China Compass, Sommer 2024

Schrumpfende Bevölkerung und zunehmende Regulierung in China: Welche Branchen bieten langfristige Perspektiven?

Menschen auf Zebrastreifen
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  • 05 Aug 2024

Chinas Binnenmarkt ist unverändert einer der größten Absatzmärkte weltweit. Gleichzeitig schrumpft die chinesische Bevölkerung kontinuierlich und der Anteil der Nichterwerbstätigen steigt. Laut The Economist Intelligence Unit ist davon auszugehen, dass im Jahr 2035 mehr als 450 Millionen Chinesen über 60 Jahre alt sein werden, was knapp 33 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht.

Daraus ergeben sich Chancen und Anforderungen unter anderem im Bereich der Automatisierung und im Gesundheitssektor. Diese Geschäftschancen werden jedoch zunehmend durch den Gesetzgeber und vielfach auch durch regionale Vorgaben auf Provinzebene eingeschränkt. Was bedeutet das für deutsche Unternehmen in China und was können wir von China lernen?

Kompensation fehlender ungelernter Arbeitskräfte durch digitale Alltagsanwendungen

Ein einfaches Beispiel aus dem Alltag kann verdeutlichen, wie das gelingt: In Shanghai werden auch im Jahr 2024 Parkplätze entlang der Innenstadtstraßen teilweise noch manuell von Mitarbeitern bewirtschaftet, das heißt, jeder Fahrer wird einzeln manuell abkassiert. Gleichzeitig gibt es in China mehrere Hundert Unternehmen, die im Bereich intelligente Parkmanagementsysteme tätig sind und unter anderem an der Vernetzung von Parkraum, Autos, Karten- und Bezahldiensten arbeiten.

In verschiedenen Stadien sind diese Systeme schon in Betrieb, wobei die Anwendungsfälle nicht nur in den großen Zentren, sondern insbesondere auch in kleineren Städten zu finden sind. Ein Grund dafür ist sicherlich die Verfügbarkeit von ungelernten Arbeitskräften in diesen Regionen.

In einer Anwohnerstraße im Shanghaier Stadtteil Xuhui wurden zum Beispiel kürzlich pro Parkplatz QR-Codes und Belegungsdetektoren installiert. Damit sind die technischen Voraussetzungen geschaffen, dass Benutzer digital bezahlen und andere Parkplatzsuchende über das Miniprogramm und Kartendienste freie Parkplätze finden können. Ungeachtet dessen sind auf dem Abschnitt weiterhin zwei Parkplatzwächter täglich im Dienst und arbeiten mit der Belegungsapp weiterhin manuell – vermutlich noch so lange, wie sie verfügbar sind.

Mit den aktuellen Investitionen in digitale Alltagslösungen kann China die sinkende Zahl an ungelernten Arbeitskräften sicherlich ein Stück weit kompensieren. Auch in Europa könnte man in einigen Bereichen davon profitieren und frühzeitig in digitale Lösungen investieren, um dem Arbeitskräftemangel in bestimmten Bereichen strategisch zu begegnen.

Automatisierung und Maschinenbau als Zukunftsoptionen

Abgesehen von den großen Produktionsbetrieben und deren direkten Zulieferern in China sind bei Zulieferern ab der zweiten Reihe häufig noch überwiegend manuelle Arbeitsabläufe in der Produktion anzutreffen. In den Industrieregionen im Osten des Landes entlang der Küste sind viele Unternehmen darauf angewiesen, einen Teil ihrer Arbeitskräfte aus anderen Regionen zu rekrutieren, inklusive Unterbringung in Wohnheimen und Charterflügen in die Heimat zum Neujahrsfest.

Aufgrund der demografischen Entwicklung werden diese Unternehmen in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten sicherlich in weitere automatisierte Produktionsprozesse investieren müssen. Für Maschinenbauer und andere Unternehmen, die automatisierte digitale Produktionslösungen anbieten, dürften sich daraus erhebliche Geschäftschancen ergeben. Traditionell sind deutsche Maschinenbauer in diesem Segment vertreten – hier wird es in Zukunft darauf ankommen, die neuen Marktchancen in China mit lokal angepassten Lösungen, vor allem auf lokalem Preisniveau, zu bedienen.

Staatliches Risikomanagement und Regulierung

In den letzten beiden Fünfjahresplänen der Zentralregierung wurden die Schlagworte „Risiko“ und „Sicherheit“ auffallend häufiger genannt als in den Jahren zuvor. Politisch gefasst ist dieses Themenfeld sehr breit und komplex. Im Folgenden wird der Fokus auf dem übergeordneten Risikomanagement der Zentralregierung liegen, das bereits konzeptionell weiter gefasst ist als der Begriff „De-Risking“, wie er in Europa verstanden wird.

Nach einem aktuellen Bericht der Europäischen Handelskammer sind europäische Unternehmen insbesondere von folgenden strategischen Handlungsfeldern betroffen:

  • Reduktion von Einfuhrabhängigkeiten
  • Abbau lokaler technologischer Engpässe
  • Bio-/Cybersicherheit
  • Abkopplung von westlicher Technologie

Diese übergeordneten Strategien werden von allen chinesischen Ministerien bei der Umsetzung neuer Regulierungen berücksichtigt und prägen damit die Industriepolitik beziehungsweise die Standortbedingungen für alle Unternehmen in China.

