Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 63

Region DACH – Deutschland: Der neue AEAO zu §§ 89 und 89a

Europäisches Parlament
  • Newsletter
  • 8 Minuten Lesezeit
  • 30 Aug 2024

Von Dr. Christoph Sommer und Daniel Retzer. Das Bundesministerium der Finanzen („BMF“) hat am 26. Juni 2024 den Anwendungserlass zur Abgabenordnung („AEAO“) zu §§ 89 und 89a geändert sowie das BMF-Schreiben vom 5. Oktober 2006 bezüglich Vorabverständigungsverfahren (IV B 4 – S 1341 – 38/06) aufgehoben. Damit wurde die Verwaltungsauffassung nunmehr an die neue Rechtslage für Vorabverständigungsverfahren („APAs“) angepasst und gleichzeitig verschärft.

Konkret wurden in den AEAO neue Regelungen zu § 89a AO eingefügt, die sich mit der Eröffnung und Beendigung des APA, dem Inhalt und Umfang des Antrags, der Bindungswirkung der APA-Vereinbarung, der Widerrufsmöglichkeit sowie dem APA-Geltungszeitraum (inklusive Roll Back) und den Antragsgebühren auseinandersetzen.

Die wesentlichen Regelungen im Überblick

  • Expliziter Ausschluss einer verbindlichen Auskunft (§ 89 AO) zu Fragen der grenzüberschreitenden Gewinnabgrenzung und Fragen der Betriebsstättengewinnaufteilung (Tz. 1.5).
  • Personengesellschaften sind nach Artikel 4 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens („OECD-MA“) keine in Deutschland ansässigen Personen und können daher im Regelfall keine Anträge auf die Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens stellen. Abkommens- und damit antragsberechtigt sind jedoch Personengesellschaften, die gemäß § 1a KStG zur Körperschaftsbesteuerung optiert haben. Haben Personengesellschaften nicht zur Körperschaftsbesteuerung optiert, ist im Regelfall jeder einzelne Gesellschafter einer Personengesellschaft abkommensberechtigt, wobei im Einzelfall abweichende Regelungen nach dem antragsgegenständlichen Doppelbesteuerungsabkommen („DBA“) gelten können (Tz. 1.8).
  • Bei Organschaften ist in der Regel nur die Organgesellschaft für die von ihr erzielten Einkünfte abkommensberechtigt und nicht (zusätzlich) der Organträger, auch wenn ihm dieses Einkommen zugerechnet wird (Tz. 1.9).
  • Der Antrag hat den genau bestimmten, im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklichten Sachverhalt sowie den zeitlichen Anwendungsbereich, auf den sich das APA beziehen soll, darzustellen. Bei Dauersachverhalten ist ein APA möglich, sofern im Zeitpunkt der Antragstellung noch Dispositionen möglich sind. Unter den Voraussetzungen des § 89a Abs. 6 Satz 2 und 3 AO kann die APA-Vereinbarung auch auf den bereits verwirklichten Teil eines Dauersachverhalts angewendet werden, sog. Roll Back (Tz. 1.11).
  • Die Geltungsdauer eines APA soll in der Regel fünf Jahre nicht überschreiten (Tz. 1.12).
  • Eine Anwendung der APA-Vereinbarung auf vergleichbare Geschäftsvorfälle eines anderen Abkommensberechtigten im gleichen Staat oder bei Übergang der Geschäftsvorfälle auf einen anderen Abkommensberechtigten im gleichen Staat durch Umstrukturierung soll nicht möglich sein. Vielmehr sei in solchen Fällen ein neuer Antrag zu stellen (Tz. 1.13). Dies soll jedoch nicht gelten in den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge oder bei einer Änderung der Rechtsform der in der APA-Vereinbarung bezeichneten Abkommensberechtigten, sofern das rechtliche und tatsächliche Verhältnis, für das die APA-Vereinbarung abgeschlossen wurde (in Verrechnungspreisfällen die Transaktion) von den Rechtsnachfolgern bzw. nach der Rechtsformänderung fortgeführt wird und die Gültigkeitsbedingungen („Critical Assumptions“) eingehalten werden (Tz. 3.7).
