Der Markt für Datenzentren befindet sich im Umbruch. Technologien wie KI und Cloud Computing erfordern immer mehr und leistungsfähigere Datenzentren. Zugleich sollen sie aber auch klimaneutral und nachhaltig sein. Doch ist das überhaupt zu schaffen?
Wie der Weg zur Netto-Null aussehen kann, beschreiben Benjamin Schrödl, Partner, Real Estate im Bereich Deal Advisory bei PwC Deutschland, und Prof. Dr. Jürgen Peterseim, Director, Net-Zero-Strategie im Bereich Nachhaltigkeitsberatung, im Interview.
Wie ist der Rechenzentrumsmarkt zurzeit aufgestellt?
Benjamin Schrödl: Aktuell führt die USA den globalen Markt für Datenzentren an, gefolgt von China und Japan. Deutschland rangiert auf Rang 4, noch vor Großbritannien und Frankreich. Hierzulande gibt es derzeit rund 500 große Rechenzentren und bis zu 50.000 Kleinstrechenzentren, die dafür sorgen, dass die digitalen Prozesse in der Wertschöpfung von Unternehmen und im privaten Bereich reibungslos ablaufen. Dabei benötigen insbesondere Großunternehmen wie Banken oder Versicherungen enorme Rechenkapazitäten für ihren täglichen Betrieb – und zwar rund um die Uhr.
Daher müssen Datenzentren höchsten Verfügbarkeitsanforderungen genügen und eine jährliche Strombereitstellung von 99.999 Prozent gewährleisten, was einer Downtime von nur wenigen Minuten pro Jahr entspricht.
Das hört sich nach einem enormen Aufwand an. Wie viel Energie verbrauchen Data Center durchschnittlich?
Jürgen Peterseim: Etwa 1,5 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs entfällt auf die Rechenzentrumsbranche. Studien gehen davon aus, dass dieser Anteil bis 2030 sogar auf 8 Prozent steigen wird. Bei den Betriebskosten von Rechenzentren liegt der Stromanteil zwischen 50 und 70 Prozent. Wie hoch die Kosten genau sind, hängt vom aktuellen Strompreis ab. Dabei entfällt fast die Hälfte des Energieverbrauchs auf Systeme für die Kühlung und die unterbrechungsfreie Stromversorgung. Der Rest wird unter anderem für den Betrieb von Servern, Speichersystemen oder Netzwerken im Rechenzentrum benötigt.
Vor welchen Herausforderungen stehen Data Center aktuell?
Schrödl: Sie müssen das globale exponentielle Datenwachstum – befeuert durch generative KI und die Cloud – speichern und verarbeiten können. Gerade Cloud- und KI-Workloads erfordern höhere Leistungsdichten, was wiederum neue Kühltechnologien wie Flüssigkühlung notwendig macht.
Die für KI und Cloud erforderlichen Rechenkapazitäten liefern vor allem Hyperscaler aus großen Rechenzentren auf der ganzen Welt.
Eher unwahrscheinlich also, dass KI-Data-Center in Deutschland betrieben werden?
Schrödl: Nicht unbedingt. Zum einen steigt die Nachfrage nach KI-Anwendungen auch für Daten, die aus regulatorischen Gründen Deutschland bzw. die EU nicht verlassen dürfen. Um die Datenhoheit beim Verarbeiten und Speichern zu garantieren, werden auch hierzulande leistungsfähige Datenzentren gebraucht – und der Bereich wächst auch in Deutschland beispielsweise durch Cloud-Anwendungen insbesondere im Mittelstand sehr stark.
Zum anderen ist der Standort Deutschland für Betreiber von Rechenzentren durchaus attraktiv.
Beispielsweise aufgrund von geografischen Gegebenheiten (keine Erdbebenregion, gemäßigtes Klima etc.), aber auch der große Wirtschaftsraum und die Verfügbarkeit von Industriekonversionsflächen: An sich verändernden Standorten können andere Branchen die frei gewordenen Energieressourcen und Flächen nutzen. Ein Vorzeigeprojekt gibt es beispielsweise in NRW, wo bisherige Industrieflächen inklusive der Netzanschlüsse jetzt von Datenzentren und Digitalunternehmen genutzt werden.
