Von Dr. Christoph Sommer und Daniel Retzer. Das Bundesministerium der Finanzen („BMF“) hat am 14. August 2024 einen Entwurf der überarbeiteten Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2023 vom 6. Juni 2023 („VWG VP”) hinsichtlich konzerninterner Finanzierungsbeziehungen (Kapitel III. J. der VWG VP) veröffentlicht und zur Anhörung an die Verbände geschickt. Stellungnahmen können bis zum 6. September 2024 eingereicht werden.
Die überarbeiteten Regelungen berücksichtigen insbesondere die neu in § 1 des Außensteuergesetzes („AStG“) eingefügten Absätze 3d und 3e, die ab dem Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraum 2024 zur Anwendung kommen.
Der vorliegende Entwurf der VWG VP hinsichtlich konzerninterner Finanzierungsbeziehungen enthält praxisrelevante Klarstellungen für den Steuerpflichtigen und ist daher insgesamt zu begrüßen. Zu erkennen ist, dass die Finanzverwaltung mit diesem Entwurf den aus internationaler Sicht mit der Auslegung des Fremdvergleichs in § 1 Abs. 3d und 3e AStG vorgenommenen Alleingang des deutschen Gesetzgebers begrenzen möchte.
So wird bezogen auf § 1 Abs. 3d AStG klargestellt, dass Anschlussfinanzierungen fremdüblich sind und dass eine Darlehensaufnahme für Zwecke einer Gewinnausschüttung grundsätzlich nicht dem Unternehmenszweck widerspricht.
Auch wird die Berücksichtigung von einem Kapitalpuffer und die kurzfristige Anlage in einem unternehmensgruppeninternen Cash Pool in bestimmten Fällen als fremdüblich angesehen. Zudem enthält der Entwurf Klarstellungen, wie der Steuerpflichtige den Nachweis für ein Abweichen vom Gruppenrating erbringen kann und welche Kriterien seitens des Steuerpflichtigen für die Verwendung eines Stand-Alone-Ratings erfüllt werden müssen. Erfreulicherweise wird im Grundsatz auch im Entwurf klargestellt, dass § 1 Abs. 3d AStG nicht für Finanzierungsbeziehungen Anwendung finden soll, die vor dem 1. Januar 2024 abgeschlossen und deren Durchführung vor dem 1. Januar 2024 begonnen hat. Nach dem derzeitigen Wortlaut des Entwurfs soll dieser Grundsatz jedoch nicht für Finanzierungen gelten, die über den 31. Dezember 2024 fortgesetzt oder deren Konditionen nach dem 31. Dezember 2023 wesentlich geändert werden, auch wenn diese vor dem 1. Januar 2024 abgeschlossen wurden.
Bezogen auf die Anwendung des § 1 Abs. 3e AStG wird im Entwurf klargestellt, dass zur Bestimmung eines Fremdvergleichspreises für die Fremdkapitalüberlassung grundsätzlich die Preisvergleichsmethode zur Anwendung kommt. Der Entwurf geht jedoch weiterhin davon aus, dass Finanzierungsfunktionen in der Regel funktions- und risikoarme Dienstleistungen seien. Hiervon ausgenommen sei jedoch der Banken- und Versicherungsbereich, da die Finanzierungsfunktion eine Primarfunktion in der Wertschöpfungskette darstellt.
Im Folgenden werden die wesentlichen inhaltlichen Aspekte überblicksartig dargestellt.
Zunächst wird festgehalten, dass die Einkünfteabgrenzung auf Basis der Grundsätze von Kapitel X der OECD-Verrechnungspreisleitlinien (die den VWG VP als Anlage 1 beigefügt sind) erfolgen soll (Tz. 3.121-E) und anhand einer Funktions- und Risikoanalyse vorzunehmen ist (Tz. 3.122-E).
Diese Akzeptanz internationaler Prinzipien ist zur (in Tz. 3.3 der VWG VP festgeschriebenen) einheitlichen Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im In- und Outboundfall und somit zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung unabdinglich und mithin sehr begrüßenswert.
