Von Dr. Jan Haselmann und Jan Kärcher. Betriebsprüfer verlangen seit einigen Jahren immer häufiger die Vorlage von konzerninternen E-Mails zur Prüfung der Fremdüblichkeit vereinbarter Verrechnungspreise. Das Finanzgericht (FG) Hamburg hat nun erstmals zur Rechtmäßigkeit eines solchen Vorlageverlangens entschieden.
Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist (Revision anhängig beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen XI R 15/23), ergeben sich praktische Erkenntnisse für die Aufbewahrung von E-Mails und den Umgang mit entsprechenden Anfragen in der Betriebsprüfung.
In dem vom FG Hamburg entschiedenen Fall verlangte die Betriebsprüfung von einer inländischen Konzerngesellschaft, ihr den elektronischen Datenzugriff (§ 147 Abs. 6 Abgabenordnung (AO)) auf die als E-Mail empfangenen und versandten Handelsbriefe insbesondere in Bezug auf ein Sales and Marketing Services Agreement mit einer anderen ausländischen Konzerngesellschaft zu gewähren. E-Mails sollten auf einem Datenträger und in einer Gesamtübersicht, aus der sich unter anderem der Absender, Empfänger und der Betreff ergeben (sogenanntes Gesamtjournal), zur Verfügung gestellt werden. Gegen dieses Vorlageverlangen wehrte sich die Klägerin.
Das Gericht entschied, dass das Vorlageverlangen, mit Ausnahme des Gesamtjournals, rechtmäßig ist. Zur Begründung stützte es sich insbesondere darauf, dass die konzerninternen E-Mails als aufbewahrungspflichtige Handels- und Geschäftsbriefe (§ 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO) zu qualifizieren sind. Firmeninterne E-Mails sind hingegen nicht vorzulegen.
Das Gericht stellte zunächst klar, dass die Betriebsprüfung den elektronischen Zugriff nur auf aufbewahrungspflichtige Unterlagen verlangen kann. Aufbewahrungspflichtig sind u. a. sämtliche Handels- und Geschäftsbriefe. Hierzu gehören zunächst alle Schriftstücke mit rechtsgeschäftlichem Inhalt wie Aufträge, Rechnungen, Gutschriften, Zahlungsbelege, Kontoauszüge, Barquittungen, Fristsetzungen, Verträge etc. Es war schon vor der Entscheidung des FG Hamburg unstreitig, dass solche Unterlagen auch dann Handels- und Geschäftsbriefe sind, wenn sie in elektronischer Form, z. B. als E-Mail vorliegen.
Umstritten war hingegen, ob darüber hinaus auch eine E-Mail, deren Inhalt keinen rechtsgeschäftlichen Charakter hat, sondern die tatsächliche Erfüllung eines Rechtsgeschäfts verkörpert, also beispielsweise eine verschriftlichte Dienstleistung, wie eine Beratungsleistung oder eine vertraglich geschuldete Auskunft, als Handelsbrief aufbewahrungspflichtig ist.
Das FG hat dies bejaht und sich damit einem umstrittenen, sehr weiten Begriffsverständnis von Handels- und Geschäftsbriefen angeschlossen. Im Rahmen von konzerninternen Dienstleistungsverträgen fallen danach auch E-Mails, mit denen die geschuldeten Leistungen (entweder an andere Konzerngesellschaften oder wohl auch – wenn der konzerninterne Vertrag dies vorsieht – direkt an konzernexterne Kunden) erbracht werden unter den Begriff des Handels- und Geschäftsbriefs. Dies kann konzernintern z. B. verschriftlichte Auskünfte, Aufklärungen, Beratungen oder Dienstleistungen betreffen.
Dieses weite Verständnis des FG Hamburg führt im Ergebnis zu einer Ausweitung der bisherigen Aufbewahrungspraxis. Unternehmen sind danach verpflichtet, nicht nur E-Mails mit rechtsgeschäftlichem Inhalt, sondern auch mit entsprechenden Dienstleistungsinhalten trotz etwaiger Umsetzungsschwierigkeiten und -kosten aus der Gesamtmenge der E-Mails zu extrahieren und separat im Dokumenten-Management-System abzulegen. Das FG Hamburg betont allerdings, dass der Steuerpflichtige ein sogenanntes Erstqualifikationsrecht hat. Das heißt, das Unternehmen kann im Einzelfall selbst entscheiden, welche E-Mails steuerliche Relevanz haben und als Handels- und Geschäftsbriefe aufzubewahren sind.
Nach Auffassung des FG Hamburg sind auch E-Mails, die zum Verständnis oder zur Überprüfung der Verrechnungspreisdokumentationen von Bedeutung sind, als „sonstige Unterlagen“ aufzubewahren. Bei der einzelfallabhängigen Selektion der relevanten E-Mails steht dem Steuerpflichtigen wiederum das sogenannte Erstqualifikationsrecht zu.
Neben der weiten Auslegung der aufbewahrungspflichtigen Unterlagen enthält das Urteil des FG Hamburg auch eine entlastende Klarstellung. Das Gericht hat klargestellt, dass ein Gesamtjournal nicht zu erstellen oder aufzubewahren und daher nicht vorzulegen ist. Darauf sollten sich Steuerpflichtige in Betriebsprüfungen fortan berufen.
Es ist zu erwarten, dass die Finanzverwaltung vor dem Hintergrund des Urteils des FG Hamburg vermehrt die Vorlage von E-Mails verlangen wird. Bis zur endgültigen Entscheidung durch den Bundesfinanzhof müssen die Steuerpflichtigen zudem mit einer gewissen Unsicherheit hinsichtlich des Umfangs der aufbewahrungspflichtigen Unterlagen umgehen. Davon unabhängig zeigt das Urteil des FG Hamburg auf, wie wichtig die Ausübung des sogenannten Erstqualifikationsrechts durch die Unternehmen hinsichtlich des externen und konzerninternen E-Mailverkehrs ist. Wird dieses insbesondere auch mit Blick auf konzerninterne Verträge und den damit zusammenhängenden konzerninternen E-Mailverkehr sowie mit Blick auf die Verrechnungspreisdokumentation in nachvollziehbarer Weise ausgeübt, lässt sich das Risiko von ausufernden Streitigkeiten um den Zugriff der Betriebsprüfung auf E-Mails schon im Vorfeld begrenzen.
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Newsletter Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 61