Interview zur CSRD: „Eine neue Ära in der Berichterstattung über Nachhaltigkeit beginnt“

15 August, 2022

Ein Interview mit Nicolette Behncke. Das Europäische Parlament und der Rat der EU haben sich im Juni 2022 geeinigt: Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sind Nachhaltigkeits- und Finanzberichterstattung künftig weitgehend gleichgestellt. Im Interview erklärt Nicolette Behncke, Partnerin im Bereich Sustainability Services bei PwC Deutschland, was das für Unternehmen bedeutet und welche Pflichten, aber auch Chancen auf sie zukommen.

Über Nicolette Behncke: Nicolette Behncke ist Partnerin im Bereich Sustainability Services bei PwC Deutschland. Sie berät Unternehmen bei dem Auf- und Ausbau ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung und verantwortet zahlreiche Prüfungen von Nachhaltigkeitsberichten.

Von einem „Sprung für Nachhaltigkeitsberichte“ spricht der World Wide Fund For Nature (WWF). Was bedeutet die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), über die das Europäische Parlament und der Rat monatelang verhandelt haben, nach Ihrer Einschätzung?

Nicolette Behncke: Auch aus meiner Sicht handelt es sich bei der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung um einen großen Fortschritt – und zugleich um eine echte Premiere: Zum ersten Mal werden Aspekte der Nachhaltigkeit finanziellen Aspekten in der Berichterstattung gleichgestellt. 

Damit beginnt eine neue Ära in der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Künftig sind tausende Unternehmen in Deutschland dazu verpflichtet, einen tiefen Einblick in die ökologischen und sozialen Folgen ihres Handelns zu geben.

Welches Ziel ist mit der neuen Richtlinie verbunden?

Behncke: Die neue Richtlinie zielt darauf ab, Lücken in den geltenden Informationen über die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen zu schließen, die den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft beeinflussen – so formuliert es der Rat der EU. Öffentlichkeit, Verbraucher:innen und Investoren wünschen sich heute Informationen, die über die rein finanzielle Berichterstattung hinausgehen. Durch diese Transparenz sind sie in der Lage, Aspekte der Nachhaltigkeit in ihre Kauf- oder Anlageentscheidungen einzubeziehen. Natürlich unterstützt die CSRD auch den europäischen Green Deal und das Ziel, die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen.

Was kommt auf die Unternehmen jetzt in der Praxis zu?

Behncke: Unternehmen müssen sich auf eine deutliche Ausweitung der Berichtsinhalte und eine stärkere Vereinheitlichung gemäß europäischen Reportingstandards einstellen. Künftig wird die Nachhaltigkeitsberichterstattung auch zwingender Bestandteil des Lageberichts sein – und zwar in einem gesonderten Abschnitt und in einem einheitlichen elektronischen Format gemäß ESEF-Verordnung (European Single Electronic Format). 

Welche Unternehmen sind davon überhaupt betroffen?

Behncke: Die CSRD betrifft alle großen Unternehmen und Konzerne – unabhängig von ihrer Kapitalmarktorientierung –, die im Regelfall an zwei aufeinanderfolgenden Abschlussstichtagen zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen: 20 Millionen Euro Bilanzsumme, einen Nettoumsatzerlös von mehr als 40 Millionen Euro erzielen und mehr als 250 Mitarbeiter:innen beschäftigen. Kleine und mittelgroße Unternehmen fallen unter die Richtlinie, sofern sie kapitalmarktorientiert sind. 

Anders als im ursprünglichen Entwurf vorgesehen, ist noch eine weitere Gruppe betroffen: Unternehmen außerhalb der EU, sofern sie einen Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro in der EU erzielen und mindestens ein großes Tochterunternehmen oder eine Niederlassung in der EU haben. Diese Gruppe ist dann ab der Berichtsperiode 2028 zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet.

