Von Dr. Michael Puls und Maximilian Schmitter. Sind grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen innerhalb einer Unternehmensgruppe nicht am sog. Fremdvergleichsgrundsatz ausgerichtet, berechtigt dies die deutsche Finanzverwaltung zu steuerlich relevanten Einkünftekorrekturen. Dies gilt auch für grenzüberschreitend tätige Unternehmen in der Energiewirtschaft. Gerade im Lichte der gegenwärtigen Transformationen von Geschäftsmodellen unter der Energiewende ist die Thematik der steuerlichen Verrechnungspreise aus Sicht der deutschen und vieler ausländischer Finanzverwaltungen von weitreichender Bedeutung.
Der folgende Beitrag fasst die aus unserer Sicht gegenwärtig am häufigsten in der Praxis anzutreffenden Verrechnungspreisfragestellungen in der Energiewirtschaft zusammen und soll als Denkanstoß für den Umgang mit diesen Herausforderungen dienen.
Die inländische Planung und Projektsteuerung von Wind- und Solarparks mit Standort im Ausland durch deutsche Konzerngesellschaften können u. U. steuerliche Risiken in sich bergen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn immaterielle Vermögenswerte oder unternehmerische Geschäftschancen im Inland geschaffen werden und dann ausländischen Betreibergesellschaften kompensationslos überlassen werden, sodass diese in die Lage versetzt werden, entsprechende Wind- oder Solarparks zu betreiben. Solche Transaktionen können im schlimmsten Fall eine Funktionsverlagerungs- oder Entstrickungsbesteuerung auslösen, was erhebliche steuerliche Risiken für das deutsche Unternehmen darstellen kann.
Eine Risikominimierung lässt sich hier durch eine passende Gestaltung der Gesellschafter- und Vertragsstruktur sowie der zugrunde liegenden Funktionen und Risiken der Parteien erreichen.
Sog. Power Purchase Agreements (PPAs) spielen eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Vermarktung von erneuerbaren Energien. Dabei handelt es sich um Vermittlungsverträge mit gesicherter Abnahme zwischen Energieproduzenten und Energieversorgern, -händlern oder sonstigen Unternehmen. Durch sog. Sleeved PPAs, bei denen der Energiehandel zwischen Erzeuger, Verbraucher und oftmals einem zwischengeschalteten Energiehändler stattfindet, ergibt sich eine komplexe steuerliche Bewertungssituation. Aus steuerlicher Verrechnungspreisperspektive fordert der Risikokontrollansatz eine genaue Betrachtung, wer in dieser Hinsicht das tatsächliche Risiko trägt, um eine angemessene Verrechnung der Einkünfte sicherzustellen. Sog. Virtual PPAs und Contracts for Difference als Hedging-Instrumente erfordern ebenfalls eine sorgfältige Analyse, um den Fremdvergleichsgrundsatz einzuhalten. Die Auswahl einer geeigneten Verrechnungspreismethodik muss die spezifischen Eigenschaften eines jeden PPAs berücksichtigen. Idealerweise sollten in Abhängigkeit der gewählten Verrechnungspreismethodik auch entsprechende Benchmark-Analysen als Nachweise der Fremdüblichkeit der gewählten Konditionen durchgeführt werden.
Sog. Asset-Backed Trading-Aktivitäten im Energiesektor umfassen komplexe Transaktionen, welche die physische oder finanzielle Lieferung von Rohstoffen, die Nutzung von Lager- und Transporteinrichtungen sowie Finanzderivate zu Absicherungszwecken beinhalten können. Dies führt in der Regel zu besonderen Herausforderungen für die Verrechnungspreisgestaltung multinationaler Unternehmen. Dies liegt vor allem an der hohen Volatilität der Energiepreise vor dem eigentlichen Erzeugungszeitpunkt, die eine kontinuierliche Anpassung der Verrechnungspreise erforderlich macht. Optimierungs- und Hedging-Strategien sorgen hierbei für eine erhebliche Verrechnungspreiskomplexität, die einer genauen Planung und fortlaufenden Analyse bedürfen.
Die Energiebranche ist zunehmend geprägt von digital gesteuerten Erzeugungsanlagen, die oft ohne lokale menschliche Präsenz betrieben werden. Dies kann zur Entstehung sog. personalloser Betriebsstätten führen, z. B. durch vollautomatisierte Windfarmen oder Photovoltaikanlagen. Die steuerliche Behandlung solcher Betriebsstätten ist noch weitgehend ungeklärt und wirft Fragen bezüglich der Ergebnisallokation und der Anwendung existierender steuerrechtlicher Regelungen auf. Diese steuerliche Unsicherheit sollte bei Investitionsentscheidungen berücksichtigt werden und idealerweise proaktiv minimiert werden.
Die Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) wird zunehmend zu einem integralen Bestandteil der Geschäftsstrategie von Energieunternehmen. ESG-Initiativen können jedoch erhebliche Kosten verursachen, die innerhalb eines multinationalen Konzerns angemessen verrechnet werden müssen. Die Verrechnung von Kosten für ESG-Maßnahmen, einschließlich des Handels mit CO2-Zertifikaten, erfordert Verrechnungspreisansätze, die sowohl die strategischen Ziele des Unternehmens unterstützen als auch den steuerlichen Vorschriften entsprechen.
Insgesamt erfordert die sich wandelnde Landschaft der Energieindustrie eine kontinuierliche Anpassung und Verfeinerung der dort anzuwenden Verrechnungspreisstrategien. International tätige Unternehmen müssen proaktiv agieren, um ihr Verrechnungspreissystem an neue Geschäftsmodelle und regulatorische Anforderungen anzupassen.
In unserem vierteljährlich erscheinenden Newsletter informiert Sie unser internationales Expertenteam über aktuelle Entwicklungen zum Thema Verrechnungspreise.
Newsletter Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 62