Auf jeden Fall ist es sinnvoll, vorhandene Gewerbeflächen für Rechenzentren zu nutzen (sog. Brown-Field Investments), anstatt auf der „grünen Wiese“ neue Flächen zu versiegeln (sogenannte Green-Field Investments). Allerdings führt die aktuelle Regulatorik, wie der EU Green Deal und das EnEfG eher zu Neubauten von Data Centern als zu Umwandlung, da die hohen energetischen Anforderungen im Neubau einfachen umsetzbar sind.
Warum? Welche regulatorischen Anforderungen müssen Rechenzentren erfüllen?
Peterseim: Das ehrgeizige Ziel des EU Green Deal sieht vor, dass bis 2030 der gesamte ICT-Sektor in der EU klimaneutral sein soll. Deutschland geht hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Rechenzentren sogar noch einen Schritt weiter. Mit dem im November 2023 in Kraft getretenen Energieeffizienzgesetz 2023 (EnEfG) sind Datenzentren dazu verpflichtet, bestimmte Energieeinsparmaßnahmen zu ergreifen. Im Einklang mit der Energieeffizienzrichtlinie der EU vom Juli 2023 wird so Klimaneutralität stufenweise zur Pflicht.
Schrödl: Das EnEfG legt für Data Center explizit Energieeffizienzziele fest. So darf der PUE-Wert (Power Usage Effectiveness), der das Verhältnis zwischen Gesamtverbrauch des Rechenzentrums und des Verbrauchsanteils des IT-Equipments misst, ab dem 1. Januar 2027 nicht über 1,5 und ab 1. Januar 2030 nicht über 1,3 liegen.
Durch ein Zuviel an Regulatorik laufen wir Gefahr, nicht nur bei Digitalisierung und KI, sondern auch beim Data-Center-Boom den Anschluss zu verlieren.
Das zwingt viele der 50.000 Rechenzentren in Deutschland jetzt zum Handeln, um Klima und Umwelt besser zu schützen?
Peterseim: Genau. Doch um bestehende Rechenzentren nachhaltiger zu gestalten, sind meist hohe Investitionen nötig. Daher stellt sich die Frage: Warum nicht gleich in ein neues, klimaneutrales Rechenzentrum investieren?
Was wäre eine Lösung und wo sollten neue Projekte angesiedelt werden?
Schrödl: Daten-Center-Entwicklern wäre zu raten, sich mit Standorten im Norden Deutschlands zu beschäftigen. Dort sind und werden zukünftig ausreichend erneuerbare Energiekapazitäten verfügbar sein, vor allem durch die geplanten Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee. Würden alle dort aktuell geplanten Anlagen ans Netz gehen, werden sie eine enorme grüne und günstige Energiekapazität liefern. Externe Schätzungen gehen von einem Energievolumen von duzenden Großkraftwerken aus, die dann zur Verfügung stehen sollen. Die geplante Kapazität wird auch bei wenig Wind ausreichen, um grüne Energie in der benötigten Versorgungssicherheit bereitzustellen. Heißt: Zeitnaher und günstiger als im Norden wird in Deutschland kein grüner Strom in der Masse zur Verfügung stehen. Daher sind die Ost- und Nordseeküste hervorragende Standorte für Datenzentren. Aktuelle Schwerpunktstandorte sind aktuell und sicher auch noch in Zukunft insbesondere in Frankfurt, Berlin, Hamburg, München und den großen Ballungszentren, also in Mittel- und Süddeutschland, da dort die Datenkabel- und Knotenpunkte sind sowie der Schwerpunkt der Unternehmen und Nutzer:innen.
Könnte nicht auch die Eigenstromerzeugung – beispielsweise durch Photovoltaik – Rechenzentren nachhaltiger machen?
Peterseim: Ziel der Eigenstromerzeugung ist, so viel Energie wie möglich am eigenen Standort zu produzieren. Dabei lassen sich Dach- bzw. Parkflächen und Fassaden für Photovoltaikanlagen nutzen. Eine solche Energiegewinnung ist kostengünstig, reicht aber für den Betrieb bei weitem nicht aus:
In der Regel können Rechenzentren nur weniger als 3 Prozent des notwendigen jährlichen Energieverbrauchs durch Eigenstromerzeugung aus lokaler Solar- und Windenergie abdecken.
Standorte mit dem Potenzial für eigene Solar- und Windparks Nahe des Datenzentrums haben Vorteile, aber auch sie können sich tendenziell nicht komplett selbst versorgen.
