Was man mental von Deutschlands Spitzensportler:innen lernen kann

Interview: „Leistungsdruck im Sport und im Job sind durchaus vergleichbar“

  • Interview
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  • 07 Okt 2024

Ein Interview mit Franka Weber: Sport auf Spitzenniveau ist immer ein Balanceakt zwischen Erfolg und Misserfolg. Die besten Athlet:innen schaffen es, mit mentaler Stärke punktgenau eine perfekte Performance abzurufen. Davon kann man sich auch fürs Berufsleben einiges abschauen. Die Sportpsychologin Franka Weber begleitete die deutschen Schwimmer:innen bei den Olympischen Spielen in Paris. Im Interview spricht sie über positives Denken, Druckresistenz, die 3-2-1-Übung sowie Erfolge in der Höhe des Eiffelturms.

Franka Weber weiß sehr gut, unter welchem Druck nicht nur Athlet:innen stehen. Die erfahrene Diplom-Psychologin, Klinische Neuropsychologin und Sportpsychologin war bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio und 2024 in Paris Teil des Medical Teams von Team Deutschland. Franka Weber ist Verbandspsychologin des Deutschen Schwimm-Verbands e.V. und in ihrer Praxis in Kiel berät sie Athlet:innen aus verschieden Sportarten und arbeitet dort u. a. auch als Business-Coach.

Quelle: Cantow Communications

Frau Weber, welche Auswirkung hat Hoffnung auf Erfolg auf die Leistung von Sportler:innen?

Franka Weber: Man würde ja erstmal vermuten, dass die, die Hoffnung auf Erfolg haben, auch erfolgreicher sind. Aber auch Personen, die Angst vor Misserfolg haben, können sehr erfolgreich sein – wenn die Angst groß genug ist. Dann rückt die Angst nämlich als Motivation nach. Nichtsdestotrotz macht es Sinn, erfolgsmotiviert zu sein, auch darauf bezogen, was mein eigenes Selbstwertgefühl angeht, weil ich dadurch immer bessere Laune behalte. Wenn ich erfolgsmotiviert bin, habe ich natürlich trotzdem Misserfolg im Leben. Aber wenn ein Erfolgsmotivierter Misserfolg hat, attribuiert er das den Umständen zu und nicht den eigenen Fähigkeiten. Er sagt sich: Mir gehört die Welt! Wenn er aus einer Sache herausgeht und Misserfolg hatte, lag das nicht an ihm, sondern an den Umständen, denn er ist ja toll und kann alles. Dadurch hält er sein Selbstwertgefühl hoch.

Und bei Angst vor Misserfolg?

Weber: Bei den Misserfolgsmotivierten haben wir genau das Gegenteil. Die haben ja auch mal einen Erfolg im Leben. Aber den schreiben sie nicht ihrem Können zu, sondern den Umständen: Wenn also ein Misserfolgsmotivierter aus einer Prüfung kommt und eine Eins hat, lag das nicht an seinen Fähigkeiten, dass er toll gelernt hat und etwas wusste, sondern an den leichten Fragen der Prüfer. So funktioniert unsere Seele.

Wir haben eine Idee von der Welt, und da haben wir zahlreiche Wahrnehmungsfehler, die zu einer Verzerrung der Realität führen, die aber dazu dient, mein Bild, das ich von der Welt habe, immer aufrecht zu erhalten. Da hängen wir oft in Fehlmustern fest und es fällt uns schwer, aus solchen hinderlichen Verhaltensmustern herauszukommen.

Gab es in Paris den einen Moment, wo Sie den Zusammenhang von mentaler Stärke und Leistungsfähigkeit erlebt haben?

Weber: In Paris war die Transportsituation alles andere als optimal. In den ersten Tagen fuhren keine Busse. Es wurden Busfahrer aus ganz Frankreich geholt, die sich nicht auskannten und mit GoogleMaps durch Paris gefahren sind. GoogleMaps ist aber nicht für große Reisebusse ausgelegt. So blieb ein Teil unserer Mannschaft anderthalb Stunden in einer kleinen Straße stecken. Wir hatten an die 50 Grad in den Bussen zu einem Zeitpunkt, wo sie sich auf ihre optimale Leistung vorbereiten sollten. Die Fenster waren aus Sicherheitsgründen verplombt. Das war grenzwertig.

Wie haben die Athlet:innen reagiert?

Weber: Wenn du morgens zum Transportbahnhof gegangen bist, dachtest du immer: Na, ist ein Bus da, wie viele sind da, wie viele andere stehen schon da, kriegen wir einen Platz? Die Athlet:innen mussten teils auf dem Boden sitzen. Aber an der Situation war in dem Moment, als wir da standen, nichts zu ändern.

Dann geht es darum: Wie gehe ich mit dieser Situation um: Hinstellen und zetern? Aber so ändere ich nichts, sondern verpulvere Energie. Einige Athlet:innen haben die Flexibilität, angemessen mit solchen Widerständen umzugehen und nehmen das relativ gelassen hin. Man darf sich ärgern. Aber man sollte sich schnell wieder einfangen.

