24 März, 2023
Ein Interview mit Prof. Dr. Jürgen Peterseim. Im städtischen Raum kommen viele der für die Energiewende wichtigen Themen zusammen: Verkehr, Energie, Industrie, Gebäude und Infrastruktur – da ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren und zur Erfüllung von Klimazielen beizutragen, sagt Jürgen Peterseim.
Im Interview spricht der PwC-Experte über die Vorbildfunktion von Städten, erfolgreiche Modellprojekte, Risiken und Erfolgsfaktoren auf dem Weg zu nachhaltigen Städten.
Für die Studie „Sustainable Cities“ haben Sie Städte rund um den Globus unter die Lupe genommen und untersucht, welche Rolle diese auf dem Weg zur Klimaneutralität spielen. Zu welchen Ergebnissen sind Sie dabei gekommen?
Jürgen Peterseim: Städte spielen eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Klimawandel, denn sie sind ein großer Emittent von CO2. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in Städten. Weltweit sind es 57 Prozent, in Deutschland mit knapp 78 Prozent sogar noch mehr. Und der Anteil der Stadtbevölkerung wird weltweit weiter zunehmen. Zudem kommen im städtischen Raum viele Schlüsselthemen zusammen, die für die Energiewende zentral sind: Verkehr, Energie, Industrie, Gebäude und Infrastruktur – und das sehr konzentriert. Da ergeben sich gute Synergien, um den CO2-Fußabdruck zu verringern, etwa durch Industrieanwendungen, die Energie in Form von Fernwärme abgeben.
Wie kann das in der Praxis aussehen?
Peterseim: Ein gutes Beispiel ist die Kupferhütte Aurubis in Hamburg. Sie speist industrielle Abwärme ins Fernwärmenetz ein. Das Prinzip der Fernwärme ist zwar nicht neu, das Besondere an diesem Projekt ist aber: Die Wärme entsteht nicht durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, sondern als chemische Reaktion bei der Kupfererzeugung. Die Energie ist also CO2-frei. Mit diesem Projekt lassen sich bald 20.000 Hamburger Haushalte mit Wärme versorgen und bis zu 100.000 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Das Projekt führt uns vor Augen, dass die Sektorkopplung im städtischen Raum großes Potenzial bietet.
In Ihrer Studie schreiben Sie, dass sich mehr als 800 Städte weltweit Ziele für den Weg zur Klimaneutralität gesteckt haben. Wie ist die Lage in Deutschland?
Peterseim: Auch viele deutsche Städte haben mittlerweile Klimastrategien formuliert und sich Ziele gesteckt. Die derzeitigen Maßnahmen reichen aber häufig noch nicht aus, um die ambitionierten Ziele zu erreichen.
Insbesondere in der Industrie und im Mobilitätsbereich klafft oft eine Emissionslücke. Sprich: Es wird noch nicht genug CO₂ eingespart.
Woran liegt das?
Peterseim: Die in den Klimastrategien festgelegten Ziele sind oft freiwillig. Ob die Umsetzung dann funktioniert, hängt davon ab, inwiefern die Politik die Klimaagenda priorisiert und mit voller Kraft vorantreibt. In manchen Städten funktioniert das sehr gut. Nehmen Sie die Stadt Freiburg, die in Klimafragen oft weit vorne ist. Ende 2022 ist dort der erste Solar-Radweg in Deutschland entstanden. Mehrere Hundert Meter Radweg wurden mit Solarmodulen überdacht. Das Projekt zeigt: Photovoltaik ist im urbanen Raum an sehr vielen Orten möglich und auch umsetzbar. Ich bin überzeugt, dass Photovoltaik-Anlagen auf alle Dächer und Fassaden im städtischen Raum gehören. Es braucht viel mehr solcher Projekte, die zeigen, was machbar ist.
Warum lohnt es sich für Städte, in solche Projekte zu investieren und diese umzusetzen?
Peterseim: Maßnahmen für grünere Städte erhöhen die Lebensqualität der Menschen und steigern die Attraktivität einer Stadt. Die Reduktion von Emissionen wirkt sich positiv auf das Stadtklima und die Gesundheit der Bewohner:innen aus. Dazu kommen wirtschaftliche Vorteile: Städte mit nachhaltigen Zukunftskonzepten bieten Unternehmen ein hohes Maß an Sicherheit und sind resilienter aufgestellt. Städte, die innovative Konzepte aktiv unterstützen, erschließen sich zudem große wirtschaftliche Potenziale.
Was sind denn die Risiken, wenn deutsche Städte hier nicht mitziehen?
