Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 62

Im Fokus: Wachstumschancen-gesetz – Neue Regelungen zu konzerninternen Finanzierungen

Berlin, Bundesrat
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  • 06 Jun 2024

Von Daniel Retzer. In seiner Sitzung am 22. März 2024 hat der Bundesrat dem Vermittlungsergebnis zum Wachstumschancengesetz zugestimmt. Dieses sieht unter anderem Änderungen vor, welche die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei konzerninternen Finanzierungsbeziehungen regeln. Dafür wurde § 1 Außensteuergesetz (AStG) um zwei neue Absätze 3d und 3e erweitert – mit Auswirkungen auf die Abzugsfähigkeit von Zinsen sowie die Vergütung für die Vermittlung von Finanzmitteln.

Überblick

Die neu eingefügten besonderen Verrechnungspreisregeln für konzerninterne Finanzierungsbeziehungen finden sich in ergänzten Absätzen 3d und 3e zum § 1 AStG wieder. Während § 1 Abs. 3d AStG eine Korrekturvorschrift für den Abzug von (Zins-) Aufwendungen einer in Deutschland steuerpflichtigen Darlehensnehmerin darstellt, zielt § 1 Abs. 3e AStG auf Vermittlungen oder Weiterleitungen von Finanzmitteln innerhalb einer multinationalen Unternehmensgruppe ab. 

Nach der Gesetzesbegründung sollen die Neuregelungen in ihrer Wirkungsweise im Grundsatz denen der zunächst im Gesetzgebungsverfahren vorgesehenen und später gestrichenen Zinshöhenschranke (§ 4l Einkommensteuergesetz (EStG)) entsprechen, indem der Betriebsausgabenabzug für Entgelte aus Finanzierungsbeziehungen nur insoweit zugelassen wird, als diese Aufwendungen dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, wenngleich im Gegensatz zur Zinshöhenschranke nur grenzüberschreitende Fälle erfasst werden. Offenbar geht der Gesetzgeber von einer Umsetzung des Kapitels X der OECD-Verrechnungspreisleitlinien aus, wodurch Doppelbesteuerungssituationen verringert werden sollen. Bei genauer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die Neuregelungen an vielen Stellen von den Vorgaben der OECD abweichen, so dass zweifelhaft ist, ob die gesetzten Ziele erreicht werden können.

Die Neufassung des § 1 AStG soll ab dem Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraum 2024 zur Anwendung kommen und dürfte auch Relevanz für bereits zuvor abgeschlossene Finanzierungsvereinbarungen haben, soweit diese nach wie vor bestehen.

§ 1 Abs. 3d AStG

§ 1 Abs. 3d S. 1 AStG sieht eine Begrenzung des Zinsabzugs vor, wenn ein aus einer grenzüberschreitenden Finanzierungsbeziehung innerhalb einer multinationalen Unternehmensgruppe resultierender Aufwand die Einkünfte des (inländischen) Steuerpflichtigen gemindert hat und

  1. der Steuerpflichtige nicht glaubhaft machen kann, dass er den Kapitaldienst für die gesamte Laufzeit dieser Finanzierungsbeziehung von Anfang an hätte erbringen können sowie die Finanzierung wirtschaftlich benötigt und für den Unternehmenszweck verwendet, oder 
  2. soweit der seitens des Steuerpflichtigen zu entrichtende Zinssatz mit einer ihm nahestehenden Person den Zinssatz übersteigt, zu dem sich das Unternehmen unter Zugrundelegung des Gruppenratings gegenüber fremden Dritten finanzieren könnte. 