  • Das BMF stellt explizit klar, dass es keinen Anspruch auf Einleitung eines APA-Verfahrens gibt. Das Bundeszentralamt für Steuern („BZSt“) behält sich insbesondere vor, keine APA-Verhandlungen einzuleiten, wenn bei dem dargestellten Sachverhalt die Erzielung eines ungerechtfertigten Steuervorteils (etwa einer doppelten Nichtbesteuerung, einer doppelten Verlustnutzung oder der Inanspruchnahme von steuerlichen Präferenzregimen) verfolgt wird (Tz. 1.14). Mit Blick auf den Begriff des „steuerlichen Präferenzregimes“ ist zu erwarten, dass das BMF sich an der Definition in den Verwaltungsgrundsätzen vom 6. Januar 2022 (IV C 2 – S 2144 – g/20/10002 :005) zu Anwendungsfragen der Lizenzschranke (§ 4j EStG) orientieren wird. Demnach ist erforderlich, dass die Einnahmen des Gläubigers einer von der Regelbesteuerung abweichenden Besteuerung unterliegen und die auf diese Einnahmen entfallende Ertragsteuerbelastung weniger als 25 Prozent beträgt. Präferenzregelungen sollen demnach nicht nur auf sog. „Intellectual Property“-Regime wie Lizenzboxen, IP-Boxen oder Patentboxen beschränkt sein, sondern können sich auch auf die Rechtsform, den Ort der Geschäftsleitung oder den Sitz des Gläubigers beziehen. Auch „Tax Rulings“ können die Voraussetzungen einer Präferenzregelung erfüllen. Zu hoffen bleibt, dass es – wie auch bei der Lizenzschranke – unschädlich ist, wenn die angewandte Präferenzregelung dem in Kapitel 4 des Abschlussberichts 2015 zu OECD-BEPS Aktionspunkt 5 definierten Nexus-Ansatz entspricht.
  • Weiterhin droht auch bei fehlender Mitwirkung im Rahmen der Außenprüfung die Nichteinleitung des Verfahrens (Tz. 1.14). Im Übrigen kann auch ein laufendes Verfahren bei fehlender Mitwirkung künftig beendet werden (Tz. 2.8). Zudem soll ein APA auch dann abgelehnt werden können, wenn die deutsche Finanzverwaltung die vom Steuerpflichtigen angewendete Methode für nicht geeignet hält (Tz. 1.14).
  • Positiv ist zu sehen, dass der antragstellende Steuerpflichtige für Zwecke der Sachverhaltsdarstellung zu den APA-Gesprächen eingeladen werden kann (Tz. 1.15).
  • Der Durchführung eines APAs soll es nicht entgegenstehen, wenn die steuerliche Beurteilung eines Sachverhalts, der Gegenstand des Antrags ist, zugleich Gegenstand einer Außenprüfung ist. Im Einzelfall könne aber eine Unterbrechung der Außenprüfung hinsichtlich des vom APA betroffenen Sachverhalts sinnvoll sein, wenn die Ergebnisse des APAs (ggf. nach Roll Back) auch Bedeutung für die Außenprüfung haben und der Steuerpflichtige die Unterbrechung beantragt (Tz. 1.17).
  • Der Antragsteller hat auf Aufforderung des BZSt die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO (Verrechnungspreisdokumentation) für Zeiträume, die dem beantragten Geltungszeitraum des APA vorangehen, einzureichen, sofern dies für die Beurteilung des Sachverhaltes von Bedeutung ist. Werden keine über die Jahre hinweg inhaltlich konsistenten Aufzeichnungen vorgelegt oder bessert der Antragsteller diese auf Aufforderung durch das BZSt nicht nach, kann das BZSt die Einleitung des Verfahrens ablehnen oder das Verfahren beenden (Tz. 2.2).
