eines Wegfalls der steuerfreien Erstattungen ab 2022
Mit der Reform der Einkommensteuer verfolgt die chinesische Regierung ein neues Konzept. Die Stoßrichtung der Reform ist, neben der sozialen Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, die weitere Modernisierung im Sinn einer umfassend anwendbaren Besteuerung aller Einkunftsarten. Die Einführung von einheitlichen individuellen Steuernummern sowie Antimissbrauchsregelungen sollen darüber hinaus die Durchsetzung staatlicher Ansprüche sicherstellen. Damit einher geht jedoch auch eine erhöhte Komplexität des Steuersystems für alle Beteiligten, nicht zuletzt auch für die Unternehmen, die die Lohnsteuer einbehalten müssen.
Chinesische Angestellte sollten von der Reform zunächst deutlich profitieren und „mehr Netto in der Lohntüte“ behalten. Mit Blick auf die Umstellung der Bonusbesteuerung nach drei Jahren müsste jedoch individuell geprüft werden, was dann vom ursprünglichen Steuervorteil noch übrig bleibt. Je nach Verhältnis von Grundgehalt und Bonus kann sich der positive Steuereffekt auf Basis der aktuellen Regelung ab 2022 auch umdrehen.
Für in China langfristig angestellte Ausländer ändert sich für die kommenden drei Jahre zunächst einmal nicht viel, außer dass sie wahrscheinlich leicht entlastet werden, da auch sie von der Streckung der Progressionsstufen profitieren. Bei Wegfall der Steuerfreiheit der Erstattung bestimmter privater Lebenshaltungskosten ab 2022 ist jedoch für viele mit einer erheblichen steuerlichen Mehrbelastung zu rechnen. Das sollten Unternehmen schon jetzt berücksichtigen, zum Beispiel bei der Planung von Entsendungen ausländischer Mitarbeiter, die über das Jahr 2021 hinausgehen sollen.
Alexander Prautzsch ist Tax Director bei PwC China im Büro Shanghai und Mitglied der European Business Group. Er berät europäische Kunden bei Investitionen in China und seine Schwerpunkte liegen auf chinesischen, deutschen und internationalen Steuerfragen für Firmenkunden und deren Mitarbeiter und Bereichen wie Anlageberatung, Restrukturierung, Gewinnrückführung oder Supply Chain Planning. Er ist deutscher Muttersprachler und spricht fließend Englisch und Mandarin.