Von Jannis Lülf und Rebecca Pottmeier. In unserer Rubrik „Nachgefragt“ greifen wir in Gesprächen mit Fachexpert:innen, Unternehmensvertreter:innen, Vertreter:innen der Finanzverwaltung, der OECD sowie Vertreter:innen aus der (internationalen) Beraterschaft die aktuellen Entwicklungen im Bereich Verrechnungspreise auf. Die verschiedenen Blickwinkel bieten eine ganzheitliche Sicht auf die Herausforderungen und liefern Denkanstöße für die Verrechnungspreispraxis.
Dieses Interview führen wir mit Jan Haselmann, Rechtsanwalt und Director bei PwC. Als Teil der PwC Tax Litigation Group unterstützt er die Mandatsteams in verschiedenen Steuerbereichen, eines seiner Spezialgebiete sind dabei die Verrechnungspreise. Vor seiner mittlerweile fünfjährigen Tätigkeit bei PwC war Jan Haselmann Richter an einem Finanzgericht.
In Deiner Rolle als Tax Litigator unterstützt Du Mandanten im Bereich der Verrechnungspreise oft schon in der laufenden Betriebsprüfung und nicht erst, wenn die Entscheidung ansteht, ob der Klageweg beschritten werden soll. Anders als bei den anderen Steuerarten, werden die Verrechnungspreise meist eher als ein ökonomisches Thema gesehen. Welchen Stellenwert haben da steuer- und verfahrensrechtliche Würdigungen in Betriebsprüfungen?
Jan Haselmann: Auch wenn Verrechnungspreisfragen natürlich stark ökonomisch geprägt sind, geht es in der Betriebsprüfung doch um die steuerrechtlichen Folgen. Schon aus den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für Verrechnungspreiskorrekturen ergeben sich für die Betriebsprüfung also immer wieder Grenzen, die der Umsetzung eines – aus Sicht der Betriebsprüfung – ökonomisch gewünschten Ergebnisses entgegenstehen. Insofern ergänzen sich ökonomische und steuerrechtliche Expertise in der Verteidigung von Verrechnungspreisen. Dem Verfahrens- und Beweisrecht kommt immer dann eine wichtige Rolle zu, wenn es um die Sachverhaltsaufklärung geht: Darf die Betriebsprüfung weitere Unterlagen und Informationen verlangen? Welche rechtlichen Möglichkeiten hat die Betriebsprüfung, wenn ein Unternehmen die angefragten Unterlagen nicht vorlegen kann? Darf die Betriebsprüfung eine Schätzung vornehmen, etwa weil sie eine vom Steuerpflichtigen vorgelegte Dokumentation für unverwertbar hält? Das sind rein rechtliche Fragen, die über den Ausgang einer Betriebsprüfung entscheiden können.
Unsere Erfahrung zeigt, dass Verrechnungspreisthemen in der Vergangenheit nur zögerlich an Finanzgerichte herangetragen wurden. In den letzten Jahren wurden aber einige wegweisende Urteile erzielt, so z. B. zur Konzernfinanzierung. Auch die aktuellen Urteile der Finanzgerichte zu Funktionsverlagerungen könnten die Verrechnungspreislandschaft stark verändern. Ist ein Wandel zu beobachten und wenn ja, worauf ist dieser zurückzuführen? Sind die Verrechnungspreise etwa rechtlicher geworden?
Haselmann: Tatsächlich hat man noch vor einigen Jahren häufig die Einschätzung gehört, Verrechnungspreise seien nicht justiziabel. Die zahlreichen Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) und der Finanzgerichte zeigen, dass dies so nicht stimmt. Schon deshalb ziehen Unternehmen und Berater heute zu Recht das Finanzgerichtsverfahren als Option in Betracht.
Und auf der anderen Seite führt die weiter gewachsene wirtschaftliche Bedeutung von Verrechnungspreisstreitigkeiten sowohl für die Unternehmen als auch für den Fiskus zu mehr Gerichtsverfahren in diesem Bereich. Gerade die aktuellen Urteile zu Funktionsverlagerungen zeigen, dass die Finanzverwaltung sich an die Grenzen des rechtlich zulässigen herantastet – und teilweise auch über das Ziel hinausschießt.
Welche Veränderung in der Haltung der Finanzgerichtsbarkeit – über alle Instanzen hinweg – gegenüber Fragen aus dem Bereich der Verrechnungspreise konntest Du in den letzten Jahren beobachten?
Haselmann: Ich denke, man muss den Finanzgerichten generell zutrauen, dass sie sich Verrechnungspreisfällen mit hoher steuerrechtlicher Expertise annehmen. Das war sicherlich auch immer schon so. Durch die in den vergangenen Jahren ergangenen und veröffentlichten Urteile können die Gerichte aber in vielen Bereichen auf ein breiteres Fundament als früher zurückgreifen, so dass das Risiko von wenig nachvollziehbaren Urteilen sicherlich gesunken ist. Und beim BFH kann man wohl schon fast von einem routinierten Umgang mit Verrechnungspreisfällen sprechen.