Offenbar lohnt sich ein genauerer Blick in die Richtlinie, wenn es noch Änderungen, etwa des Anwendungsbereiches, gab. Inwiefern weicht der Kommissionsvorschlag sonst noch von der finalen Fassung ab?

Behncke: Neben dem vergrößerten Anwendungsbereich hat sich der Zeitplan geändert, der sehr eng gesteckt war. Jetzt gibt es eine gestaffelte Erstanwendung. Die Richtlinie gilt ab der Berichtsperiode 2024 für Unternehmen, die bereits zur nichtfinanziellen Berichterstattung nach den aktuellen Regelungen der CSR-Richtlinie verpflichtet sind. Ein Jahr mehr Zeit lassen dürfen sich große Unternehmen und Konzerne, die nicht der CSR-Richtlinie unterliegen. Kapitalmarktorientierte kleine und mittelgroße Unternehmen haben noch bis zum Jahr 2026 Zeit. Diese Gruppe hat auch die Möglichkeit, die Erstanwendung um zwei Jahre zu verschieben. So bleibt den Unternehmen etwas mehr Luft, um sich mit den neuen Berichtspflichten zu beschäftigen.

Was ändert sich im Detail? Wie werden Nachhaltigkeitsberichte künftig gestaltet sein?

Behncke: Bemerkenswert finde ich die neue Tiefe: Die EU fordert mit der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von den Unternehmen sehr differenzierte Informationen – auch über die gesamte Wertschöpfungskette – und genau definierte Kennzahlen. Das soll die Vergleichbarkeit der Informationen gewährleisten und gleichzeitig mehr Einheitlichkeit in der Anwendung schaffen. Die Einheitlichkeit bei den Berichtsinhalten soll durch europäische Standards erzielt werden, welche die Vorgaben der CSRD konkretisieren. 

Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) umfassen Themen wie beispielsweise Klimawandel, biologische Vielfalt, Anti-Korruption, Umweltverschmutzung und Diversität. Diese Themen werden auch in längeren Zeithorizonten betrachtet, da sich viele Einflüsse im Bereich Nachhaltigkeit eher mittel- bis langfristig auswirken.

Was droht Unternehmen, die den Vorgaben nicht nachkommen? Wer prüft die Einhaltung? 

Behncke: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung unterliegt künftig einer externen inhaltlichen Prüfpflicht. Bereits im ersten Berichtsjahr ist eine externe Prüfung des Nachhaltigkeitsberichts obligatorisch – zunächst mit begrenzter Prüfungssicherheit. Diese darf auch durch den Abschlussprüfer erfolgen. Parallel werden Standards zur Prüfung mit hinreichender Sicherheit erarbeitet. Spätestens im Jahr 2028 wird dann beurteilt, ob beziehungsweise wann eine Prüfung mit hinreichender Sicherheit umsetzbar ist. In Zukunft wird sich das nationale Überwachungs- und Enforcementsystem auch auf die Prüfung von Nachhaltigkeitsberichten erstrecken.

Ihre ganz persönliche Empfehlung: Wie sollen Unternehmen, die der CSRD unterliegen, sich jetzt verhalten?

Behncke: Die Ziele, die mit der CSRD einhergehen, sind ausgesprochen ambitioniert – ebenso wie der Zeitplan. Ich kann Unternehmen nur empfehlen, sich zügig mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das gilt ganz besonders für die Unternehmen, die neu in die Nachhaltigkeitsberichterstattung einsteigen und erst noch die erforderlichen Systeme und Prozesse einführen müssen. Doch es lohnt sich, diese Herausforderung anzunehmen: 

Die Richtlinie wird für viele Organisationen erst der Anstoß sein, sich mit den ökologischen und sozialen Auswirkungen ihres Handelns auseinanderzusetzen. Das ist eine große Chance, das eigene Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu stellen und neu im Sinne der Nachhaltigkeit auszurichten – für mehr Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit.

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Nicolette Behncke

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Partner, Sustainability Services, PwC Germany

Hendrik Fink

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