Von Dr. Oliver Busch. Mit Urteil vom 5. Juni 2024 hat der Bundesfinanzhof (BFH) das erste höchstrichterliche Urteil zu den Neuregelungen der Betriebsstättengewinnabgrenzungsverordnung (BsGaV) gefällt. Hauptgegenstand des Verfahrens war die Bestimmung des Dotationskapitals einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte und damit die Anwendung von § 25 BsGaV.
Obwohl das Urteil erst im Herbst veröffentlicht wird, ist aus der mündlichen Verhandlung abzulesen, dass der Steuerpflichtige mit seinem Klagebegehren erfolgreich war. Dies zeigt, dass auch in Verrechnungspreisfragen der finanzgerichtliche Rechtsweg lohnenswert sein kann.
Deutschland hat den sog. Authorized OECD Approch (AOA), nach dem eine Betriebsstätte für steuerliche Zwecke wie eine eigenständige und unabhängige Gesellschaft behandelt werden soll, mit Wirkung zum 1. Januar 2013 in § 1 Abs. 5 Außensteuergesetz (AStG) implementiert. Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2014 begonnen haben, gelten zudem die Regelungen der BsGaV, die die Zuordnung von Wirtschaftsgütern, Chancen und Risiken sowie die Bestimmung des Dotationskapitals im Detail regeln und Sonderregelungen für Banken, Versicherungen und Baubetriebsstätten enthalten. Zudem legen die Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) vom 22. Dezember 2016 die Verwaltungsauffassung dar.
Die nun erfolgreiche Klage richtete sich insbesondere gegen die verwaltungsseitige Auslegung von § 25 BsGaV, der die Bestimmung des Dotationskapitals einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte regelt. Nach dieser Norm sind der deutschen Betriebsstätte zunächst anteilig Kapitalanlagen des Gesamtunternehmens zuzuordnen, und zwar proportional zu ihrem Anteil an den versicherungstechnischen Rückstellungen (Kapitalaufteilungsmethode). In einem zweiten Schritt sind von diesen Vermögenswerten die versicherungsspezifischen Rückstellungen und Verbindlichkeiten nach HGB abzuziehen. Da diese aufgrund einer konservativeren Rechnungslegung in Deutschland in der Regel deutlich höher ausfallen als unter IFRS (Stichwort: Schwankungsrückstellung), ergibt sich bei Sachversicherungsunternehmen regelmäßig ein negatives Dotationskapital.
Mit Verweis auf Rn. 320 VWG BsGa argumentierte der Betriebsprüfer für das Streitjahr 2015 (=Erstanwendungsjahr der BsGaV), dass die Betriebsstätte als ein gedachtes selbstständiges Unternehmen kein Versicherungsgeschäft mit einem negativen Eigenkapital betreiben könnte, sondern dass zumindest das aufsichtsrechtliche Mindestkapital anzusetzen sei (Mindestkapitalausstattungsmethode i. S. d. § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV). Im Ergebnis ergab sich eine steuerliche Hinzurechnung gemäß § 1 AStG von zusätzlichem Kapitalanlageergebnis in zweistelliger Millionenhöhe.
Im Namen der Steuerpflichtigen, die zu einer renommierten europäischen Versicherungsgruppe gehört, hat PwC gegen diese Einkommensanpassung Klage erhoben. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Erste Senat des BFH starke Zweifel an der Anwendbarkeit der Mindestkapitalausstattungsmethode in einem so gelagerten Sachverhalt hat. Dagegen stehe zum einen die historische und systematische Auslegung der Norm. Im Übrigen führe die Zuordnung von zusätzlichen Kapitalanlagen und Anlageergebnissen nur aufgrund von Rechnungslegungsunterschieden zu einer ungerechtfertigten Bevorteilung von Deutschland auf Kosten der übrigen Länder.
Auch die Ablehnung der Verwendung von Jahresdurchschnittswerten durch die Betriebsprüfung unter Verweis auf die starre Definition einer „erheblichen“ Veränderung i. S. d. § 12 Abs. 6 BsGaV in Rn. 143 bzw. 253 VWG BsGa (mind. zwei Mio. EUR und mind. 30 Prozent Abweichung) sahen die Richter äußerst kritisch und stellten explizit klar, dass das Finanzgericht nicht an die Verwaltungsauffassung gebunden ist.
Das Urteil ist zunächst eine gute Botschaft für alle Sachversicherungsunternehmen und beendet eine jahrelange Rechtsunsicherheit. Die Aussagen zur Methodenhierarchie und die Möglichkeit unterjähriger Anpassungen hat aber auch für Kreditinstitute und im Grunde jegliche Betriebsstätte eine Bedeutung. Auf alle Fälle zeigt das Urteil, dass es sich auch in Verrechnungspreisfragen lohnen kann, den Rechtsweg einzuschlagen und die Verwaltungsauffassung auf den richterlichen Prüfstand zu stellen. Dies kann zu einem deutlich besseren Ergebnis führen als ein Verständigungsverfahren, das meist auf einer Verhandlungslösung beruht.
Wenn Sie die Auswirkungen des Urteils auf Ihre inländische Betriebsstätte analysieren wollen, stehen wir als PwC Ihnen dabei sehr gern zur Verfügung.
In unserem vierteljährlich erscheinenden Newsletter informiert Sie unser internationales Expertenteam über aktuelle Entwicklungen zum Thema Verrechnungspreise.
Newsletter Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 63