Peterseim: Wenn Deutschland nicht aufpasst, verlieren wir den Anschluss. Viele Länder sind in puncto innovativer Klimaprojekte schon deutlich weiter. So gibt es in Korea beispielsweise weltweit führende Brennstoffzellenkraftwerke. Damit verschaffen sich die koreanischen Technologiefirmen einen Vorteil gegenüber ihren deutschen Wettbewerbern, die für ihre Energieversorgung noch nicht darauf setzen.
Insofern laufen wir Gefahr, unsere Technologieführerschaft zu verlieren.
Obwohl es natürlich auch hierzulande Vorzeigeprojekte gibt, die international Anerkennung bringen.
Zum Beispiel?
Peterseim: Im Raum Frankfurt entsteht gerade die weltweit größte Wasserstoff-Zugflotte. Dafür wird Wasserstoff, der im Industriepark Höchst als Nebenprodukt der Chlorproduktion entsteht, genutzt, um emissionsarme Züge in der Region zu betreiben. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung innovativer Technologien einnehmen kann. Bei der Implementierung hinken wir aber häufig hinterher, weil wir aktuell noch zu langsam sind. Und fairerweise muss man sagen, dass wir einen strategischen Nachteil haben, weil wir bis vor kurzem noch sehr stark von fossiler Energie abhängig waren – anders als die Schweiz oder Norwegen, die schon seit langem auf erneuerbare Energien setzen und damit einen einfacheren Zugang zu grüner Elektromobilität haben.
Was sind die Erfolgsfaktoren, damit der Übergang zu einer nachhaltigen Stadt gelingt?
Peterseim: Zum einen braucht es natürlich Geld, viel Geld. Aus meiner Sicht spielt aber auch die Regulatorik eine wichtige Rolle. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Freiwilligkeit nicht funktioniert. Wir benötigen klare Leitplanken wie ein Verbrenner-Verbot und verbindliche Gebäudestandards. Und es braucht die richtigen Leute. Mit Blick auf den Fachkräftemangel ist es essenziell, die für die Energiewende benötigten Fachkräfte auszubilden. Es gibt aktuell zum Beispiel nicht genügend Handwerker, die Wärmepumpen einbauen. Hier müssen die Lehre und die Industrie schnell reagieren.
Nicht zuletzt kommt es darauf an, die verschiedenen Stakeholder im städtischen Ökosystem an einen Tisch zu bringen: Vertreter von Politik und Industrie, Energieanbieter, Finanzgeber und auch die Bewohner:innen der Stadt.
Was sind ganz konkret die wirksamsten Maßnahmen für Städte, um CO2 zu reduzieren?
Peterseim: Im Grunde geht es um vier Themen: Verkehr, Energie, Gebäude und Industrie. Besonders großes Potenzial für die CO2-Reduktion bieten aus meiner Sicht elektrisch betriebene Wärmepumpen, der Wechsel auf öffentlichen Nahverkehr und die verbesserte Isolierung von Gebäuden. Einen großen Effekt haben der Ausbau und die Dekarbonisierung des ÖPNV, etwa durch elektrische Busflotten, Optionen zum aktiven Transport und die Förderung der Elektromobilität im Individualverkehr. Alternative Brennstoffe und ein gut ausgebautes Fernwärmenetz tragen ebenfalls maßgeblich dazu bei, den CO2-Fußabdruck von Städten zu reduzieren. Besonders viel bringt aus meiner Erfahrung die Verknüpfung von Aspekten wie Energie, Industrie und Gebäude in Form von Fernwärme aus Industrieprozessen.
Im Endeffekt muss jede Stadt eine genaue Kostenkalkulation vornehmen, mit welchen Maßnahmen und zu welchem Preis sich CO₂-Emissionen einsparen und Klimaziele erreichen lassen.
Dabei helfen auch Tools wie das Pathways-to-Paris-Transformationstool von PwC und WWF, ebenso wie das Climate Excellence Tool.
Prof. Dr. Jürgen Peterseim
Prof. Dr. Jürgen Peterseim ist Director bei PwC Deutschland in Berlin und außerordentlicher Professor für Nachhaltigkeit an der University of Technology in Sydney, Australien. Er hat 20 Jahre Erfahrung mit der Planung und Optimierung von industriellen Anlagen und Kraftwerken, Prozessanalyse, Strategie sowie mit der Kommerzialisierung industrieller Anlagenkomponenten. Seine Erfahrung reicht von fossil gefeuerten Anlagen über Energieeffizienz bis zu erneuerbaren Energien für Strom, Wärme und Kälte. Bei PwC berät er Unternehmen auf ihrem Weg zu Net Zero.