China Compass, Winter 2023

Turbulenzen am Immobilienmarkt

Mann mit Tablet an Geländer
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  • 29 Nov 2023

Auf dem chinesischen Immobilienmarkt zeichnet sich derzeit eine Trendwende ab, die von partiellen Überkapazitäten, sinkender Nachfrage und zunehmenden Zahlungsschwierigkeiten einzelner Gesellschaften begleitet wird.

Großen Einfluss darauf haben auch die politischen Rahmenbedingungen. Einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen verschafft Ihnen Manuel Eichen.

Marktüberblick

Nachrichten über die drohende Zahlungsunfähigkeit chinesischer Projektentwickler wie zuletzt Country Garden und Evergrande haben Anleger verunsichert, die in chinesische Immobilien investieren. Begleitet wird die Schieflage von einer insgesamt schwachen Entwicklung der chinesischen Gesamtwirtschaft, deren Wachstumsrate nach einer Prognose der OECD im Jahr 2024 mit 4,9 Prozent weit unterhalb der vergangenen 30 Jahre liegen wird. Die hohe Arbeitslosigkeit, besonders unter jungen Chinesen, die noch immer spürbaren Auswirkungen der Coronapandemie, ein Rückgang der Exporte und ein daraus resultierender mäßiger Binnenkonsum tragen zu der Entwicklung bei und wirken sich auch auf die Nachfrage auf dem Immobilienmarkt aus.

Die Immobilienbranche ist mit einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von rund 25 Prozent eine wichtige Stütze für die chinesische Gesamtwirtschaft und damit von besonderem politischen Interesse. Alle wesentlichen Indikatoren wie Investitionen in Projektentwicklungen, verkaufte Wohnfläche und Immobilienklimaindex belegen eine seit 2022 schwache Nachfrage und restriktivere Finanzierung der Branche.

Infografik PwC China Compass, Winter 2023: Veränderungen Immobilienmarkt

Der Trend signalisiert eine Kehrtwende des Immobilienbooms in China im letzten Jahrzehnt, von dem vorrangig Projektentwickler betroffen sind. So war im Jahr 2022 ein deutlicher Rückgang in neuen Projekten (–10,0 Prozent) und deren Finanzierung (– 25,9 Prozent) zu beobachten, einhergehend mit weniger Verkäufen von Wohnbauprojekten aus Projektentwicklungen (– 24,3 Prozent). Dieser Trend setzt sich 2023 fort. Vor allem Projektentwickler, die sich in den vergangenen Jahren über Fremdkapital finanzierten, sind von der Trendwende im Immobilienmarkt betroffen und geraten in Zahlungsschwierigkeiten.

Drei rote Linien und ihre Auswirkungen auf Projektentwickler

Nach mehr als einer Dekade steigender Immobilienpreise, hoher Nachfrage und in der Folge steigenden Schulden der Projektentwickler hat die chinesische Regierung im August 2020 die „drei roten Linien“ eingeführt. Bei dieser Maßnahme handelt es sich um strenge finanzielle Auflagen für Bauträger, die erfüllt werden müssen, wenn sie Kredite aufnehmen möchten.

Für chinesische Immobilienunternehmen gelten nun die folgenden drei Vorgaben:

  • Das Verhältnis von Verbindlichkeiten zu allen Anlagegütern des Unternehmens darf nicht mehr als 70 Prozent betragen.
  • Der Nettoverschuldungsgrad muss unter 100 Prozent des Eigenkapitals liegen.
  • Das Verhältnis von liquiden Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten muss mindestens dem Faktor 1,0 entsprechen.

Bei Einhaltung dieser Kriterien kann ein Unternehmen im nächsten Jahr seine Verschuldung um bis zu 15 Prozent erhöhen, bei Verletzung der Kriterien wird die zulässige Verschuldung prozentual herabgestuft. Entsprechende Einschränkungen für die Vergabe von Krediten wurden auch den Banken auferlegt.

Infografik PwC China Compass, Winter 2023: Verschuldung großer Projektentwickler

Aufgrund des hohen Verschuldungsgrads der chinesischen Projektentwickler führte die Einführung der politischen Maßnahme zunächst zu erheblichen Einschränkungen bei der Aufnahme von neuem Fremdkapital. Zusammen mit der anhaltend rückläufigen Nachfrage – 100 der größten Bauträger verzeichneten im Juli 2023 einen Rückgang ihrer Verkäufe um 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – gerieten etwa 25 Prozent der chinesischen Projektentwickler finanziell unter Druck.

Die Einschränkungen bei der Finanzierung sind die wichtigste Ursache für die Verringerung der Bautätigkeit in China und den Rückgang von Arbeitsplätzen im Segment. Da die Projektentwicklung üblicherweise vor Baubeginn verkauft wird, führt eine Insolvenz zum Ausfall der teils hohen Anzahlungen von Käufern ohne entsprechende Gegenleistung. Das hat das Vertrauen in die Branche vielerorts getrübt und kann sich langfristig auf die Nachfrage nach Projektentwicklungen auswirken.

