Mit dem Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) von 2022 ist offenkundig geworden, was schon längst mehr Beachtung verdient: Der Verlust von Biodiversität gehört zu den dringlichsten Fragen unserer Zeit und muss zusammen mit der Klimakrise an die oberste Stelle der Agenden von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Das GBF will bis 2030 den Netto-Verlust von Biodiversität stoppen und eine naturpositive Lebens- und Wirtschaftsweise erreichen. Von den Unternehmen ist neben der Einhaltung der Regulatorik ein intrinsisches Engagement gefordert, um den fortschreitenden Verlust von Biodiversität zu stoppen und ihre Wiederherstellung einzuleiten.
Wir haben nachgefragt: Ist der Finanzsektor am Puls der Zeit in Sachen Biodiversität? Die Antworten sind bedenklich und finden sich in der Umfrage von PwC und WWF Deutschland „Natur- und Biodiversitätsschutz im deutschen Finanzsektor – eine Bestandsaufnahme“.
„Der Finanzsektor hat die Risiken und Chancen eines naturpositiven Wirtschaftens noch nicht ausreichend erkannt. Es braucht ein größeres Bewusstsein für physische Risiken, aber auch für die Vorteile, die über Wettbewerbschancen und Reputation hinausgehen.“
Die Ergebnisse der Studie von PwC und WWF Deutschland zur natur-positiven Transformation im deutschen Finanzmarkt sind besorgniserregend: Die befragten Banken, Asset Owner und Asset Manager stufen die Bedeutung von Biodiversität im deutschen Finanzmarkt mehrheitlich als „eher gering“ ein. Bei den Banken tun dies sogar 88 Prozent.
Passend zu diesem geringen Stellenwert hat fast jedes zweite Unternehmen noch keine konkreten Ziele im Bereich Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen formuliert. Lediglich 13 Prozent der Befragten verfügen bereits über eigene Biodiversitätsziele.
Die Frage nach den Risiken durch den Verlust von Biodiversität beantwortet die Mehrheit mit Risiken, die die Regulatorik bzw. die Reputation betreffen (46 bzw. 41 Prozent). Physische Risiken werden ebenso wie operative Risiken und Marktrisiken als „eher gering“ bewertet (31 bzw. 33 Prozent).
Diese Einschätzung birgt Gefahren: Schließlich können Risiken durch den Verlust von Biodiversität auch über die Lieferketten der finanzierten Unternehmen entstehen. Fortschreitendes Artensterben, wie zum Beispiel das der Honigbiene in den Vereinigten Staaten, kann zu Schäden in Milliardenhöhe führen, da ohne Bestäubung kein Saatgut heranreifen kann, was zu Ernteausfällen und Unterbrechungen in der Lieferkette führt. Die daraus resultierenden finanziellen Einbußen der beteiligten Unternehmen stellen ein erhebliches Risiko für Finanzinstitute dar.
Drei Viertel der Befragten haben aber dennoch auch die Auseinandersetzung mit Biodiversitätsaspekten und die damit einhergehende Minderung der CO2-Emissionen erkannt und mehr als zwei Drittel wissen um die Abhängigkeit des globalen BIPs von naturbasierten Ressourcen. Chancen sehen sie überwiegend in einer verbesserten Risikoresilienz (39 Prozent) sowie im Erlangen von Wettbewerbs- und Reputationsvorteilen (15 Prozent).
„Die Finanzwirtschaft hat die Vorteile, die mit der Förderung von Biodiversität und Ökosystemen einher gehen, noch nicht ausreichend erkannt: Jetzt gilt es die Chancen zu ergreifen, um neue Geschäftsfelder zu erschließen, innovative Produkte zu entwickeln und Kooperationen einzugehen.“
Wie kann der Beitrag von Finanzinstituten zur Unterstützung eines natur-positiven Wirtschaftens aussehen? Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten, die im besten Fall kombiniert werden:
100 Prozent der Studienbefragten nennen Vermeidung als operative Strategie zum Schutz vor Biodiversitätsverlust, nur zwei Drittel geben zusätzlich die dringend notwendigen Maßnahmen zur Reduzierung und Wiederherstellung an.
Strategische, datenbasierte Ziele zu den jeweiligen Maßnahmen scheinen nur begrenzt vorhanden zu sein: Nur 19 Prozent der Befragten nutzen Biodiversitätsdaten für einen Steuerungsrahmen zur Reduktion der negativen Auswirkungen auf Biodiversität und Ökosysteme. 40 Prozent und mehr als die Hälfte der beteiligten Asset Owner geben an, gar keine Biodiversitätsdaten zu nutzen.
Damit wird die größte Hürde im Zusammenhang mit der Umsetzung von Biodiversitätszielen klar: 75 Prozent der Befragten sehen die Herausforderung vor allem in der Quantifizierung von Biodiversität und Ökosystemen, für 69 Prozent ist es die fehlende Dateninfrastruktur, 50 Prozent scheitert am fehlenden Wissen und Know-how.
Diese Zahlen entsprechen in etwa dem Stand von 2022, obwohl es inzwischen zahlreiche Initiativen gibt, die die Unternehmen bei der Formulierung von Zielen unterstützen – z. B. den Partnership for Biodiversity Accounting Financials-Standard.
Fazit: Die Unternehmen müssen ihr Wissen darüber vertiefen, wie sich das Finanzgeschäft auf Biodiversität und Ökosysteme auswirkt, um physische Risiken besser einzuschätzen – Nachholbedarf ist dringend geboten.
Neue Standards zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität nehmen die Finanzunternehmen zunehmend in die Verantwortung. Im Oktober soll der Fokus des COP 16-Treffens in Kolumbien auf der Verringerung der Finanzierungslücke für Biodiversität liegen. Darüber hinaus sind sie seitens der EU mit umfassenden regulatorischen Anforderungen konfrontiert: Dazu gehören u.a. die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), die EU-Taxonomieverordnung, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD).
Der Partnership for Biodiversity Accounting Financials-Standard (PBAF-Standard) bietet Finanzinstituten seit 2022 eine praktische Anleitung zur Messung und Bewertung der negativen Auswirkungen ihres Portfolios auf die biologische Vielfalt. Aus dieser Basis können sie Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung von Biodiversität ergreifen.
Unternehmen sind aufgerufen, miteinander in den Dialog zu treten und sich gemeinsam gegen den Verlust und für den Schutz von Biodiversität zu engagieren. Ein Beispiel ist die Initiative von TNFD – Taskforce on Nature-Related Financial Disclosures: Ein Zusammenschluss von Investor:innen mit dem Ziel, die globale Wirtschaft so zu transformieren, dass sie die natürlichen Lebensgrundlagen schützt und fördert.
In Zukunft müssen Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen viel stärker ihren Einfluss auf die Umwelt berücksichtigen und in diesen Prozess die Ökosysteme, den Kreislauf von Ressourcen und die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten einschließen.“
Katja Kirchstein,Fachbereich Sustainable Finance des WWF DeutschlandDie natur-positive Transformation im deutschen Finanzmarkt – eine Bestandsaufnahme
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Für die Studie „Die natur-positive Transformation im deutschen Finanzmarkt – eine Bestandsaufnahme“ von PwC und WWF Deutschland wurden 52 Banken, Asset Owner und Asset Manager in Deutschland befragt.
Ullrich Hartmann
Partner, EMEA Banking and Capital Management (BCM) Sustainability Lead, Co-Lead Sustainability Assurance Services, PwC Germany
Partner, Ansprechpartner Sustainable Finance Banking, PwC Germany
Tel.: +49 69 9585-2950