  • Der Antrag ist grundsätzlich in deutscher Sprache zu stellen. Der Antrag kann (insbesondere in Verrechnungspreisfällen) auch nur auf Englisch gestellt werden, wenn die gemeinsame Arbeitssprache der zuständigen Behörden der beteiligten Staaten nicht Deutsch ist. Auf Anforderung hat der Antragsteller jedoch in jeder Phase des Verfahrens von ihm eingereichte Unterlagen und Schreiben (oder ggf. Teile davon) auf seine Kosten zu übersetzen. Reicht dieser einen Antrag in deutscher Sprache ein, sollte er zusätzlich eine Übersetzung in eine gemeinsame Arbeitssprache der zuständigen Behörden zur Verfügung stellen, wobei die gemeinsame Arbeitssprache der beteiligten Staaten regelmäßig Englisch ist (Tz. 2.3).
  • Der APA-Antrag muss zwingend in Deutschland (und inhaltsgleich zum ausländischen Antrag) eingereicht werden (Tz. 2.4).
  • Informationen, die im APA erteilt werden, muss der Antragsteller den zuständigen Behörden der beteiligten Staaten zur Verfügung stellen. Auf diese Weise werden eine umfassende Informationstransparenz sowie der gleiche Informationsstand der beteiligten Staaten sichergestellt (Tz. 2.5).
  • Im Rahmen eines APAs gewonnene Erkenntnisse sollen auch im Rahmen anderer Besteuerungsverfahren verwendet werden können (Tz. 2.6). Gleichermaßen sollen auch Informationen, die im Laufe koordinierter steuerlicher Außenprüfungen gewonnen werden, im APA zu beachten sein (Tz. 2.7).
  • Die Mitteilung über den Inhalt der APA-Vereinbarung ist kein Verwaltungsakt gemäß § 118 AO und kann deshalb nicht mit einem Einspruch angefochten werden (Tz. 3.2).
  • Bestandteil der APA-Vereinbarung mit dem anderen Staat ist in der Regel die Verpflichtung, einen jährlichen Bericht („Compliance Report“) zu erstellen und vorzulegen. In diesem ist darzulegen, dass der der Vereinbarung zu Grunde gelegte Sachverhalt im betreffenden Jahr verwirklicht worden ist und dass insbesondere die Critical Assumptions eingehalten wurden (Tz. 4.2).
  • Ein Widerruf nach § 89a Abs. 5 AO sollte grundsätzlich vor der Unterzeichnung der APA-Vereinbarung erfolgen, ist aber auch nach deren Abschluss noch möglich (Tz. 5.2).
  • Beantragt der Abkommensberechtigte ein Roll Back, kann diesem Antrag unter Beachtung der Fristen für Verständigungsverfahren der jeweils maßgebenden DBA gefolgt werden, wenn der Antragsteller nachweist, dass der verwirklichte Sachverhalt in den betreffenden Vorjahren dem Sachverhalt, der der APA-Vereinbarung zugrunde liegt, im Wesentlichen entspricht. Auch wenn es sich dabei um unterschiedliche Verfahren handelt, können das Roll Back und das APA gemeinsam vereinbart werden (Tz. 6.3).
  • Stellen mehrere Abkommensberechtigte einen Antrag gemeinsam und kann der zugrundeliegende Sachverhalt nicht nur einheitlich steuerlich beurteilt werden, liegen rechtlich mehrere Anträge vor, auch wenn die Abkommensberechtigten gleiche Geschäftsbeziehungen zu einer nahestehenden Person im anderen Staat unterhalten. Dies gilt auch, wenn die Abkommensberechtigten eine ertragsteuerliche Organschaft bilden (Tz. 7.3).
  • Die Nichtentrichtung der Gebühr innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe ihrer Festsetzung führt in der Regel zur Ablehnung des APA-Antrags (Tz. 7.5).
  • Bei Antragsrücknahme oder Antragsablehnung erfolgt keine Erstattung der bereits entrichteten Gebühr (Tz. 7.7).