Im Ergebnis kann es im ersten Fall zu einer Versagung des Zinsabzugs kommen, wenn nicht glaubhaft gemacht werden kann, dass die Anforderungen an die Fähigkeit zur Leistung des Kapitaldienstes (Zins und Tilgung) und zur wirtschaftlichen Notwendigkeit und Zweckverwendung der Mittel erfüllt sind. Fraglich könnte aufgrund des Wortlauts sein, ob die Anforderungen der Vorschrift erfüllt sind, wenn bei Darlehen, die zum Ende der Laufzeit noch nicht vollständig getilgt sind, eine Anschlussfinanzierung erforderlich ist (die Tilgung der Restschuld also nicht aus Eigenmitteln geleistet werden kann). Jedenfalls dürfte in Folge der Neuregelung die Bedeutung sog. „Debt-Capacity-Analysen“ deutlich zunehmen. Mittels dieser wird die wirtschaftliche Schuldentragfähigkeit der Darlehensnehmerin zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf Basis von künftig erwarteten finanziellen Überschüssen aufgezeigt. Ausweislich der Gesetzesbegründung muss zudem eine begründete Aussicht auf eine Rendite bestehen, die die Finanzierungskosten deckt. Insbesondere soll eine Verwendung des Fremdkapitals für den Unternehmenszweck bei Anlage auf dem Tagesgeldkonto oder Einlage in einen unternehmensgruppeninternen Cash Pool nicht vorliegen. Dies entspricht zwar Rn. 3.124 der Verwaltungsgrundsätze (VWG)-Verrechnungspreise 2023, stellt aber faktisch eine Einschränkung der Finanzierungsfreiheit dar. Zudem ist auch im Drittvergleich das Halten von Liquiditätsreserven beobachtbar, einerseits als Sicherheit vor unternehmerischen Risiken und andererseits um sich am Markt ergebende Opportunitäten nutzen zu können.

Im zweiten Fall kann es zu einem (teilweisen) Versagen des Zinsabzugs kommen, soweit derjenige Zinssatz überschritten wird, der sich bei Anwendung des Unternehmensgruppenratings ergibt. Allerdings wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt, im Einzelfall nachzuweisen, dass ein aus dem Unternehmensgruppenrating abgeleitetes (transaktionsspezifisches) Rating dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Nach der Gesetzesbegründung müssen im Rahmen des Nachweises unter anderem die Bonitätseinschätzung, inklusive der fremdüblichen quantitativen und qualitativen Faktoren, sowie die Effekte aus dem Bestehen der Unternehmensgruppe (Konzernrückhalt) verlässlich dargelegt werden. Die Regelung widerspricht aber Kapitel X der OECD-Verrechnungspreisleitlinien (sowie dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Mai 2021, I R 4/17), wonach auf das Stand-Alone Rating als Ausgangspunkt abgestellt werden soll, welches in Abhängigkeit vom Grad der Einbindung in die Unternehmensgruppe bzw. der Ausprägung des Konzernrückhaltes in Richtung des Gruppenratings anzupassen sein kann (sog. notching-up). Wegen der Nachweismöglichkeit im Einzelfall geht die Gesetzesbegründung dennoch von einer Vereinbarkeit mit den OECD-Vorgaben aus, wenngleich aufgrund des gesetzlich verankerten sog. Top-Down-Ansatzes (der im Widerspruch zum sog. Bottom-Up-Ansatz der OECD steht) die Dokumentations- und Nachweiserfordernisse für Steuerpflichtige zunehmen sollten. Inwieweit im Einzelfall tatsächlich eine Vereinbarkeit mit den OECD-Regelungen erreicht werden kann, ist jedoch fraglich. Auch ist zu beachten, dass in der Praxis ein Konzernrating häufig gar nicht vorliegt und nur mit großem Aufwand ermittelt werden kann. Zudem wird nicht ausgeführt, wie vorgegangen werden soll, wenn das Konzernrating nicht als sachgerecht angesehen wird. 

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§ 1 Abs. 3e AStG

Nach § 1 Abs. 3e AStG soll bei der Vermittlung oder Weiterleitung von Finanzmitteln innerhalb einer multinationalen Unternehmensgruppe davon ausgegangen werden, dass eine funktions- und risikoarme Dienstleistung vorliegt, für die laut Gesetzesbegründung lediglich eine Vergütung auf Kostenaufschlagsbasis verlangt werden kann. Zu den betroffenen Tätigkeiten sollen gemäß § 1 Abs. 3e S. 2 AStG auch die Steuerung von Finanzmitteln, wie ein Liquiditätsmanagement, ein Finanzrisikomanagement, ein Währungsrisikomanagement oder die Tätigkeit als Finanzierungsgesellschaft gehören. Ein Aufschlag zwischen fünf und zehn Prozent sei danach als „nicht abwegig“ anzusehen, wobei sämtliche nachgewiesenen und direkt zurechenbaren Betriebskosten ohne Einbeziehung der Refinanzierungskosten (für die eine risikolose Rendite anzusetzen sei) berücksichtigt werden sollen. Allerdings sieht § 1 Abs. 3e S. 3 AStG eine Gegenbeweismöglichkeit für den Steuerpflichtigen vor, anhand einer Funktions- und Risikoanalyse nachzuweisen, dass es sich nicht um eine funktions- und risikoarme Dienstleistung handelt. Nach der Gesetzesbegründung soll dadurch eine Konsistenz zu den Vorgaben in Kapitel X der OECD-Verrechnungspreisleitlinien hergestellt werden (vgl. Tz. 10.129, 10.133 und 10.142).