Ähnlich war das in Rio 2016. In den Rohbauten standen teilweise keine Betten. Da kann man sagen: Boah, ich habe kein Bett und herumjammern, oder ich gehe los und bastele mir etwas aus Kartons, worauf ich ruhen kann.

Ließ sich die Leistung einer Athletin oder eines Athleten durch eine Veränderung der Sichtweise verbessern?

Weber: Lukas Märtens hat Olympia-Gold über 400 Meter Freistil gewonnen und wurde bei der Sporthilfe-Wahl als Der Beste 2024 ausgezeichnet. Er stand nach dem Erfolg bei der letzten Weltmeisterschaft unter großem Druck. Er hat deswegen für sich das Denken geändert und den Satz implementiert: Ich muss gar nichts. Sondern: Ich darf, ich will und ich möchte.

Welchen Hintergrund hat das?

Weber: Wenn Athlet:innen erfolgreich waren, bauen sie oft einen großen Druck auf und sagen: Ich muss jetzt wieder abliefern. Dann verlieren sie nicht selten den Spaß. Da kann ein Blick zurück helfen: Erinnere dich doch mal – weißt du noch, wie es war, als du angefangen hast? Deine ersten Erfolge? Da fangen sie meist schon an zu lächeln. Sie spüren die Freude vergangener Tage. Wäre es nicht schön, dieses Gefühl wieder zu haben?

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Wie geht man mit Sportler:innen um, die von Angst vor Misserfolg blockiert sind?

Weber: Häufig wurde den Misserfolgsängstlichen im Leben wenig zugetraut. Ihnen muss man klarmachen, dass sie es sind, die die Leistung im Wettkampf bringen. Mit ihnen das Gefühl entwickeln, wirksam zu sein – das hat etwas mit Selbstwirksamkeit zu tun. Ich setze ihnen eine Brille auf – dass sie anders auf sich und ihre Fähigkeiten schauen.

Welcher Moment aus Paris ist Ihnen im Kopf geblieben, als Ihre Hilfe gefragt war?

Weber: Oft kommt etwas, von dem die Athlet:innen dachten, sie hätten es gut im Griff – haben es dann aber doch nicht. Eine Athletin erlebte kurz vor ihrem Start in Paris ein persönliches Unglück. Sie hatte sich fest vorgenommen, sich erst nach den Spielen darum zu kümmern. Das hat nicht funktioniert. Die Erkenntnis ist: Du hast Sorgen und Nöte – du kannst sie nicht unterdrücken. Die klopfen an. Die suchen sich ihren Weg.

Die Frage ist: Wie schaffe ich es, dass sie für mich kein Thema sind, wenn mein wichtiger Moment ist? Ich bin ein großer Freund von Erlaubern. Dass man sich erlaubt, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen, um sich dann regulieren zu können.

Ist das mentale Training, dass Sie mit Spitzensportler:innen machen, auf das Arbeitsleben zu übertragen?

Weber: Ja. Nicht wenige Sportpsycholog:innen kommen aus der Wirtschaftspsychologie. Die Charité zum Beispiel begleitet ihre Chirurg:innen mit Methoden des mentalen Trainings.

Was können Arbeitnehmer:innen von druckresistenten Sportler:innen lernen, wenn es um Deadlines und Abgabetermine geht, die einzuhalten sind?

Weber: Der Sport und das Arbeitsleben sind auf einem gewissen Niveau durchaus vergleichbar, was Leistungsdruck und mentale Belastung betrifft. Insofern gibt es natürlich Parallelen: Mit Athlet:innen gehen wir mögliche angsteinflößende Einflüsse schon vorher durch. Dann entsteht ein Gefühl wie: Kenn ich, kann ich. Bringt mich nicht mehr aus der Ruhe. Beispiel: Ich sitze im Callroom und mein Schwimmanzug reißt. Da kann Panik entstehen, oder man bleibt ruhig, weil man darauf vorbereitet ist. Was sicher auch hilft, sind Zieldefinitionen. Meine Ziele aufzusplitten. Wir haben ja oft große Ziele, die wir erreichen wollen – Fernziele. Da macht es Sinn, sich Etappenziele zu setzen. Was liegt auf dem Weg? Damit ich schon vor dem großen Ziel Erfolge habe, die mich motivieren, auf meinem Weg weiterzumachen. Ich nenne das Salami-Taktik. Stück für Stück. Setze dir realistische Ziele, aber durchaus große: Think big! Sich also nicht unnötig kleinreden.

Wie kann ich Selbstvertrauen im Job aufbauen?

Weber: Indem man sich seiner Erfolge bewusst macht. Leider werden wir in Deutschland sehr früh zur Bescheidenheit erzogen. Wenn ich vergleiche, wie amerikanische und deutsche Sportler:innen bei Großveranstaltungen in der Aufwärmzone auftreten – da liegen Welten zwischen. Die Amerikaner kommen rein – bämm! Da wird laut Musik gespielt. Da wird gelacht. Bei den Deutschen musst du dich fragen: Sind die überhaupt da? Die nehmen sich sehr zurück.

