Von Schervin Pouyan. In unserer Rubrik „Nachgefragt“ greifen wir in Gesprächen mit Fachexpert:innen, Unternehmensvertreter:innen, Vertreter:innen der Finanzverwaltung, der OECD sowie Vertreter:innen aus der (internationalen) Beraterschaft die aktuellen Entwicklungen im Bereich Verrechnungspreise auf. Die verschiedenen Blickwinkel bieten eine ganzheitliche Sicht auf die Herausforderungen und liefern Denkanstöße für die Verrechnungspreispraxis.
Seit nunmehr zwei Jahren ist Daniel Schwerdt Head of Transfer Pricing bei SoftwareONE, einem global tätigen Anbeiter von Software- und Cloud-Lösungen. Bevor er zu SoftwareONE in die Schweiz wechselte, war Daniel über viele Jahre Berater für Verrechnungspreise in Deutschland. Im Interview beleuchten wir die Unterschiede zwischen den Verrechnungspreislandschaften in der Schweiz und Deutschland und die Bedeutung von KI sowohl für das Geschäftsmodell von SoftwareONE als auch als Anwender im Bereich der Steuern und Verrechnungspreise.
Wir befinden uns seit Jahren in einem extrem dynamischen Steuer- und Verrechnungspreisumfeld. Welche Entwicklungen stellen aus Deiner Praxissicht die größten Herausforderungen dar und wo siehst Du auch Chancen für Unternehmen?
Daniel Schwerdt: In der Tat sehen wir eine sehr dynamische Entwicklung im Verrechnungspreisumfeld und es kommen regelmäßig neue Publikationen und Entwürfe für Gesetzesänderungen von verschiedenen Institutionen auf die Steuerpflichtigen zu. Hierbei beziehe ich mich vor allem auf die OECD-Mindestbesteuerung (Pillar Two), Pillar One Amount A und B, die Business in Europe: Framework for Income Taxation (BEFIT-) Direktive, die EU-Verrechnungspreisrichtlinie sowie landesspezifische Regulierungen. Sofern diese Entwürfe alle umgesetzt werden, sehe ich große Herausforderungen für Unternehmen, diesen in Summe entsprechen zu können, zumal es bei den verschiedenen Initiativen durchaus Widersprüche gibt.
Sofern diese Entwürfe alle umgesetzt werden, sehe ich große Herausforderungen für Unternehmen, diesen in Summe entsprechen zu können, zumal es bei den verschiedenen Initiativen durchaus Widersprüche gibt.
Ich tue mich etwas schwer, in den stetig zunehmenden steuerlichen Regulierungen für Unternehmen wirkliche Chancen zu erkennen, da diese für international tätige Unternehmen vor allem kontinuierlich den Compliance-Aufwand und die Betriebsprüfungsaufgriffsrisiken erhöhen. Aber wenn man den aktuellen Entwicklungen auch etwas Positives abgewinnen will, dann zielen zumindest Pillar Two und Pillar One Amount B auf eine Harmonisierung von Mindeststeuersätzen bzw. Vertriebsmargen ab. Ob das in der Praxis zu Vereinfachungen führt, wird man aber noch sehen müssen.
Du arbeitest jetzt seit zwei Jahren als Head of Transfer Pricing in der Schweiz. Was sind aus Deiner Sicht die wesentlichen Unterschiede in der Verrechnungspreispraxis in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland, wo Du den Großteil Deiner Karriere verbracht hast?
Schwerdt: Zunächst macht es einen Unterschied, ob man das Thema Transfer Pricing In-house oder aus Beratersicht betreut. Wir sind im TP-Team für die Kalkulation und Abrechnung von Verrechnungspreisen mit Tochtergesellschaften in 70 Ländern verantwortlich. Daher ist man praktisch täglich mit unterschiedlichen landespezifischen Vorschriften konfrontiert. In meiner Beraterpraxis lag der Fokus mehr auf den Regelungen in dem Land, in dem man tätig ist (etwa Betriebsprüfungen, Local Files, Umstrukturierungen). Insofern empfinde ich meine derzeitige Tätigkeit als nochmal deutlich internationaler als vorher.
Der Hauptunterschied in der Verrechnungspreispraxis zwischen Deutschland und der Schweiz besteht darin, dass die Schweiz kein detailliertes Regelwerk zu Verrechnungspreisen hat, wie es sich in Deutschland in den letzten 20 Jahren kumulativ über Gesetze, Verordnungen und BMF-Schreiben entwickelt hat. So beschränken sich die Dokumentationsvorschriften in der Schweiz auf die Erstellung des länderbezogenen Berichts und es besteht keine Pflicht zur Erstellung von Stamm- und Einzeldokumentationen. Im Rahmen von Steuerprüfungen bestehen aber auch Auskunfts- und Nachweispflichten in Bezug auf die Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise. Die Prüfungen sind in der Schweiz im Normallfall aber nicht so detailliert und langwierig wie in Deutschland.
Obwohl nicht rechtsverbindlich, nehmen die Schweizer Steuerbehörden in der Regel auf die OECD-Verrechnungspreisgrundsätze als Auslegungshilfe für den im Steuerrecht vorgesehenen Fremdvergleichsgrundsatz Bezug. Auf über die Grundsätze hinausgehende Interpretationen, wie es in Deutschland etwa zum Thema Intercompany Finanzierung oder Funktionsverlagerung der Fall ist, wird verzichtet und das ist sicher eine weitere Erleichterung.