Weiterhin wird in Nr. 3.5.4. des AEAO zu § 89 folgender Absatz eingefügt:

  • „Verbindliche Auskünfte sollen ferner nicht erteilt werden, wenn für den maßgeblichen Sachverhalt auch ein Vorabverständigungsverfahren nach § 89a AO in Betracht kommt, insbesondere wenn Verrechnungspreise oder Betriebsstättengewinnabgrenzungen Gegenstand der beantragten verbindlichen Auskunft sind.“

Transfer Pricing Webinare von PwC

In zahlreichen Webinaren berichten wir verständlich und praxisnah über neueste Entwicklungen rund um das Thema Verrechnungspreise.

Mehr erfahren

Anwendung des neuen AEAO

Der neue AEAO zu den §§ 89 und 89a gilt für alle APAs, deren Anträge nach dem 8. Juni 2021 (d. h. dem Geltungsdatum von § 89a AO) bei der zuständigen Behörde eingegangen sind.

Vor diesem Hintergrund entfaltet dieser somit auch Wirkung für bereits laufende Verfahren, weshalb es sinnvoll erscheint, mögliche Implikationen der neuen AEAO für diese zeitnah zu eruieren.

Fazit und Ausblick

Wenngleich durch die neuen Verwaltungsanweisungen etwas mehr Rechtssicherheit im Hinblick auf die Anwendung von § 89a AO geschaffen wird, beinhalten diese einige deutliche Verschärfungen für den Steuerpflichtigen.

So ist zu bedauern, dass unilaterale Vorabverständigungen für grenzüberschreitende Fälle generell ausgeschlossen werden, da in der Praxis mitunter Bedarf besteht, durch parallel unilateral abgestimmte APAs (z.B. mit China und Indien) Rechtssicherheit zu erlangen. Hier wäre eine stärkere Unterstützung der Industrie seitens des BMF bei der Findung von Rechtssicherheit wünschenswert gewesen.

Nicht nachvollziehbar ist aus unserer Sicht, dass ein APA künftig abgelehnt werden können soll, wenn die deutsche Finanzverwaltung die vom Steuerpflichtigen angewendete Methode für nicht geeignet hält. Schließlich ist Sinn und Zweck eines APA doch gerade, einen Konsens zwischen den beteiligten Staaten im Hinblick auf die geeignete Methode zu finden. Sofern die Finanzverwaltung die Auffassung vertritt, dass die Methode ungeeignet ist, erscheint es daher umso mehr sinnvoll, dies im Rahmen eines APAs zwischen den Staaten vorab zu klären. Natürlich bleibt es dieser dabei unbenommen, den anderen Staat davon zu überzeugen, dass die vom Steuerpflichtigen gewählte Methode nach ihrer Auffassung unangemessen ist. Eine Ablehnung allein aufgrund einer aus Sicht der Finanzverwaltung ungeeigneten Methode dürfte nach unserer Ansicht kaum von der gesetzlichen Regelung des § 89a AO abgedeckt sein und daher einer gerichtlichen Überprüfung nur schwerlich Stand halten.

Auch soll der Antrag abgelehnt bzw. sogar ein laufendes Verfahren künftig beendet werden können, wenn der Antragsteller seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt. Gleiches gilt bei inhaltlich nicht konsistenten Aufzeichnungen zwischen den betreffenden Jahren, sofern keine fristgerechte Nachbesserung erfolgt.

Insgesamt können somit nach der neuen Rechtslage bzw. Verwaltungsauffassung APA-Anträge deutlich schneller abgelehnt werden als in der Vergangenheit. Dies ist unseres Erachtens zu bedauern, da dadurch die Anzahl der Streitigkeiten in Betriebsprüfungen und folgerichtig auch die Anzahl der Fälle, die nachgelagert in ein Verständigungsverfahren überführt werden, tendenziell zunehmen dürfte, was die Bearbeitungszeiten letzterer vermutlich prospektiv noch weiter verlängert.

Jetzt zum Newsletter anmelden

In unserem vierteljährlich erscheinenden Newsletter informiert Sie unser internationales Expertenteam über aktuelle Entwicklungen zum Thema Verrechnungspreise.

Zurück zur Artikelübersicht

Newsletter Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 63

We unite expertise and tech so you can outthink, outpace and outperform
See how
Follow us