Augenheilkunde, Recycling und Altenpflege als Wachstumsbranchen

Nach einer Analyse der Europäischen Handelskammer gibt es derzeit in einigen Bereichen weniger umfangreiche staatliche Beschränkungen. Dazu gehören Augenheilkunde, Altenpflege, „grüne Produktionsprozesse, Energien, Kreislaufwirtschaft oder Recycling und Fischereiwesen. Gleichzeitig werden in diesen Segmenten vorrangig der lokale Absatzmarkt und weniger stark Exportstrategien gefördert.

Vor dem Hintergrund der eingangs erwähnten Alterspyramide in zehn Jahren mit voraussichtlich über 400 Millionen Einwohnern über 60 Jahren kann das Segment Augenheilkunde und teilweise Altenpflege für deutsche Unternehmen ein attraktives Wachstumssegment darstellen, das bisher weniger stark reguliert ist.

Landmaschinen, E-Commerce und moderne Logistik, ohne Kühlkettenlogistik, sind drei weitere Beispiele für ein mittleres Maß an staatlichem Risikomanagement. In diesen Fällen wird von öffentlicher Seite insbesondere der Bereich „Cyber-Security“ staatlich reguliert und kontinuierlich überwacht. Insofern dürften diese Segmente wahrscheinlich auch in Zukunft für deutsche Unternehmen in China attraktiv bleiben.

Am anderen Ende der Risikoskala befinden sich eine Reihe von Segmenten, in denen die Zentralregierung einerseits die globale Marktführerschaft anstrebt und andererseits einen besonderen Fokus auf Risikomanagement und staatliche Regulierung legt: Als Beispiele hierfür sind Elektromobilität, Medizintechnik, Pharmaindustrie und erneuerbare Energien zu nennen. In diesen Segmenten werden die Geschäftsbedingungen in China nicht nur durch lokale Wettbewerber, sondern auch durch Regulierung und staatliches Risikomanagement weiterhin herausfordernd bleiben.

Weitere regulatorische Hürden durch Fertigungslokalisierung

Ergänzend zum Risikomanagement implementiert die Zentralregierung zunehmend Anforderungen an die lokale Fertigung. Derzeit werden diese je nach Branche und Region noch sehr unterschiedlich gehandhabt. Gleichzeitig können sie insbesondere für europäische Unternehmen in China zu einem signifikanten Standortrisiko werden.

Auf Basis des Staatratsplans „Made in China 2025“ vom Mai 2015 soll zum Beispiel in der Medizintechnik bis 2030 die lokale Produktionsquote bei 95 Prozent liegen und damit der Importanteil auf 5 Prozent begrenzt werden. Auf der anderen Seite sind zum Beispiel im Maschinenbau derzeit keine lokalen Produktionsziele vorgesehen. Diese lokalen Fertigungsquoten werden derzeit regional sehr unterschiedlich gehandhabt, sodass die Komplexität der Geschäftsausrichtung in China auch in dieser Hinsicht immer herausfordernder wird.

Fazit

Unternehmerische Aktivitäten in China werden zunehmend durch Regulierungen der Zentral-, Provinz- oder Kommunalregierungen erschwert. Einzelne Sektoren stehen dabei besonders im Fokus und werden bereits im Tagesgeschäft stark reguliert.

Die Bereiche Maschinenbau, Augenheilkunde, Recycling und Altenpflege bieten insbesondere durch die Veränderung der Alterspyramide sowie den Rückgang der Erwerbstätigen in China weiterhin attraktive Geschäftschancen mit Wachstumspotenzial für deutsche Unternehmen und stehen gleichzeitig weniger stark im Fokus von Branchenregulierungen. Mehr als 400 Millionen Menschen über 60 Jahre mit weiter steigendem Vermögen, insbesondere Sparguthaben, bieten ein erhebliches Marktpotenzial – ein einzigartiger Markt weltweit.

Weitere Informationen

  • The Economist Intelligence Unit Limited „China’s demographic outlook and implications for 2035“ 30th Jan 2024
  • European Union Chamber of Commerce in China & China Macro Group „Riskful Thinking: Navigating the Politics of Economic Security“ 20th March 2024
Sebastian Huth, PwC Deutschland und PwC China Business Group

Sebastian Huth

Nach seinem Abschluss in International Business begann Sebastian Huth 2006 bei PwC als Prüfungsassistent in Düsseldorf. Dort wurde er 2011 als Steuerberater und 2013 als Wirtschaftsprüfer bestellt. Neben seinen Kenntnissen in internationalen Konzernprüfungen verfügt er über langjährige Erfahrung in der Betreuung von nationalen und internationalen Familienunternehmen. Von April 2021 bis Juni 2024 war er Mitglied der German Business Group von PwC Shanghai. Mitte 2024 Rückkehr nach Deutschland, PwC München und PwC China Business Group.

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