Von Vanessa Schilling. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat am 17. Juli 2024 sein Urteil vom 3. August 2023 (10 K 117/20) zu einer Funktionsverlagerung veröffentlicht. Hierbei wurde entschieden, dass die vorzeitige Beendigung eines Lizenzvertrags, der innerhalb eines US-Konzerns einer deutschen Tochtergesellschaft nicht exklusive Nutzungsrechte immaterieller Wirtschaftsgüter (IP) einräumte, weder zu einer verdeckten Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 S. 2 Körperschaftsteuergesetz (KStG)) führt noch die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 S. 9 Außensteuergesetz (AStG) a. F.) erfüllt.
Somit wurde im Urteilsfall die steuerliche Bemessungsgrundlage von der Finanzverwaltung zu Unrecht aufgrund einer angenommenen Funktionsverlagerung im Rahmen der Einführung einer Prinzipalstruktur erhöht. In dem Zusammenhang stellte das FG insbesondere klar, dass wenn sich innerhalb eines Konzerns lediglich das Risikoprofil einer Konzerngesellschaft aufgrund von Umstrukturierungen verändert, allerdings von dieser keine Funktionen und Wirtschaftsgüter übertagen werden, dieser Vorgang nicht die Tatbestandsvorrausetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt.
Die Klägerin ist als Organträgerin deutscher Organgesellschaften international in die „A-Gruppe“ eingebunden. In dem Kontext waren die in Deutschland operativ tätigen Gesellschaften sowohl für die Herstellung als auch den Vertrieb von unterschiedlichen Produkten zuständig. Das dafür benötigte IP (Patente, Designs, Marken) stand hierbei im Eigentum der Konzerngesellschaft „B“ (USA), die wiederum den deutschen Gesellschaften hierfür ein nicht-exklusives Nutzungsrecht einräumte. Darüber hinaus wurden hinsichtlich der Produktions- und Vertriebsprozesse die wesentlichen strategischen Entscheidungen von der französischen Konzerngesellschaft „C“ auf Grundlage eines Dienstleistungsvertrags getroffen. Zum 1. Januar 2011 wurde dann das Geschäftsmodell der Unternehmensgruppe durch Einführung einer Prinzipalstruktur umgestellt. In dem Zusammenhang wurden in der Schweizer Prinzipalgesellschaft „E“ Prozesse zentralisiert, um Kostenvorteile und eine konsistente Vertriebsstrategie zu erreichen. Nach der Umstellung waren die deutschen Gesellschaften für den Prinzipal als Routineunternehmen (z. B. als Auftrags- oder Lohnfertiger) tätig, allerdings wurden von diesen keine materiellen Wirtschaftsgüter auf die „E“ übertragen. Auch verblieb das IP unverändert im Eigentum der „B“, die allerdings mit dem Prinzipal einen Lizenzvertrag zur IP-Nutzung abschloss. Zugleich wurden von „B“ die mit den in Deutschland operativ tätigen Gesellschaften bestehenden Lizenzverträge zum Ende der Grundlaufzeit (1. Januar 2013) gekündigt. Da die deutschen Gesellschaften aufgrund der Einführung der Prinzipalstruktur im Zeitraum 2011 bis zum Ende der Vertragslaufzeit (2013) auf die Ausübung ihrer IP-Nutzungsrechte verzichteten, erhielten sie hierfür von „E“ Ausgleichszahlungen (ein Drittel des während dieses Zeitraums erzielten Nettogewinns). Darüber hinaus kam es zu weiteren Kompensationszahlungen für die durch die Teilnahme an der Prinzipalstruktur ausgelösten Gewinnminderungen. Hierbei wurde auch pauschalierend die Abgabe eines Kundenstamms mitabgegolten, indem, anders als bei der Ermittlung der Gewinnminderung für den Produktionsbereich, ein fünfjähriger Bewertungshorizont bei der Bewertung des Vertriebsbereichs angesetzt wurde.
Im Rahmen einer Außenprüfung war die Finanzverwaltung der Auffassung, dass die Umstellung auf die Prinzipalstruktur die Voraussetzungen für eine Funktionsverlagerung als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) erfülle. Innerhalb der Einkünftekorrektur wurden dementsprechend die übertragenen Funktionen als Transferparket auf Basis eines unendlichen Kapitalisierungszeitraums bewertet. Gegen den aufgrund der Feststellungen ergangenen Änderungsbescheid legte die Klägerin zunächst Einspruch ein, der als unbegründet zurückgewiesen wurde, wogegen sich die hier gegenständliche Klage richtete.
