22 Januar, 2020
Ob bei der Lagerverwaltung, beim Transport oder in der Produktion – die Digitalisierung verändert die logistischen Prozesse grundlegend. Erfolgreiche Logistikzentren setzen künftig auf eine umfassende Vernetzung. Smart Factory, Losgröße 1, E-Commerce und Just-In-Time-Lieferungen erfordern Transparenz im Supply Chain Management. Damit die Digitalisierung voranschreiten kann, müssen die Logistikunternehmen ihre Prozesse immer weiter optimieren und zusätzlich attraktive Geschäftsmodelle entwickeln. Doch wie weit ist die Branche beim Thema Digitalisierung?
Wie viel investiert sie in den technologischen Wandel? Stehen genügend Fachkräfte zur Verfügung? Und was sind die größten Hürden bei der Umsetzung der digitalen Transformation? Antworten auf diese Fragen liefert der European Private Business Survey 2019. Die PwC-Studie analysiert, wie Familienunternehmer und Mittelständler mit den großen Zukunftsfragen umgehen – von der Digitalisierung über den Fachkräftemangel bis hin zum Klimawandel. Dafür wurden 2.500 Unternehmen europaweit befragt, darunter 172 Logistikunternehmen.
Ihr Experte für Fragen
Ingo Bauer
Leiter des Bereichs Transport, Logistik und Tourismus bei PwC Deutschland
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Im europäischen Vergleich sind deutsche Logistiker der Konkurrenz in einigen Bereichen deutlich voraus: 80 Prozent der deutschen Logistiker haben ihre IT-Systeme bereits aufgerüstet, um ihr Unternehmen zu digitalisieren – im Vergleich zu nur 50 Prozent der europäischen Mitbewerber. Dieses Ergebnis belegt: Die Unternehmen in Deutschland sehen die Digitalisierung in erster Linie als technische Veränderung. Trotzdem haben heute bereits nahezu zwei Drittel der deutschen mittelständischen Logistiker Ideen für digitale Geschäftsmodelle und Dienstleistungen. Jedes zweite Unternehmen hat die Digitalisierungsmaßnahmen in eine Strategie eingebettet. In diesen beiden Punkten unterscheiden sie sich nicht von den Logistikunternehmen in Europa.
„Die Digitalisierung ist eine gute Chance für Logistiker, dem Preisdruck in der Branche zu begegnen. Denn mit einer zukunftssicheren IT und dem Einsatz digitaler Geschäftsmodelle lässt sich die Effizienz beträchtlich steigern.“
Der Zugang zum Kunden hat sich durch digitale Geschäftsmodelle erheblich verändert: Früher war es üblich, dass die Fracht vom Spediteur abgeholt wurde und dieser den weiteren Transportweg mit dem LKW, per Luftfracht oder im Seecontainer organisierte. Heute eröffnen digitale Plattformen jedem Produzenten, Händler oder einer Privatperson die Chance, Logistikdienstleistungen mit jeder Sendung im direkten Wettbewerb selbst auszuschreiben. Damit haben sie einen viel direkteren Zugang zu den Anbietern im Markt und auch eine höhere Preistransparenz. Mit den am Markt befindlichen digitalen Frachtvermittlungsplattformen haben innovative Logistik-Startups eine Möglichkeit geschaffen, mit Hilfe cloudbasierter Systeme eine effiziente Auslastung der Transportmittel zu generieren. Dabei führen Informationen über den Transportweg und den Zustand der Sendung für den Kunden zu einem hohen Maß an Transparenz. Diese Daten können dann als digitaler Zwilling auf einem kundenfreundlichen Dashboard abgebildet werden. Die Beauftragung und die gesamte nachgelagerte Kommunikation wickeln viele Anbieter ebenfalls auf den Online-Plattformen ab.
„Die Zusammenarbeit mit Startups bietet etablierten Unternehmen nicht nur die Chance, ihre digitale Kompetenz auszubauen. Solche Kooperationen können auch einen Wandel der Unternehmenskultur herbeiführen, in dem Arbeits- und Kommunikationsprozesse neu definiert werden.“
Die Angst vor Cyber-Attacken ist für jedes zweite Logistikunternehmen in Deutschland der größte Hinderungsgrund, die Digitalisierung weiter voranzutreiben. Dabei können die Unternehmen einiges tun, um auf der sicheren Seite zu sein und damit auch das Vertrauen ihrer Kunden zu gewinnen. Ingo Bauer rät Unternehmen, Sicherheitsexperten in den digitalen Wandel einzubinden und das Sicherheitsbewusstsein der Belegschaft zu stärken.
Deutsche Logistikunternehmen sind sich bewusst, dass Logistik 4.0 ohne Investitionen nicht gelingen kann: 34 Prozent wollen folglich in den kommenden fünf Jahren über fünf Prozent ihrer gesamten Investitionen in die Digitalisierung stecken, beispielsweise in Warehouse-Management-Systeme oder in den Einsatz von Sensortechnologie. Das sind deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern.
Für die Umsetzung ambitionierter digitaler Strategien braucht es auch qualifizierte Mitarbeiter. Allerdings hat nur jeder zweite Logistiker Fachkräfte für die Digitalisierung im eigenen Haus. Dazu kommt: Deutsche Logistikunternehmen stehen einer Zusammenarbeit mit Startups viel weniger offen gegenüber als ihre europäischen Konkurrenten. Nur 9 Prozent der deutschen Logistiker gehen diesen Weg. Dabei könnten sie durch Kooperationen mit geeigneten Markteinsteigern Synergien heben und die Auswirkungen des Fachkräftemangels abfedern.
Der Mangel an qualifizierten Fachkräften wirkt sich bei mehr als der Hälfte der mitteständischen Logistikunternehmen bereits negativ auf den Umsatz aus: Fast jedes zehnte Logistikunternehmen in Deutschland muss durch fehlendes Fachpersonal Umsatzeinbußen von bis zu zehn Prozent in Kauf nehmen. Es fehlt an Fahrern, Disponenten, aber auch an IT-Fachleuten.
„Viele Logistiker erkennen, dass ihre Mitarbeiter nur unzureichend über die Fähigkeiten verfügen, die das Unternehmen in Zukunft benötigt. Gleichzeitig ist eine Lösung im hart umkämpften Fachkräftemarkt oft nicht zu finden. Daher bekommt die Qualifizierung der eigenen Mitarbeiter für die Zukunft einen ebenso hohen Stellenwert wie sich selbst als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren.“
Mit diesen acht Empfehlungen gelingt es, das Unternehmen für die Digitalisierung fit zu machen und attraktiv für qualifizierte Arbeitskräfte zu gestalten:
„Die Digitalisierung ist kein ‚Kann‘, sondern ein ‚Muss‘. Unternehmen, die das volle Potenzial ausschöpfen wollen, müssen ihr Geschäftsmodell ganzheitlich hinterfragen und dabei ebenso die Risiken im Blick behalten. Außerdem sollten Logistiker ihre Mitarbeiter nicht unterschätzen: Oft ist die Angst vor Veränderung kleiner als die Angst vor Stillstand.“