Von Daniel Retzer. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 9. August 2023 in der Rs. I R 54/19 zu einer Produktionsverlagerung auf eine Schwestergesellschaft in Bosnien und Herzegowina (C) entschieden (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) München vom 26. November 2019, 6 K 1918/16) und sich dabei mit den Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung sowie der Wahl und Anwendung der Verrechnungspreismethode auseinandergesetzt.
Eine ausführliche Zusammenfassung des Urteils findet sich im TP Perspectives – Newsflash vom 15. Dezember 2023.
Die Klägerin ist ein deutscher Automobilzulieferer, der im Jahr 2008 aus Kostengründen den lohnintensiven Produktionsteil an die neu gegründete C vergeben hat. Konkret nahm die Klägerin bis 2012 alle von C hergestellten Produkte ab. Seit 2013 erzielte C eigene Umsätze mit der Fremdfirma P (ein früherer Kunde der Klägerin). Da die Klägerin bei einer Produktion in Deutschland P keine konkurrenzfähigen Preise anbieten konnte, übernahm C die Aufträge und belieferte P mit den von ihr hergestellten Produkten.
Die finanzgerichtliche Auseinandersetzung (Jahre 2011-2013) betrifft im Kern drei Transaktionen:
Bezüglich Transaktion 1 sieht der BFH eine Lieferung „at cost“ als denkbar an, soweit das seitens der C bearbeitete Material im Anschluss wieder von der Klägerin zurückerworben wird, insbesondere da C im Hinblick auf die Beschaffung des Materials keine nennenswerten Funktionen und Risiken ausgeübt habe. Abzugrenzen davon seien jedoch Lieferungen für das für den Kunden P erforderliche (nicht zurückbezogene) Material, für welches ein Gewinnaufschlag anzusetzen sei.
Hinsichtlich der Verlagerung der Kundenbeziehung in 2013 (Transaktion 2) hob der BFH das vorinstanzliche Urteil auf und verwies die Prüfung, ob ein fremder Dritter ein Entgelt von C verlangt hätte, zurück an das FG München. Eine Funktionsverlagerung läge aber nicht vor, da keine Funktion i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 9 Außensteuergesetz (AStG) a. F. übertragen worden sei, da nicht ersichtlich ist, dass die Produktion für P (mangels Trennung von der Restproduktion) als eigenständige Produktion im Unternehmen und damit als „organischer Teil“ angesehen werden könne. Es sei jedoch fraglich, ob in der unentgeltlichen Übertragung der Kundenbeziehung eine verdeckte Gewinnausschüttung gesehen werden könne, wobei zu berücksichtigen sei, dass eine Fortführung des Geschäfts mit P durch die Klägerin wirtschaftlich nicht tragbar gewesen wäre.
Auch im Hinblick auf den Rückerwerb der von C bearbeiteten Produkte seitens der Klägerin (Transaktion 3) wurde das vorinstanzliche Urteil aufgehoben und an das FG München zurückverwiesen. Insbesondere sei fraglich, ob die Preise auf Basis der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden könnten oder ob nicht die Preiskalkulation der C für die an P verkauften Produkte als Basis eines Fremdvergleichs zur Anwendung gebracht werden könnte. Sofern dies nicht der Fall ist, erachtet der Senat die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode als möglich, wobei Materialkosten aus der Bemessungsgrundlage auszunehmen seien, da C als sog. Lohnfertiger agiere, der keine wesentlichen Absatzrisiken trage, die erforderlichen Materialien von der Klägerin beziehe und bezüglich der Fertigung sehr eng an die Klägerin angebunden sei.
Bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode sei der Einbezug von Plankosten am ehesten geeignet, um der bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen anzuwendenden Ex-ante-Betrachtung (§ 1 Abs. 3 Satz 4 AStG) Rechnung zu tragen. Zudem werde das FG München einen angemessenen Aufschlagsatz zu ermitteln haben, wobei der BFH für diesen Fall die Verwendung von Datenbankstudien anordnet. Dabei sei aber zu beachten, dass die Kostenbasis der Unternehmen in der Studie vergleichbar zur C sein müsse.
Das Urteil enthält einige bedeutsame Ausführungen zur häufig in Betriebsprüfungen diskutierten Frage, ob Materialkosten bei funktionsarmen Produktionseinheiten zu beaufschlagen sind oder nicht. Im konkreten Fall lehnte dies der BFH aufgrund des sehr eingeschränkten Funktions- und Risikoprofils der C ab, wobei stets eine einzelfallbezogene Analyse erfolgen muss.
Interessant ist die Aussage, dass bei Durchführung einer Datenbankstudie die Kostenbasis der Vergleichsunternehmen zur Charakterisierung der Produktionsgesellschaft passen muss. Das heißt, dass bei Qualifikation als Lohnfertiger auch bei den Vergleichsunternehmen Materialkosten für Zwecke der Berechnung des Gewinnaufschlags herauszunehmen sind, was zu einer Erhöhung des Mark-Ups führen sollte. Unter Umständen können weitere Anpassungsrechnungen erforderlich sein, um eine höhere Vergleichbarkeit herzustellen. Für die Praxis relevant dürfte auch sein, wie mit dem grundsätzlichen Erfordernis der Verwendung von Plankosten zur Verrechnungspreisbestimmung umzugehen ist. Insbesondere bei größeren Abweichungen im Laufe des Jahres, dürfte dies i. d. R. Jahresendanpassungen notwendig machen, um ein fremdübliches Ergebnis herzustellen. Zu befürworten ist jedenfalls die Feststellung des BFH, dass durch die Finanzverwaltung vorgetragene pauschale Begründungen (ohne Nachweise bzw. eine vage „Internetrecherche“) für eine Einkünftekorrektur nicht ausreichen.
Zuzustimmen ist außerdem der Würdigung, dass nicht jede Verlagerung einer Funktion den Tatbestand des § 1 Abs. 3 S. 9 AStG a. F. erfüllen sollte, da § 1 Abs. 1 S. 2 Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlV) a. F. eine gewisse Eigenständigkeit / Abgrenzbarkeit von anderen Funktionen im Unternehmen erfordert. Dadurch wird der seitens der Finanzverwaltung teilweise vorangetriebenen Atomisierung des Funktionsbegriffs eine Absage erteilt, wenngleich aufgrund der Neufassung der FVerlV sowie des § 1 AStG mit Wirkung für nach dem 31. Dezember 2021 beginnende Wirtschaftsjahre weitere Diskussionen zu erwarten sind (Stichwort „Teilfunktionsverlagerung“).
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Newsletter Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 61