Aktuelle Entwicklungen

Lange hat die chinesische Regierung zu der Schieflage der Immobilienunternehmen geschwiegen, nun sollen vor allem staatliche Bauträger finanziell unterstützt werden, sodass begonnene Projekte fortgeführt werden können. Damit soll zudem das Risiko einer finanziellen Instabilität dieser Unternehmen und deren Folgen für die chinesische Wirtschaft in Grenzen gehalten werden. Welche Maßnahmen für nicht staatliche Bauträger getroffen werden, ist derzeit noch offen. Zur Diskussion steht eine Aufweichung der „drei roten Linien“, was jedoch von offizieller Seite nicht bestätigt ist.

Grundsätzlich ist denkbar, dass der Druck auf die Immobilienpreise durch die finanzielle Notlage einzelner Bauträger steigt. Das dürfte speziell in spekulativen Lagen (Tier-3-Städte und ländliche Gegenden) der Fall sein, die traditionell einen hohen Wohnungsleerstand und eine geringere Nachfrage als die Metropolen der Ostküste (Shanghai, Beijing, Shenzhen und Guangzhou) aufweisen. Allerdings ist auch in diesen Investmentzentren eine gegenüber den Vorjahren verhaltene Nachfrage nach Immobilienkäufen zu beobachten. Hier dürften die gute Lage und der starke Mietermarkt den Preisdruck jedoch grundsätzlich weiterhin stützen.

Nach einer Einschätzung der japanischen Zentralbank besteht kein systematisches Risiko für die Weltwirtschaft, da die betroffenen Immobilienunternehmen lediglich einen geringen Anteil an Schulden bei ausländischen Gläubigern haben. Innerhalb der letzten Jahre lag das Volumen von Direktinvestitionen aus China auf dem europäischen Immobilienmarkt nur bei etwa einem Prozent des gesamten Transaktionsvolumens. Das größte Risiko liegt vielmehr im verminderten Wachstum Chinas und der damit einhergehenden sinkenden Nachfrage nach Rohstoffen und ausländischen Produkten. Eine ähnliche Schieflage wie während der Finanzkrise 2008 sei allerdings nicht zu erwarten.

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Begleitumstand der sich eintrübenden Bauwirtschaft sind die fehlenden Einnahmen der Lokalbehörden durch die geringere Nachfrage nach Baugrundstücken. Der Verkauf der sogenannten Land Use Rights, die ähnlich dem deutschen Rechtskonstrukt eines Erbbaurechts für eine Zahlung je nach Nutzung für 40 bis 70 Jahre vom Staat gepachtet werden können, stellte in der Vergangenheit eine wesentliche Einnahmequelle lokaler Behörden dar. Diese Einnahmen fallen nun vielerorts weg, was nicht zuletzt aufgrund geringer Gewerbesteuern auf lokaler Ebene große Löcher in die Haushalte reißt, die mancherorts bereits zu Kürzungen von Sozialleistungen und Rentenzahlungen führten.

Konsequenzen für ausländische Investoren

Der Anteil der Finanzierung durch ausländische Akteure ist im Vergleich zur US-Immobilienkrise 2007 vergleichsweise gering, sodass sich die prekäre Lage der Projektentwickler nicht unmittelbar auf sie auswirken dürfte. Eine gewichtige Rolle bei den Entscheidungen ausländischer Investoren spielen vielmehr die gestiegenen geopolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten. Insofern werden auch die Investitionen in China weitgehend durch lokale Akteure getrieben, allen voran Versicherungsgesellschaften, Fonds von Real-Estate-Investment-Trusts (REITs) und staatliche Unternehmen. Gleichwohl werden auch diese Investitionen unter stärkerem Fokus auf das Anlagerisiko getätigt.

Tendenziell verdeutlicht die aktuelle Entwicklung die zunehmenden Herausforderungen ausländischer Akteure bei Investitionen in den chinesischen Markt. Hinzu kommt: Investoren bieten sich durch steigende Renditen unter anderem von Anleihen in ihren heimischen Märkten attraktive und risikoärmere Alternativen. Investitionen in den chinesischen Markt sollten daher zurzeit von besonderer lokaler Expertise begleitet werden.

Manuel Eichen ist Manager im Geschäftsbereich Valuation, Modelling & Analytics von PwC

Manuel Eichen

Manuel Eichen ist Manager im Geschäftsbereich Valuation, Modelling & Analytics von PwC. Er hat einen Master in Management und einen in Real Estate und ist Mitglied der Royal Institution of Chartered Surveyors. Er arbeitet seit 2011 bei PwC und verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Bewertung von Gewerbe- und Spezialimmobilien. Der Experte für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen begleitete mehrere erfolgreiche Immobilienentwicklungen.

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Thomas Heck - PwC

Thomas Heck

Thomas Heck ist Leiter der China Business Group von PwC in Deutschland und Chairman der European China Business Group von PwC. Er hat über 20 Jahre Erfahrung in der Beratung und Prüfung von multinationalen Unternehmen. Thomas Heck hat vier Jahre als Partner bei PwC China und zwei Jahre als Manager bei PwC USA gearbeitet. Er ist einer der führenden Experten in Deutschland für alle Fragen im Zusammenhang mit Investitionen chinesischer Unternehmen in Europa.

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