Für die Anerkennung als Fremdkapital sollen die wesentlichen Kriterien das glaubhaft erwartete Erbringen bzw. Bedienenkönnen des Kapitaldienstes (Zins- und Tilgungsleistungen) sowie die ernstliche Abrede der Überlassung von Kapital auf Zeit sein. Nach Tz. 3.124-E ist hierbei insbesondere festzustellen, ob von Anfang an ausreichende Vermögenswerte oder Zahlungsflüsse zu erwarten sind, um den Darlehensgeber zu befriedigen. Die Einbeziehung von Vermögenswerten des Schuldners in die Betrachtung ist sehr zu begrüßen, da die Möglichkeit von deren Verwertung im Krisenfall auch im Drittvergleich berücksichtigt würde. Als positiv anzusehen ist auch, dass die Finanzverwaltung explizit die Fremdüblichkeit von Anschlussfinanzierungen – die beispielsweise im Immobiliensektor branchenüblich sind – anerkennt. Insgesamt sei die Gesamtschau der Verhältnisse zu beurteilen, wobei wichtige Indikatoren das Vorhandensein eines festen Rückzahlungstermins, die Verpflichtung und die Modalitäten zur Zahlung von Zinsen, das Recht auf Durchsetzung der Kapital- und Zinszahlung sowie die Fähigkeit des Empfängers der finanziellen Mittel, Darlehen unter vergleichbaren Bedingungen von unabhängigen Dritten aufzunehmen, sein sollen.
In Tz. 3.125-E wird ausgeführt, dass besonders risikobehaftete Finanzierungsbeziehungen, die beispielsweise im Start-up-Bereich marktüblich seien, nicht per se als fremdunüblich anzusehen sind. Als Beispiel genannt werden Finanzierungen in der Frühphase von Unternehmen, wenn deren Risiken, aber auch deren Wachstumschancen, besonders hoch sind. Die Anerkennung derartiger – auch zwischen fremden Dritten regelmäßig vereinbarter – Finanzierungsbeziehungen, die häufig zu Beginn (aufgrund der notwendigen Anfangsinvestitionen) schlechten Liquiditätslage des Schuldners eine Nichttilgung bzw. ein „Stehenlassen“ von Zinsverbindlichkeiten vorsehen, ist sehr zu begrüßen und im Einklang mit internationalen Verrechnungspreisprinzipien.
Für eine Anerkennung der Finanzierung dem Grunde nach muss diese weiterhin wirtschaftlich benötigt werden. Die Finanzverwaltung verlangt hierfür, dass die begründete Aussicht auf eine Rendite besteht, die die Finanzierungskosten deckt, wobei grundsätzlich von einer Nachsteuerbetrachtung auszugehen sein soll und realistische Handlungsalternativen für den Darlehensnehmer einzubeziehen sind (Tz. 3.126-E).
Schließlich muss die Verwendung des Fremdkapitals auch mit dem Unternehmenszweck vereinbar sein. Im Einklang mit der bisherigen Erlasslage ist dies nach Ansicht der Finanzverwaltung nicht der Fall, wenn die erhaltenen Mittel auf einem Tagesgeldkonto oder in einen unternehmensgruppeninternen Cash Pool angelegt werden, insbesondere wenn damit keine höhere Rendite erwartet werden kann (Tz. 3.127-E). Eine Ausnahme soll bei Akquisitionsfinanzierungen bestehen; hier wird die Planung mit einem Kapitalpuffer und die kurzfristige Anlage in einem unternehmensgruppeninternen Cash Pool als fremdüblich angesehen (Tz. 3.128-E). Auch wenn die Neueinfügung dieses Ausnahmetatbestands zu befürworten ist, so wäre doch eine generelle Anerkennung der ökonomischen Tatsache, dass das Halten von Liquiditätsreserven – einerseits als Sicherheit vor unternehmerischen Risiken und andererseits um sich am Markt ergebende Opportunitäten nutzen zu können – im Drittvergleich gängige Praxis ist, wünschenswert gewesen. Sehr positiv ist hingegen, dass eine Darlehensaufnahme für Zwecke einer Gewinnausschüttung grundsätzlich nicht dem Unternehmenszweck widersprechen soll (Tz. 3.127-E).
