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Thomas Veith
Partner, Global Real Estate Leader / German Real Assets Leader bei PwC Deutschland
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Nachdem sich die Immobilienbranche in der Corona-Pandemie widerstandsfähig und optimistisch gezeigt hatte, trübt der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine die Stimmung 2022 wieder deutlich ein. Zwar sehen die rund 900 Branchenvertreter, die für die 20. Ausgabe der Studie „Emerging Trends in Real Estate® Europe 2023“ befragt wurden, wenig direkte Auswirkungen der russischen Invasion auf ihre Immobilienportfolien. Doch haben die Rekordinflation im Euroraum, die rasant steigenden Energiekosten und die Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) die Unsicherheiten über die Aussichten der europäischen Wirtschaft und Immobilienbranche deutlich verstärkt.
Sieben von zehn Umfrageteilnehmern erwarten, dass Europa noch vor Ablauf dieses Jahres in eine Rezession rutschen wird, verbunden mit negativen Folgen für die Entwicklungsaktivität, die Verfügbarkeit von Finanzierungen sowie reduzierte Investitionsvolumina, Mieten und Immobilienwerte. Mit einer Erholung wird frühestens Anfang 2024 gerechnet.
„Eine Triebfeder für die Erholung wird sein, wie umfassend die Immobilienbranche Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Belange in ihren Geschäftsentscheidungen berücksichtigt – angefangen von der Reduzierung von Schadstoff-Emissionen bis hin zur Vielfalt, Chancengerechtigkeit und einer wertschätzenden Unternehmenskultur.“
Nachdem die Zuversicht der Branche 2022 noch einen Höhepunkt erreicht hatte, gibt sie für 2023 deutlich nach – allerdings nicht so stark wie im ersten Jahr der Pandemie.
Aktuell sind weniger als 30 Prozent der Befragten der Meinung, dass das Geschäftsvertrauen und die Profitabilität im kommenden Jahr steigen wird. Positivster Indikator bleibt die Zahl der Beschäftigten: Rund 35 Prozent rechnen damit, dass die Anzahl der Mitarbeitenden in ihrem Unternehmen wachsen wird.
Die Sorgen der Immobilienmanager über die steigende Inflation, die Zinswende und die konjunkturelle Eintrübung haben sich im Vorgleich zum Vorjahr deutlich verstärkt. Aktuell werten 91 Prozent der Befragten die hohe Inflation im Euroraum als größte Unsicherheit für das Geschäftsumfeld im Jahr 2023, gefolgt von den veränderten Zinssätzen (89 Prozent) und dem schwachen Wirtschaftswachstum in Europa (88 Prozent).
Zudem wird erwartet, dass die Inflation im Jahr 2023 ihren Höhepunkt erreichen wird. Nur 13 Prozent der Befragten rechnen damit, dass die Inflation in fünf Jahren noch ein Problem darstellen wird. Das Zinsniveau (73 Prozent) und das schwache Wirtschaftswachstum (76 Prozent) dürften die Branche indes auch mittelfristig noch belasten.
Kurzfristig treibt die Branche vor allem die Sorge über steigende Baukosten (92 Prozent) und Materialverfügbarkeit (84 Prozent) um. Jeweils rund drei Viertel der Befragten stellen sich auch längerfristig auf Kosten- und Ressourcenprobleme ein. Die Erfüllung von Anforderungen an die Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung (64 Prozent) sowie wachsende Regulierungsvorgaben (60 Prozent) geben in den nächsten drei bis fünf Jahren ebenfalls verstärkt Anlass zur Sorge.
Zudem ist das Vertrauen in die Verfügbarkeit von Fremd- und Eigenkapital im kommenden Jahr auf den niedrigsten Stand seit der Finanzkrise gesunken. Besonders negativ werten die Befragten die Aussichten für Fremd- und Eigenkapital zur Projektfinanzierung (70 Prozent bzw. 63 Prozent) sowie zur Realisierung von Neuinvestitionen (64 Prozent).
