Wie CertifAI durch Testing und Zertifizierung von KI-Systemen Vertrauen auf- und Markteintrittsbarrieren abbaut. Ein Interview mit Hendrik Reese und Dr. Robert Kilian. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland (PwC) hat im Juni 2023 mit der weltweit größten nicht börsennotierten Zertifizierungsgesellschaft DEKRA und dem Innovationsvehikel der Stadt Hamburg das KI-Zertifizierungsunternehmen CertifAI gegründet. Im Gespräch geben Hendrik Reese, Partner bei PwC und Co-Ideengeber für das Joint Venture, sowie Dr. Robert Kilian, CEO und Geschäftsführer von CertifAI, Einblicke in das Geschäftsmodell sowie die nächsten Schritte der Gesellschaft.
Hendrik Reese ist Partner bei PwC Deutschland und AI-Experte. Er fokussiert sich darauf, Unternehmen in der Operationalisierung von KI an der Schnittstelle zwischen Business Transformation, Technologie und Regulatorik zu unterstützen. Ebenso arbeitet Hendrik Reese gemeinsam mit führenden nationalen und internationalen Forschungseinrichtungen an Lösungen und Anforderungen rund um Trust in AI − auch in sensiblen Einsatzumgebungen wie Autonomous Driving oder Medizintechnik.
Dr. Robert Kilian ist CEO und Geschäftsführer der CertifAI GmbH, die sich auf das Testing und die Zertifizierung von KI-Systemen spezialisiert hat. Davor hat er als Gründer und Executive mehrere Digitalunternehmen aufgebaut, zuletzt das Datenanalyse-Unternehmen Beams. Robert Kilian lehrt aktuell an der Humboldt Universität zu Berlin zum Thema KI-Regulierung und ist Teil des Steering Committees AI Regulation beim KI Bundesverband. Er war darüber hinaus langjähriges Mitglied des FinTechRates des Bundesministeriums der Finanzen und Gründungsmitglied sowie erster Präsident der European FinTech Association (EFA). Begonnen hat er seine Karriere im Bereich M&A bei der Kanzlei Hengeler Mueller.
Der Hype rund um Künstliche Intelligenz (KI) ist seit Monaten so groß wie nie. Mittlerweile wissen wir: KI hat das Potenzial, ganze Industrien zu revolutionieren und die Wachstumsprognosen des KI-Marktes sind enorm. Gleichzeitig gibt es heftige Debatten, Unsicherheiten und Vorbehalte mit Blick auf die rapide technologische Entwicklung. Welche Rolle spielt das neue Joint Venture CertifAI in dieser Gemengelage?
Hendrik Reese: Autonome Fahrzeuge, Machine Learning und Industrieroboter – das alles gibt es bereits und gleichzeitig ist es nur der Beginn eines Wandels, von dem ein Großteil der deutschen Wertschöpfung betroffen sein wird. Doch gerade im Bereich der physischen Produkte ist die Zeit von der Idee bis zur Marktreife, also die sog. Time to Market, aktuell zu lang, um wettbewerbsfähig agieren zu können. Häufig liegt das daran, dass Standards für den Einsatz von KI fehlen. Das führt zu Unsicherheiten, die die Entwicklungsprozesse verlangsamen und wiederum Kosten in die Höhe treiben.
Robert Kilian: Die KI-Regulierung der Europäischen Union, deren Herzstück der AI Act ist, ist zwar ein wichtiger Schritt, um diesem Problem zu begegnen und sie wird einige grundlegende Regeln und Anforderungen für den Einsatz von KI festlegen. Gerade für physische Produkte, die in risikoreichen Umfeldern wie der Automobilbranche, Fertigungsindustrie oder der Medizintechnik zum Einsatz kommen, gehen die geplanten Regelungen aber nicht weit genug. Sie schließen weder abschließend die regulatorischen Lücken in der bereits bestehenden sektoralen Regulierung noch adressieren sie das Problem der fehlenden Umsetzungsstandards in praxistaugliche Best Practices.
Reese: Wir sind davon überzeugt, dass hier der Schlüssel liegt, um Markteintrittsbarrieren abzubauen, gesellschaftliches Vertrauen aufzubauen und die Innovationskraft unserer Wirtschaft zu stärken. Deshalb haben wir CertifAI gegründet.
Herr Kilian, Sie sind seit der Gründung CEO und Geschäftsführer von CertifAI. Was macht CertifAI genau und wie sieht das Geschäftsmodell aus?
Kilian: Wir prüfen und zertifizieren bei CertifAI KI-Modelle in risikoreichen Umfeldern von physischen Produkten und entwickeln technologische Lösungen für die Automatisierung dieser Prozesse. Damit adressieren wir bei technologiegetriebenen Unternehmen das skizzierte Problem und schließen eine Marktlücke. Mit Blick auf bestehende sowie geplante KI-Regularien, wie den bereits thematisierten EU-AI-Act, ist und wird die Zulassung neuer Produkte sehr anspruchsvoll ausfallen. Hier setzen wir an.
Wir wollen sowohl Vertrauen in die Technologie schaffen als auch regulatorische Zulassungsfragen möglichst effizient angehen. Deshalb geht das Geschäftsmodell von CertifAI auch weit über den reinen Zulassungsprozess hinaus: Wir möchten Unternehmen mithilfe von Software-Lösungen entlang des gesamten Product Lifecycles unterstützen und so die Effizienz und Zuverlässigkeit der entsprechenden Testing- und Zertifizierungsprozesse erhöhen.
Wie wird das Know-how und die Erfahrung der drei Shareholder – PwC Deutschland, DEKRA und Innovationsstarter Fonds Hamburg – in CertifAI gebündelt?
Reese: Die Kompetenzbündelung ist im Markt einzigartig.
Dabei bringen wir PwC-seitig unser breites Know-how zu KI und digitaler Transformation ein und kombinieren dieses mit der langjährigen Kompetenz der DEKRA bei der Prüfung und Zertifizierung von CPS-Produkten (Cyber Physical Systems). So gelingt es, von der Strategie über die Technologieberatung bis hin zur Compliance-Beratung an der Schnittstelle zu CertifAI auch das AI Testing sowie die Zertifizierung voll in den Entwicklungsprozess zu integrieren.
Dass wir darüber hinaus den Innovationsstarter Fonds der Stadt Hamburg als weiteren Shareholder für das Projekt gewinnen konnten, unterstreicht einmal mehr das öffentliche Interesse an vertrauenswürdigen KI-basierten Produkten.
Welche Pläne hat CertifAI für die Zukunft? Gibt es bereits konkrete Projekte oder Meilensteine, die Sie teilen möchten?
Reese: Ja, wir haben unseren CTO gefunden! Jan Zawadzki war in den letzten drei Jahren bei CARIAD, dem Softwareunternehmen der Volkswagen AG, Head of Artificial Intelligence und hat dort den AI-Hub aufgebaut und geleitet. Er wird bei CertifAI als CTO das Produkt- und Tech-Team führen und wir sind sehr froh, einen so anerkannten und erfahrenen Experten gefunden zu haben.
Kilian: Neben Jan haben wir bereits weitere Top-Talente gewinnen können und bauen ein Team von rund 100 Mitarbeiter:innen für das Testen und Zertifizieren von KI-Systemen sowie die entsprechende Softwareentwicklung auf. Der Umsatz soll bereits in vier Jahren im mittleren zweistelligen Millionen Bereich liegen.