Um eine Umqualifizierung in Eigenkapital zu vermeiden, hat der Steuerpflichtige glaubhaft zu machen, dass die o.g. Kriterien (des § 1 Abs. 3d S. 1 Nr. 1 AStG) kumulativ erfüllt sind, wobei die überwiegende Wahrscheinlichkeit für deren Erfüllung ausreichend sein soll. Nach Tz. 3.129-E ist insbesondere aufzuzeigen, (1) ob und wie der Kapitaldienst erbracht werden kann, (2) dass der Kapitaldienst wie vereinbart erbracht wird und (3) welcher Zweck mit dem überlassenen Kapital verfolgt und wie das Kapital verwendet wird. Sofern eine Glaubhaftmachung nicht erfolgt, soll die durch die Finanzierungsbeziehung verursachte Minderung der Einkünfte in Höhe des fremdunüblichen Teils rückgängig gemacht werden (Tz. 3.130-E). Es wird nunmehr also erfreulicherweise klargestellt, dass die Finanzierungsbeziehung nicht in Gänze zu versagen ist, sondern (im Einklang mit OECD-Prinzipien) nur in Höhe des fremdunüblichen Teils.
Unter Bezugnahme auf und im Einklang mit Kapitel X der OECD-Verrechnungspreisleitlinien wird in Tz. 3.132-E zunächst ausgeführt, dass bei der Bemessung der Vergütung für eine Kapitalüberlassung (Zinssatz) insbesondere die Bonität des Darlehensnehmers zu berücksichtigen sei. Sodann wird jedoch in Tz. 3.133-E und Tz. 3.134-E mit Verweis auf § 1 Abs. 3d Satz 1 Nr. 2 AStG klargestellt, dass sich der zu bestimmende Zinssatz im Grundsatz nach der Kreditwürdigkeit der gesamten Unternehmensgruppe richtet. Der inhaltliche Widerspruch zwischen dem Standpunkt der OECD auf der einen und dem Gesetzeswortlaut auf der anderen Seite wird letztlich durch die einleitenden Textziffern im Entwurf offengelegt.
In Tz. 3.135-E der VWG VP wird ausgeführt, dass vorliegende öffentliche Ratings als Beurteilungsmaßstab für die Kreditwürdigkeit der gesamten Unternehmensgruppe vorrangig zu verwenden seien. Private Ratings (also Ratings, die nicht veröffentlicht wurden) seien nur nachrangig zu verwenden. Es wird darauf hingewiesen, dass ein Rating auch mittels einer marktüblichen Ratingsoftware erstellt werden kann, sofern qualitative Faktoren sachgerecht berücksichtigt werden.
Sollte eine Unternehmensgruppe über kein Rating verfügen, sieht Tz. 3.136-E vor, dass ein bestehendes Rating der obersten Gruppengesellschaft verwendet werden kann. Sollte die oberste Muttergesellschaft über kein Rating verfügen, kann aus Vereinfachungsgründen ein Gruppenrating anhand der Finanzierungskosten der Unternehmensgruppe gegenüber fremden Dritten abgeleitet werden.
Tz. 3.137-E räumt dem Steuerpflichtigen ein, von der Verwendung des Gruppenratings für die Ermittlung von fremdüblichen Zinssätzen abzuweichen, sofern im Einzelfall nachgewiesen wird, dass das stattdessen verwendete Rating fremdüblich ist (vgl. hierzu § 1 Abs. 3d Satz 2 AStG). Hierzu müssen nach Tz. 3.137-E u. a. die Bonitätseinschätzungen, inklusive der fremdüblichen quantitativen und qualitativen Faktoren, sowie die Effekte aus dem Konzernrückhalt dargelegt werden. Relevante Aspekte für die Analyse der Effekte aus Konzernrückhalts werden in Tz. 3.138-E und Tz. 3.139-E beispielhaft aufgeführt.
In Tz. 3.140-E wird ergänzt, dass für die Bonitätseinschätzung auch das Funktions- und Risikoprofil des Darlehensnehmers zu berücksichtigen sei, wobei nach Tz. 3.141-E das Ergebnis der Analyse die Feststellung sei, ob und inwieweit das Unternehmen für die Unternehmensgruppe strategisch bedeutend ist. Die mögliche strategische Bedeutung eines Unternehmens und Übersetzung in ein anzusetzendes Rating wird sodann bei Anwendung von Top-down-Ansätzen und Bottom-up-Ansätzen in tabellarischer Form dargestellt. Die in Tz. 3.141-E der VWG VP vorgenommenen Ratingeinstufungen entsprechen in etwa den Ausführungen bekannter Ratingagenturen.