Schrödl: Alternativ sind mittlerweile bei vielen Rechenzentren Gasmotoren im Einsatz, die dem Net-Zero-Ziel eher abträglich sind. Außer man plant langfristig: Stand heute ist gesetzlich geregelt, wo das deutsche Wasserstoffkernnetz in Zukunft verlaufen wird. Bis 2032 sollen rund 12.000 Kilometer des Wasserstoffkernnetzes gebaut werden. Installieren Unternehmen heute moderne Gasmotorenkraftwerke, können sie diese ab 2032 auf Wasserstoff umstellen, wenn sich der Standort in der Nähe des Kernnetzes befindet. Daher sollte man beim Bau eines Rechenzentrums bereits heute nicht nur auf leistungsfähige Datenleitungen, sondern auch auf zukunftsfähige Energiezufuhr und potenzielle Wärmeverbraucher achten, die die Abwärme des Rechenzentrums nutzen könnten.
Wie wird die Abwärmenutzung zum Hebel für besseren Klimaschutz?
Peterseim: Indem Rechenzentrumsbranche und Wärmewende zusammenwachsen. Abwärme, die bei der Kühlung im Rechenzentrum entsteht, kann in ein Nahwärmenetz eingespeist werden und zum Heizen von benachbarten Schwimmbädern, Bürogebäuden oder Gesundheitseinrichtungen dienen. Wie die Wärmerückgewinnung gelingt, zeigt eine Initiative in Stockholm: Hier gelangt überschüssige Wärme von Rechenzentren ins Fernwärmenetz der Stadt. Auf diese Weise gelingt es, die Emissionen der angebundenen Rechenzentren um 50 g CO2 pro Kilowattstunde zu senken.
Gibt es noch andere Wege, wie sich Unternehmen hinsichtlich ihrer IT-Ressourcen nachhaltiger aufstellen können?
Schrödl: Eine weitere Möglichkeit ist es, das unternehmensinterne Rechenzentrum aufzugeben und IT-Systeme sowie Anwendungen in die Cloud eines Hyperscalers oder IT-Dienstleisters zu bringen. Durch Cloud Computing lösen sich Unternehmen aus der Kostenschlinge ihrer Rechenzentren – da sie nicht mehr kontinuierlich in Infrastruktur, Hardware und Fachkräfte investieren müssen.
Gleichzeitig können sie der Regulatorik entsprechen, indem sie „grüne“ Cloud-Ressourcen nutzen. Unternehmen müssen sich nicht selbst um die Klimaneutralität des Rechenzentrums kümmern. Hier bieten Hyperscaler und spezialisierte Cloud-Provider Lösungen. Sie erreichen Net Zero im Data Center einfacher, da sie Strom aus erneuerbaren Energien zu günstigeren Konditionen erhalten und den Aufwand für Nachhaltigkeitszertifikate leichter stemmen können.
Benjamin Schrödl ist Partner und berät im Advisory Deals Bereich im Schwerpunkt Mandanten aus dem Real Assets und Immobiliensektor. Er besitzt mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Immobilienwirtschaft. In der Vergangenheit hat er erfolgreich strategische Transaktionsberatungsprojekte und Real-Estate-M&A-Sell-Side-Mandate geleitet und für Kunden aus den unterschiedlichsten Branchen gearbeitet, beispielsweise für inhabergeführte Unternehmen, Corporates, Private-Equity-Unternehmen, Handel, Fonds, Immobiliengesellschaften, Banken und Versicherungen.
Prof. Dr. Jürgen Peterseim ist Director im Bereich Nachhaltigkeitsberatung bei PwC Deutschland in Berlin. Er hat 20 Jahre Erfahrung mit der Planung und Optimierung von industriellen Anlagen und Kraftwerken, Prozessanalyse, Strategie sowie mit der Kommerzialisierung industrieller Anlagenkomponenten. Seine Erfahrung reicht von fossil gefeuerten Anlagen über Energieeffizienz bis zu erneuerbaren Energien für Strom, Wärme und Kälte. Bei PwC berät er Unternehmen auf ihrem Weg zur Netto-Null und unterstützt diese unter anderem dabei, Strategien für Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft und Wasserstoff zu entwickeln und umzusetzen.