Die Schweiz war in der Vergangenheit nicht dafür bekannt, internationale Vorschriften als sog. Early Adopter umzusetzen. Dies hat sich insbesondere mit der raschen Umsetzung der Pillar Two Mindeststeuer geändert. Siehst Du hier einen Paradigmenwechsel, der ebenfalls bei anderen Themen erkennbar sein wird?
Schwerdt: Ich persönlich glaube nicht, dass es hier einen Paradigmenwechsel gibt. Die Schweizer Regierung schaut sehr genau hin, welche Regelungen der Schweiz nutzen und welche nicht. Bei einer Verschiebung oder Nicht-Implementierung der Pillar Two-Mindeststeuer wären bei Schweizer Gesellschaften anfallende inländische Ergänzungssteuern nicht in der Schweiz, sondern ggf. im Ausland vereinnahmt worden. Dieses Steuersubstrat wollte man selbstverständlich in der Schweiz behalten, zumal das Stimmvolk bei der Abstimmung zur OECD-Mindestbesteuerung klar dafür gestimmt hat. Ich denke, bei weiteren internationalen Steuerinitiativen wird die Schweiz wieder genau prüfen, welche Vor- bzw. Nachteile sich daraus für ihr Land ergeben. Die Umsetzung der Income Inclusion Rule und Undertaxed Payment Rule wurde ja zunächst noch verschoben.
Die Schweizer Steuerkonferenz (SSK) und die eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) veröffentlichten per 1. Januar 2024 erstmals einen umfassenden Artikel zum Thema Verrechnungspreise. Erwarten uns hier größere Änderungen im Umgang mit Verrechnungspreisthemen, beispielsweise im Rahmen von Steuerprüfungen?
Schwerdt: Ich denke schon, dass das Thema Verrechnungspreise bei Steuerprüfungen in der Schweiz an Bedeutung gewinnen wird. Es wird ja auch bereits geprüft, wenn auch nicht so flächendeckend wie z. B. in Deutschland. Der genannte Artikel enthält im Prinzip nicht viel Neues und gibt vor allem die in den OECD-Verrechnungspreisgrundsätzen geäußerten Auffassungen wieder, was sehr zu begrüßen ist. Mit der Veröffentlichung dieses Artikels betonen die SSK und ESTV, dass für die Bepreisung von Intercompany Transaktionen der Fremdvergleichsgrundsatz anzuwenden ist, nach welchen Methoden und Kriterien dies zu erfolgen hat und dass ein Nichteinhalten dieses Grundsatzes für die Unternehmen zu steuerlichen Konsequenzen führt. Insofern setzt dieser Artikel die Rahmenbedingungen, auf die man sich als in der Schweiz ansässiges Unternehmen bei Steuerprüfungen einstellen muss.
Als Mitarbeiter eines führenden Anbieters von Software- und Cloud-Lösungen geht das Thema KI sicherlich auch nicht spurlos an Dir vorbei. Wie empfindest Du den aktuellen KI-Boom?
Schwerdt: Da wir zu den weltweit größten Vertriebspartnern von Microsoft gehören, spielt bei uns der Microsoft Copilot eine wichtige Rolle, der bei unseren Kunden auf großes Echo stößt. Unsere Vertriebs- und Service Teams führen hier viele Beratungsgespräche und Kundenworkshops durch, bei denen Use Cases vorgestellt und diskutiert werden.
Wir hatten bereits im letzten Jahr einige Early-Adopter-Lizenzen in allen Funktionsbereichen, mit denen Anwendungsfälle erarbeitet wurden. Insofern ist es sehr spannend zu sehen, was technologisch schon möglich ist. Ich denke, es wird aber noch etwas dauern, bis sich die Arbeitsweisen der Mitarbeiter in Unternehmen an die neuen Technologien adaptiert haben und KI-Tools flächendeckend eingesetzt werden.
Es wird oftmals spekuliert, welchen Einfluss KI auf die Jobs von heute haben wird. Welchen Einfluss wird KI aus Deiner Sicht auf die Steuer- und Verrechnungspreisfunktion haben?
Schwerdt: Einige Tätigkeiten können sicher durch KI-Tools erledigt oder zumindest deutlich beschleunigt werden. Neben allgemeinen Tätigkeiten wie Übersetzungen, Zusammenfassung von Meetings, Verfassen von E-Mails, die in allen Abteilungen eines Unternehmens Anwendung finden, sehe ich für den Steuerbereich das Einsatzgebiet von KI vor allem bei steuerlichen Recherchen, Auswertungen von Dokumenten oder für die Analyse und Aufbereitung von Daten. Insofern erwarte ich, dass einige der vielfältigen Aufgaben der Steuer- und Verrechnungspreisfunktion künftig schneller und ggf. genauer abgearbeitet werden können. Wie stark sich daraus die Arbeitswelt der Steuerfunktion ändert, wird davon abhängen, ob und wie schnell man auch komplexere Tätigkeiten zuverlässig durch KI-Tools „erledigen lassen“ kann.
In unserem vierteljährlich erscheinenden Newsletter informiert Sie unser internationales Expertenteam über aktuelle Entwicklungen zum Thema Verrechnungspreise.
Newsletter Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 62