Von Axel Eigelshoven, Jannis Lülf und Rebecca Pottmeier. In unserer Rubrik „Nachgefragt“ greifen wir in Gesprächen mit Fachexpert:innen, Unternehmensvertreter:innen, Vertreter:innen der Finanzverwaltung, der OECD sowie Vertreter:innen aus der (internationalen) Beraterschaft die aktuellen Entwicklungen im Bereich Verrechnungspreise auf. Die verschiedenen Blickwinkel bieten eine ganzheitliche Sicht auf die Herausforderungen und liefern Denkanstöße für die Verrechnungspreispraxis.
Für dieses Interview konnten wir Julia Stoltenberg gewinnen, Head of Transfer Pricing bei SAP. In ihrer Rolle hat sie sich unzweifelhaft eine umfangreiche Expertise im Bereich der Verrechnungspreise angeeignet, die sie durch Publikationen, aber auch durch Mitarbeit in Arbeitskreisen einbringt. So trägt Julia Stoltenberg als aktives Mitglied im Arbeitskreis Verrechnungspreise der Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung (AWV) und dem Schmalenbach Arbeitskreis Verrechnungspreise zum fachlichen Austausch und zur Weiterentwicklung der Verrechnungspreislandschaft bei.
Du arbeitest nun seit 20 Jahren bei SAP im Bereich der Verrechnungspreise. Was hat sich seither verändert, und was sind Deine aktuellen Hauptherausforderungen?
Julia Stoltenberg: Die Hauptherausforderungen im Bereich der Verrechnungspreise haben sich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte deutlich gewandelt. Während beispielsweise vor 20 Jahren nur in wenigen Betriebsprüfungen Verrechnungspreisthemen überhaupt aufgegriffen wurden, sind sie mittlerweile in vielen ausländischen Betriebsprüfungen ein wesentliches Prüfungsthema. Dabei hat sich nicht unbedingt die Frequenz der steuerlichen Feststellungen oder Aufgriffe erhöht. Die Veränderung schlägt sich vielmehr in der deutlich höheren Anzahl der An- und Rückfragen der involvierten Finanzverwaltung nieder. Dies bedeutet einen hohen Arbeitsaufwand, sowohl für die Unternehmen als auch für die Finanzverwaltungen selbst.
Auch die steigenden Compliance-Anforderungen sind zeit- und ressourcenintensiv. So macht beispielsweise die Aktualisierung des Master Files sowie der Vielzahl an Local Files und die Vorbereitung des CbC-Reportings einen nicht zu unterschätzenden Arbeitsaufwand unseres Teams aus.
Eine meiner Hauptherausforderungen liegt daher darin gemeinsam mit meinem Team Wege zu finden, wie wir den steigenden Compliance-Anforderungen effizienter begegnen können. Eine wichtige Rolle nimmt dabei auch die Digitalisierung ein, die wir intern sehr stark vorantreiben.
Wir beobachten, dass deutsche Unternehmen heute viel stärker dazu neigen im Anschluss an Betriebsprüfungen Verständigungsverfahren einzuleiten. Wie geht Ihr im Team mit Doppelbesteuerung um und wie sind die Erfahrungen mit Verständigungsverfahren? Siehst Du Verbesserungspotenzial?
Stoltenberg: Wir sind bei Verrechnungspreisaufgriffen grundsätzlich nicht bereit, Doppelbesteuerung hinzunehmen und setzen uns daher intensiv mit den Behörden zur Auflösung einer potentiellen Doppelbesteuerung auseinander. Zur Auflösung der Doppelbesteuerung haben sich Verständigungsverfahren als Werkzeug international etabliert.
Die Erfahrungen mit Verständigungsverfahren und Vorabverständigungsverfahren (APAs) sind generell positiv, aber auch herausfordernd. Hervorzuheben ist hier die konstruktive und gute Zusammenarbeit mit dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt). Trotzdem sind diese Verfahren sehr zeit- und ressourcenintensiv, da sie unter anderem eine intensive Auseinandersetzung mit Rückfragen der verschiedensten am Verfahren beteiligten Finanzverwaltungen erfordern. Die Verfahren dauern oft lange und sind komplex, bedauerlicher fehlt es bei manchen Ländern auch an praktischen Erfahrungen, wodurch sich die Verständigungsverfahren teilweise über Jahre hinweg ziehen.
Insbesondere zeigt sich dies bei Verständigungsverfahren mit Ländern ohne Schiedsklausel im DBA, da hier der Druck entfällt, binnen der festgelegten Zeit eine Einigung zu erzielen. Eine Ausweitung der Schiedsklausel wäre daher sehr wünschenswert, ähnlich wie ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Brasilien.
Zudem sind hier neue Wege der Streitbeilegung, wie das International Compliance Assurance Programme (ICAP)-Verfahren, sehr zu begrüßen.
Du sagtest einleitend, dass die Digitalisierung eine wichtige Rolle einnimmt, wenn es darum geht steigenden Compliance-Anforderungen effizienter begegnen zu können. An diese Aussage würden wir gerne anknüpfen: Das Thema Digitalisierung der Steuerabteilung ist seit Jahren ein Dauerbrenner und hat zuletzt durch KI einen ganz neuen Schub bekommen. Wie geht Ihr im Team damit um?