Das Gericht hat mit seinem Urteil vom 3. August 2023 zugunsten der Klägerin entschieden, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und die steuerliche Bemessungsgrundlage zu Unrecht aufgrund einer angenommenen Funktionsverlagerung erhöht wurde und sah auch den Ansatz einer vGA als nicht gerechtfertigt an.
Dass die Voraussetzungen einer vGA nicht erfüllt werden, wurde mitunter daran festgemacht, dass im vorliegenden Urteilsfall keine Vermögenspositionen in Form der Überlassung von Geschäftschancen übertragen wurden. So wurden nach der Umstrukturierung die Produktion und der Vertrieb im Wesentlichen durch die deutschen Gesellschaften unverändert fortgeführt und zudem kam es auch zu keinem tatsächlichen Übergang von Geschäftsbeziehungen auf den Prinzipal. Ferner war das FG der Auffassung, dass der vorzeitige Verzicht auf IP-Nutzung ebenfalls keine vGA in Form einer verhinderten Vermögensmehrung darstellt, da dieser angemessen entschädigt wurde.
Nach Meinung des Gerichts wurden im Urteilsfall auch die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung nicht erfüllt, da von den deutschen Gesellschaften weder materielle noch immaterielle Wirtschaftsgüter auf die Schweizer Prinzipalgesellschaft übertragen wurden. In dem Kontext wurde insbesondere vom Gericht klargestellt, dass der vorzeitige Verzicht hinsichtlich der Lizenznutzung nicht als Übertragung von Lizenzen anzusehen ist.
Mit dem vorliegenden Urteil hat das FG Niedersachsen bereits zum zweiten Mal über einen Funktionsverlagerungssachverhalt zugunsten der Kläger geurteilt, nachdem die erste Entscheidung (FG Niedersachsen, Urteil v. 16. März 2023 – 10 K 310/19) weniger als fünf Monate zurücklag. Das FG hat für das vorliegende Urteil die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (eingelegt; AZ-BFH: I R 54/23). Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, ist der entschiedene Fall für die Praxis äußerst bedeutsam, da Umstrukturierungen innerhalb von Konzernen oftmals dazu führen, dass betriebliche Einheiten oder Tätigkeitsbereiche von einem Teilunternehmen auf ein anderes übertragen werden. Hierbei handelt es sich oftmals um Kernfunktionen (z. B. Produktion bestimmter Warengruppen) oder um vor- oder nachgelagerte konzerneigene Hilfsfunktionen (z. B. Vertrieb). Bei derartigen Vorgängen unterliegen zunächst die einzelnen als solche „greifbaren“ Übertragungen der Beurteilung durch den Fremdvergleich. Problematisch für die Bewertung ist es allerdings dann, wenn im Falle einer Verlagerung geschäftswertbildende Faktoren „übergehen“, die oftmals nicht einzeln bewertet werden können. Um hieraus resultierende Vollzugsdefizite zu beseitigen, hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 f. AStG a. F.), die grundsätzlich die Gesamtbewertung einer übertragenen Funktion verlangt. Durch das ATAD-Umsetzungsgesetz ist die Vorschrift nunmehr in § 1 Abs. 3b AStG übernommen und inhaltlich modifiziert worden (anzuwenden ab dem Veranlagungszeitraum 2022). Aufgrund der erheblichen tatbestandlichen Überschneidung zwischen beiden Vorschriften hat die vorliegende Entscheidung auch Bedeutung für das gegenwärtige Recht. Dabei ist es zu begrüßen, dass das FG Niedersachsen mit seinen beiden Urteilen die ausufernde Anwendung der Funktionsverlagerungsregelungen seitens der Finanzverwaltung zunächst eingeschränkt hat. Zudem wurde anhand des vorliegend entschiedenen Urteils auch wiederholt deutlich, welch große Bedeutung mitunter dem Inhalt konzerninterner Verträge beizumessen ist (u. a. Exklusivität vs. Nicht-Exklusivität, Kündigungsklauseln). Dies sollten Steuerpflichtige stets im Blick behalten.
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