Siehst Du bestimmte Herausforderungen im Hinblick auf die Dauer, Kosten oder den Aufwand und natürlich Erfolgsaussichten solcher Verfahren?
Haselmann: Ein Finanzgerichtsverfahren dauert statistisch etwa zwei Jahre, wobei es zwischen den einzelnen Finanzgerichten durchaus Unterschiede gibt. Das ist lang, aber auch ein internationales Verständigungsverfahren führt nicht unbedingt schneller zu einem Ergebnis. Aufwendig ist beides. Es braucht ein wenig Erfahrung, um eine begründete Entscheidung zu treffen, ob ein bestimmter Fall beim Finanzgericht gut aufgehoben ist. Dazu muss man wissen, dass auch vor Finanzgerichten eine Einigung möglich ist.
In aller Regel wird das Gericht versuchen, zwischen Finanzamt und Unternehmen zu vermitteln – das kann eine Herausforderung sein, viel häufiger ist es aber eine echte Chance. Man muss die Möglichkeit der Einigung nur bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten „einpreisen“.
Der Ausgang eines Gerichtsverfahrens bietet Steuerpflichtigen eine gewisse Rechtssicherheit. Gleichzeitig machen wir aktuell die Erfahrung, dass der Gesetzgeber auf Urteile des BFH reagiert und die Gesetzeslage verschärft. Im Falle des neuen § 1 Abs. 3d AStG findet man sich in einer Situation wieder, die von vielen als negativer gesehen wird als die Rechtsunsicherheit vor den BFH-Urteilen zur Konzernfinanzierung. Spielt diese Erwägung eine Rolle in der Entscheidung, ob ein Finanzgerichtsverfahren angestrebt wird?
Haselmann: Natürlich können die über den Einzelfall hinausgehenden Auswirkungen eine Rolle bei der Entscheidung für oder gegen ein Klageverfahren spielen. Das ist aber sicherlich die Ausnahme, zumal eine bestimmte Reaktion des Gesetzgebers selten vorhersehbar ist. In der Regel ist das betroffene Unternehmen daran interessiert, die (zu Unrecht) festgesetzte Steuer nicht zahlen zu müssen. Da bin ich ganz Anwalt: Wenn es eine gute Aussicht auf Erfolg gibt, muss ich dem Mandanten empfehlen, diese zu nutzen.
Ist es möglich, ausschlaggebende Kriterien zu definieren, in welchen Fallkonstellationen mit Verrechnungspreisbezug der Gang vor die Finanzgerichte ernsthaft erwogen werden sollte?
Haselmann: Ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Immer dann, wenn eine Rechtsfrage im Raum steht. Dies ist häufig, aber nicht nur, der Fall, wenn es um die Zulässigkeit einer Verrechnungspreiskorrektur dem Grunde nach geht (und nicht nur die Höhe des Verrechnungspreises streitig ist).
Zusätzlich dann, wenn die Finanzverwaltung Sachverhaltselemente unberücksichtigt lässt, die man vor Gericht nachweisen kann oder wenn der Sachverhalt nur oberflächlich aufgeklärt ist. Häufig steigen Finanzgerichte noch einmal tiefer in den Sachverhalt ein und die Beweismöglichkeiten vor Gericht, insbesondere die Zeugenvernehmung, führen zu weiteren Erkenntnissen. Schließlich kommen FG-Verfahren immer dann in Betracht, wenn ein Verständigungsverfahren aus welchen Gründen auch immer nicht möglich ist oder keine Aussicht auf ein gutes Ergebnis bietet. Dasselbe gilt in Fällen, in denen eine Betriebsprüfung gleichgelagerte Geschäftsbeziehungen eines inländischen Unternehmens zu einer Vielzahl von in verschiedenen ausländischen Staaten ansässigen Tochterunternehmen korrigieren möchte: Hier müsste man eine Vielzahl von Verständigungsverfahren mit verschiedenen Ländern oder eben ein einziges Gerichtsverfahren führen.
Aktuell sind eine Vielzahl von Verfahren mit Verrechnungspreisbezug beim BFH anhängig. So unter anderem zu Folgefragen zum berühmten Hornbach-Urteil, zu personallosen Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen. Gibt es ein Verfahren, bei dem Du aktuell aus rein fachlichem Interesse am sehnlichsten auf das Urteil wartest?
Haselmann: Tatsächlich haben wohl alle beim BFH anhängigen Verfahren in der ein oder anderen Weise Auswirkungen auf Fälle, die unsere Mandanten sehr direkt betreffen. Insofern möchte ich mich da gar nicht festlegen.
In unserem vierteljährlich erscheinenden Newsletter informiert Sie unser internationales Expertenteam über aktuelle Entwicklungen zum Thema Verrechnungspreise.
Newsletter Transfer Pricing Perspectives DACH – Ausgabe 64