Stoltenberg: Unser Verrechnungspreisteam hat die Digitalisierung bereits früh als wichtiges Instrument für sich entdeckt und setzt verschiedene Tools und Technologien ein, um mit den bestehenden Ressourcen möglichst effizient den steigenden Compliance-Anforderungen zu begegnen. Die Standardisierung und Digitalisierung der Prozesse, einheitliche Dokumentationstemplates wo immer möglich und effiziente Unterstützung durch Chat Bots waren dabei Schwerpunkte. Unser großer Vorteil ist, dass wir auf zentralisierte Daten zugreifen können, da wir von der einheitlichen Systemlandschaft des Konzerns profitieren. Auch für unsere Steuerabteilung insgesamt ist die Digitalisierung ein wichtiges Fokusthema, was sich schon daran festmachen lässt, dass innerhalb der Steuerabteilung ein Tax Technology Team gegründet wurde.
Ich glaube auch, dass wir durch die weitere Standardisierung noch viel Potential für Verbesserungen haben. Das betrifft für uns nicht nur die Verrechnungspreisdokumentation, sondern auch Anfragen im Rahmen von Betriebsprüfungen und Verständigungsverfahren.
Sehr häufig werden in Betriebsprüfungen Fragen gestellt, die zumindest in sehr ähnlichen Formen von vielen Finanzverwaltungen gestellt werden (als Beispiel sei hier nur der sogenannte Benefit Test bei Dienstleistungsverrechnungen genannt). Die Standardisierung und Zurverfügungstellung solcher Antworten bietet unseres Erachtens ein enormes Potential, um Zeit für andere Aufgaben einzusparen.
Mit dem Thema KI beschäftigen wir uns selbstverständlich sowohl als Steuerabteilung als auch als SAP selbst. Als Unternehmen werden wir auch für die Finanzabteilungen in Zukunft KI-basierte Tools und Anwendungen anbieten, die Prozesse vereinfachen werden.
Gerade auch in unserem Verrechnungspreisteam entwickeln wir ständig neue Use Cases für den Einsatz von KI. Wie bereits beschrieben setzen wir an verschiedenen Stellen auf Standardisierung. Hier, aber auch darüber hinaus, erkennen wir den Wert von KI, durch deren Einsatz wir weitere Steigerung in Effizienz und Effektivität der Prozesse erwarten. So könnten KI Tools ausländische Betriebsprüfungsanfragen oder Feststellungen in die deutsche Sprache übersetzen und den wesentlichen Inhalt kurz zusammenfassen, um eine Reaktion darauf zu erleichtern. Verträge und Dokumente können überprüft und falls möglich Antwortvorschläge generiert werden. Am Ende müssen diese jedoch von einem Fachkollegen überprüft werden. Die „Maschine“ soll hier den Menschen nicht ersetzen, ihm jedoch die Arbeit erleichtern.
Auch wenn die Steuerabteilung durch die Digitalisierung und den Einsatz von KI sowie anderen Tools vor großen Veränderungen steht, bieten diese Entwicklungen die Möglichkeit, Prozesse zu optimieren und Mehrwert zu schaffen. Dies erfordert jedoch auch eine sorgfältige Auseinandersetzung mit Datenschutz und Akzeptanz sowie eine Anpassung an neue regulatorische Anforderungen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass der Einsatz dieser neuen digitalen Möglichkeiten einen großen Mehrwert und Effizienzgewinn bringen kann.
Abschließend möchten wir noch ein globales Thema anschneiden: Pillar I Amount A. Der Status der Implementierung und sogar die Frage, ob es am Ende überhaupt kommt, ist aktuell sehr in der Schwebe. Wie bereitet sich SAP auf die mögliche Regulatorik vor?
Stoltenberg: SAP hat in den Ländern, in denen wir unsere Leistungen anbieten, vor Ort typischerweise eine physische Präsenz und bezahlen also bereits lokal Steuern. Damit fallen wir eigentlich nicht in die Kategorie Digitalunternehmen und Plattformbetreiber auf die Pillar I ursprünglich abzielen sollte.
Da der Anwendungsbereich von Pillar I Amount A mittlerweile ausschließlich an Größe und Gewinnmarge einer Unternehmensgruppe festgemacht wird, könnten wir aber dennoch betroffen sein und bereiten uns daher umfassend auf die mögliche Regulatorik vor. Aktuell sehen wir jedoch auch, dass die Implementierung des Amount A nicht voranschreitet.
Große Sorgen bereitet uns zudem das wiedererstarkende Bestreben einzelner Länder nationale Digitalsteuern einzuführen. Es ist zu befürchten, dass die nationalen Modelle von Land zu Land unterschiedlich ausgestaltet sein werden. Dies würde den Compliance-Aufwand dezentralisieren und diesen damit im Vergleich zu einer global einheitlichen Lösung erhöhen.
In unserem vierteljährlich erscheinenden Newsletter informiert Sie unser internationales Expertenteam über aktuelle Entwicklungen zum Thema Verrechnungspreise.
Newsletter Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 63