Für den Nachweis des Steuerpflichtigen von der Verwendung des Gruppenratings für die Ermittlung von fremdüblichen Zinssätzen abzuweichen, werden in Tz. 3.142-E der VWG VP weitere Kriterien genannt, u. a. Eliminierung von Verzerrungen durch Geschäftsvorfälle mit nahestehenden Personen, Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit des Ratings und Verwendung einer marktüblichen Ratingmethodologie zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung.
Der Entwurf sieht in Tz. 3.145 vor, dass eine separate Vergütung für eine erhöhte Kreditwürdigkeit (z. B. Garantiegebühr) in Bezug auf die gruppeninternen Finanzierungsbeziehungen nicht festzusetzen sei, wenn die Unternehmensgruppe auf alle Finanzierungsbeziehungen zum Inland das Gruppenrating anwendet.
Tz. 3.146-E der VWG VP stellt erfreulicherweise klar, dass § 1 Abs. 3d AStG nicht für Aufwendungen anzuwenden ist, die auf Finanzierungsbeziehungen beruhen, die vor dem 1. Januar 2024 zivilrechtlich vereinbart wurden und deren tatsächliche Durchführung vor dem 1. Januar 2024 begonnen hat. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn die Finanzierungsbeziehung nach dem 31. Dezember 2023 wesentlich geändert oder über den 31. Dezember 2024 fortgeführt wird. Die vorgenommene Einschränkung, insb. im Hinblick auf die Fortführung über den 31. Dezember 2024 hinaus, ist abzulehnen, da hiermit letztlich doch langlaufende Finanzierungsbeziehungen, die vor dem 1. Januar 2024 abgeschlossen und durchgeführt wurden, wieder in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3d AStG fallen.
Der Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 3e AStG nimmt grundsätzlich eine sehr pauschale Einordnung vor und klassifiziert weitreichende Tätigkeiten als funktions- und risikoarme Dienstleistung. Dies umfasst nach dem Gesetzesvorlaut die Vermittlung und Weiterleitung von Finanzierungsbeziehungen, aber auch typische Treasury-Funktionen bis hin zur Tätigkeit einer Finanzierungsgesellschaft. Diese Tätigkeiten sollen (lt. Gesetzesbegründung) im Wege einer Kostenaufschlagsmethode vergütet werden.
Der vorliegende Entwurf stellt nunmehr explizit klar, dass zur Bestimmung eines Fremdvergleichspreises für die Fremdkapitalüberlassung zwischen nahestehenden Personen grundsätzlich die Preisvergleichsmethode zur Anwendung kommt. Wesentlich sei dabei die Fähigkeit und die Befugnis, das Risiko dieses Finanzierungsgeschäfts zu kontrollieren oder es zu tragen. Allerdings geht der Entwurf weiterhin davon aus, dass Finanzierungsfunktionen in der Regel Unterstützungsfunktionen für das wertschöpfende Kerngeschäft darstellen. Von diesem Grundsatz abweichend wird der Banken- oder Versicherungsbereich herausgehoben, in dem die Finanzierungsfunktion eine Primärfunktion und damit Kernbestandteil des Wertschöpfungsmodells sei.
Für den Fall, dass die genannten Tätigkeiten im Inland ausgeübt werden, stellt der Entwurf klar, dass nicht zwangsläufig von einer funktions- und risikoarmen Dienstleistung auszugehen sei. Vielmehr obliegt es der Finanzbehörde ein höheres Funktions- und Risikoprofil nachzuweisen.
Nachdem die Neuregelungen des § 1 Abs. 3d und § 1 Abs. 3e AStG beim Steuerpflichtigen noch Unsicherheiten zur konkreten Auslegung und Anwendung hinterlassen haben, wäre eine Konkretisierung durch eine Ergänzung der Verwaltungsgrundsätze 2023 grundsätzlich zu begrüßen. Dabei lässt sich festhalten, dass die wesentlichen Punkte des Entwurfs mit Klarstellungen für den Steuerpflichtigen einhergehen. Da sich die genannten Konkretisierungen noch in einem Entwurfsstatus befinden, bleibt abzuwarten wann und in welcher Form diese als Verwaltungsanweisung final veröffentlicht werden.
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Newsletter Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 63