Woran liegt das?

Weber: Wir sind defizitorientiert – immer das, was nicht geht, wird hervorgehoben. Das Wort „nicht“ verstoffwechseln wir aber nicht so gut – denke mal zehn Sekunden nicht an einen rosa Elefanten. Funktioniert nicht. Bezogen auf Sport: Bloß nicht übertreten, bloß nicht reißen. Schon passierts! Bezogen auf die Arbeit, einen Vortrag: Bloß nicht verhaspeln. Was bleibt im Gehirn hängen? Verhaspeln. Wir programmieren uns das Fehlverhalten. Das behindert, Leistung zu bringen.

Wie kommen wir davon weg?

Weber: Es geht darum, sich seiner Ressourcen und Erfolge bewusst zu machen. Das kann man sich wie Bauklötze stapeln vorstellen. Da kommen wir bei jedem von uns auf die Höhe des Eiffelturms. Wenn man dann die Größe der nächsten Aufgabe mit der Höhe des Eiffelturms in Verhältnis setzt, ist die nächste Aufgabe kleiner und erscheint erreichbar.

Welche Technik zur situativen mentalen Stärkung empfehlen Sie?

Weber: Oft geht es um die Frage: Wie schaffe ich es, bei mir zu bleiben? Eine Übung aus der Achtsamkeit kann helfen. Die Kurzversion ist 3,2,1: Ich werde mir bewusst über drei Sachen, die ich gerade sehe, zwei Sachen, die ich höre, eine Sache, die ich körperlich fühle. Während ich mich mit dieser Sinneswahrnehmung beschäftige, kann ich nicht über anderes nachdenken.

Beim Thema Angst, Aufregung, wie kriege ich mich in meinen optimalen Aktivierungszustand, kann ich mit Atemübungen arbeiten. Ich kann versuchen, den Vagusnerv zu aktivieren, unsere Entspannungsautobahn, indem ich einmal tief in den Bauch atme. Dadurch kann ich die Aktivierung runterfahren.

Welche Rollen bei der Entspannung haben Rituale und Routinen?

Weber: Meine Routine bei der Arbeit ist, mir jeden Morgen die Karteikarten meiner kommenden Patient:innen anzuschauen. Ein Ritual im Sport ist: Bevor ich starte, mache ich ein Kreuzzeichen. Oder drehe meinen Ring dreimal. Rituale reduzieren Spannung. Wenn ich das Ritual mit einem positiven Gefühl verknüpfe, es konditioniere, (immer, wenn ich etwas Schönes erlebe, drehe ich dreimal meinen Ring), wenn ich das häufig genug kopple, reicht das Drehen des Rings, dass dieses Gefühl kommt. Routinen kann ich nutzen, wenn ich Verhaltensweisen ändern will. Wenn ich mir vornehme, ich trinke jeden Morgen eine ausgepresste Zitrone und es fällt mir schwer und ich vergesse das dann, dann verknüpft man das mit einer bestehenden Routine, z. B. immer dann, wenn ich den Wasserkocher oder die Kaffeemaschine anmache.

Gibt es Trends der Sportpsychologie, die zukünftig auch für die Berufswelt relevant werden könnten?

Weber: Der Bereich der Sportpsychotherapie wird immer mehr Thema. Dass man sich mehr schon im Vorwege die mentale Gesundheit anguckt. Alles dafür tut, dass jemand sich wohlfühlt. Denn wenn er oder sie sich wohlfühlt, ist er auch in der Lage, gute Leistungen zu bringen. Da hat es einen Wechsel in der Denkweise gegeben. Ein Beispiel ist die Arbeit aus dem Home-Office, bei der es vielen Leuten sehr gut geht. Unternehmen bieten ihren Arbeitnehmer:innen große Flexibilität z. B. bei der Wahl ihres Arbeitsortes und ihrer Arbeitszeit oder definieren die Anzahl der Home-Office- bzw. Präsenztage gemeinsam  – das war vor ein paar Jahren doch undenkbar.

Welchen Ratschlag geben Sie Menschen, die ihre mentale Einstellung zum Beruf verbessern wollen?

Weber: Flexibel bleiben und auch bei Hindernissen nicht aufgeben. Durchhalten, auch bei Misserfolgen und Widerständen. Das zahlt sich aus. Das können wir uns von den Parasportler:innen abgucken. Die sind prädestiniert, was den zielgerichteten Umgang mit Hindernissen angeht. Sie zeigen häufig ein hohes Maß an Volition – weitermachen, auch wenn es schwierig ist. Dazu hat Josia Topf gerade etwas Wunderbares gesagt: „Ich bin mit Einschränkungen auf die Welt gekommen, behindert werde ich aber erst.“

Das Gespräch führte Frank Heike

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Pascal Roller

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PwC Communications, PwC Germany

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