In der Praxis sollte die Neuregelung insbesondere Relevanz für konzerninterne Cash Pools haben, da nunmehr im Grundsatz unterstellt wird, dass Cash Pool-Führer nur als funktions- und risikoarme Dienstleister anzusehen sind und sämtliche Vorteile aus der Finanzmittelbündelung auf die operativen Cash Pool-Gesellschaften zu verteilen sind. Herausfordernd dürfte in diesem Zusammenhang die Aussteuerung des Cash Pool-Führers auf eine kostenbezogene Marge sein, da typischerweise die laufende Vergütung anhand eines Basiszinssatzes zzgl. eines (negativen bzw. positiven) Spreads festgesetzt wird. Eine Möglichkeit, den avisierten Kostenaufschlagssatz herzustellen, könnte in der Vornahme von Jahresendanpassungen bestehen, wobei sich dann die Frage stellt, wie diese auf die operativen Cash Pool-Gesellschaften im Einzelfall zu verteilen sind, so dass im In- und Ausland eine steuerliche Akzeptanz erreicht wird. 

Weiterhin könnte die Neuregelung auch einschlägig sein, wenn inländische Steuerpflichtige Darlehen von substanzschwachen im Ausland ansässigen Gruppengesellschaften erhalten. Ähnlich wie zunächst mittels der Zinshöhenschranke vorgesehen, könnte es in diesen Fällen zu einer Beschränkung des Zinsabzuges auf Ebene der Darlehensnehmerin kommen, insbesondere wenn seitens der Darlehensgeberin lediglich Finanzmittel ohne Ausübung wesentlicher eigener Funktionen weitergeleitet werden. Eine entsprechende Auffassung wurde seinerzeit auch in Rn. 3.92 der VWG-Verrechnungspreise 2021 vertreten, welche jedoch seitens der Finanzverwaltung im Zuge der Aktualisierung im Jahr 2023 gestrichen wurde. Zudem stünde eine derartige Abzugsbeschränkung im Widerspruch zum Urteil des BFH vom 18. Mai 2021 (I R 4/17), in dem dieser entschieden hat, dass der Zinsabzug einer inländischen Darlehensnehmerin nicht mit dem Argument verwehrt werden kann, dass sich aus einem fremdüblich vereinbarten Zinssatz aufgrund des Funktions- und Risikoprofils der Darlehensgeberin eine zu hohe Vergütung für Letztere ergebe. Nach Auffassung des BFH sei für die Bestimmung des fremdüblichen Zinssatzes nur auf die Verhältnisse bei der Darlehensnehmerin abzustellen. Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob der Gesetzeswortlaut eine Grundlage für eine solche Abzugsbeschränkung bilden kann.

Fazit und Würdigung

Die durch das Wachstumschancengesetz neu in § 1 AStG eingefügten Regelungen zu konzerninternen Finanzierungen stehen teilweise im Widerspruch zu bestehender Rechtsprechung und Kapitel X der OECD-Verrechnungspreisleitlinien, wodurch vermutlich – im Gegensatz zur Zielsetzung des Gesetzgebers – die Anzahl der Streitigkeiten und Doppelbesteuerungsfälle zunehmen dürfte. Dies auch vor dem Hintergrund, dass es zahlreiche Anwendungsfragen gibt, die durch das Gesetz nicht abschließend geklärt werden. Außerdem ist von einer Zunahme der Dokumentations- und Nachweispflichten auszugehen. Aufgrund der Abweichungen zu den OECD-Vorgaben, die zumindest zur Auslegung des abkommensrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes heranzuziehen sind, stellt sich zudem die Frage, ob Artikel 9 des einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens im Einzelfall eine Schrankenwirkung entfalten könnte. Jedenfalls dürften im Rahmen eines internationalen (Vorab-) Verständigungsverfahrens ausschließlich die Grundsätze in Kapitel X der OECD-Verrechnungspreisleitlinien einschlägig sein. Schließlich ist auch zu bedauern, dass die Neuregelungen (insbesondere § 1 Abs. 3d AStG) gezielt vom Wortlaut auf Inboundfälle ausgerichtet sind, während die Finanzverwaltung sich in Rn. 3.3 der VWG-Verrechnungspreise 2023 für eine einheitliche Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im In- und Outboundfall ausgesprochen hat.

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