Die Entwicklungstätigkeit hat sich im Jahr 2022 bereits verlangsamt und dürfte 2023 voraussichtlich stark zurückgehen. Demnach werden zahlreiche, für das kommende Jahr vorgesehene Projekte auf 2024 verschoben oder gänzlich aufgegeben. Ein Rückgang der Immobilienwerte im Jahr 2023 wird inzwischen als unvermeidlich angesehen, wobei sich das Preisgefälle zwischen erstklassigen und zweitklassigen Immobilien ausweiten dürfte.
Angesichts der drohenden Rezession in Europa haben sich die Investitions- und Entwicklungsaussichten für alle 30 Städte, die in der Studie erfasst werden, im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert.
London bleibt auf Rang 1, insbesondere dank der positiven Aussichten für Büro- und Logistikimmobilien. Zudem werden der Einzelhandel und das Gastgewerbe in der britischen Metropole durch die Wiederbelebung des Tourismus nach den Lockdowns angekurbelt. Paris (Rang 2 von zuvor 3) punktet durch eine gute Verkehrsanbindung. Zudem erhoffen sich die Befragten einen Schub durch die Olympischen Spiele 2024.
Unter den deutschen Städten sinkt Berlin aktuell um einen Rang auf Platz 3. Frankfurt rutscht um drei Plätze auf Rang 7 ab, was sich auf die Auswirkungen der Inflation auf Europas größte Volkswirtschaft Europas und ihre Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zurückführen lässt. Frankfurt, München (unverändert Rang 5) und Hamburg (unv. auf Rang 8) sehen die Befragten nach wie vor langfristig als sichere Häfen an, aber nur zu einem gewissen Preis.
Madrid, Lissabon und Kopenhagen wiederum zählen zu den Städten mit dem größten Aufwärtssprung im diesjährigen Ranking.
Im Ranking der Sektoren stehen das zweite Jahr in Folge auch aufgrund der hohen Energiepreise neue Energieinfrastrukturen an oberster Stelle, wobei die Investoren ihr Engagement zunehmend auf Anlagen zur alternativen Energieerzeugung verlagern. Der Life-Science-Sektor steht an zweiter Stelle, gefolgt von Rechenzentren auf Rang 3.
Zudem dominieren unter den Top-10 verschiedene Wohnformen, angefangen von Seniorenheimen und altersgerechten Wohnkonzepten bis hin zu Sozial- und günstigen Mietwohnungen.
Langfristig bleibt die Umsetzung einer breiten Nachhaltigkeitsagenda oben auf der Agenda der Entscheider der Immobilienbranche. 93 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Führung eines ökologisch und sozial nachhaltigen Unternehmens der wichtigste Faktor für eine erfolgreiche organisatorische Umgestaltung der Immobilienbranche in den nächsten 20 Jahren sein wird.
87 % der Befragten sind der Meinung, dass es wichtig ist, neben der finanziellen Rendite auch einen Impact im Bereich soziale Gerechtigkeit zu erzielen. 60 Prozent unterstreichen die Bedeutung von Diversität im Unternehmen.
Fragen der der Energieeffizienz und Versorgung betreffen jeden europäischen Haushalt. Wenn wirtschaftliche Zwänge den Weg zum Netto-Null-Energieverbrauch erschweren, werden die Bemühungen der Immobilienbranche hier umso wichtiger.“
Die Studie „Emerging Trends in Real Estate®: Europe 2023 – In the eye of the storm“ hat PwC gemeinsam mit dem Urban Land Institute (ULI) erstellt. Der jährliche Report beleuchtet die wichtigsten Branchentrends und bietet ein Ranking der attraktivsten Standorte für Immobilieninvestoren in Europa. Für die aktuelle 20. Ausgabe der Studie haben PwC und ULI rund 900 Entscheider von Immobilienfirmen, Investmentmanager und andere Branchenexperten in Europa zu ihren Erwartungen für das kommende Jahr befragt.