Eine neue Richtung für B2B-Marktplätze

Vertikale Marktplätze als Senkrechtstarter

Frau im Lager mit Tablet
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  • 16 Minuten Lesezeit
  • 08 Jan 2024

Marktplätze haben in den letzten Jahren einen beachtenswerten Aufstieg erlebt. In der Tat übersteigt das Wachstum der Business-Marktplätze das Wachstum des traditionellen digitalen Handels deutlich.

Vertikale Marktplätze sind eine wichtige Triebfeder für dieses Wachstum – aber ihr Aufbau erfordert ein hohes Maß an Kreativität, diverse Fähigkeiten und Durchhaltevermögen. Ist der Aufbau eines vertikalen Marktplatzmodells der richtige Schritt für Ihr Unternehmen?

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Pascal Kohlhase ist Manager Digital Platform Business bei PwC Deutschland

Pascal Kohlhase
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Vertikale Marktplätze auf dem Vormarsch

Vertikale Marktplätze gibt es schon lange in verschiedenen Formen, aber sie haben in den letzten Jahren erheblich an Umfang und Sichtbarkeit gewonnen. Im Bereich Business-to-Consumer (B2C), haben Plattformen für Mitfahrgelegenheiten, Mietwohnungen und Essenslieferungen einen Boom bei vertikalen Marktplätzen ausgelöst. Heute entstehen in allen Branchen, von Konsumgütern bis zum Sport, von der Mode bis zur industriellen Fertigung und von der Landwirtschaft bis zur Luft- und Raumfahrt, Marktplätze in einem noch nie dagewesenen Umfang und Ausmaß.

Besonders auffällig ist die Entwicklung spezialisierter Marktplätze im Business-to-Business-Bereich (B2B). Viele große Technologieanbieter bieten mittlerweile Standardtsoftware an, mit denen Unternehmen ihre eigenen B2B-Marktplätze aufbauen können. Einige B2B-Marktplätze gehen sogar über den rein transaktionalen eCommerce hinaus und bieten eine Mischung aus Produkten, Dienstleistungen und Software an.

Die Anzahl an eCommerce-Kanälen, um mit Kunden in den Kontakt zu treten ist riesig. So können Unternehmen bspw. die Webshops ihrer Großhändler nutzen, eigenen Webshops etablieren oder sich an traditionelle globale und lokale horizontale Marktplätze anbinden, sowie Dutzende von bestehenden Online-Retailer nutzen. Mutige Unternehmen wagen sich sogar in die Bereiche Social Commerce und Metaverse vor. Darüber hinaus konkurrieren sie mit etablierten horizontalen Marktplätzen, die über einen hohen Bekanntheitsgrad, umfangreiche lokale und globale Supportkapazitäten und viel Platz in ihrem Portfolio verfügen, um B2B-Kategorien hinzuzufügen. Das bedeutet, dass jede Entscheidung für den Aufbau eines eigenen spezialisierten Marktplatzes wohl überlegt und gut begründet sein sollte.

„Laut der 26. jährlichen globalen CEO-Umfrage von PwC glauben fast 40 % der CEOs, dass ihr Geschäftsmodell in den nächsten 10 Jahren nicht mehr tragfähig sein wird. Für einige Unternehmen können Marktplatz-Ökosysteme die Plattform für Geschäftsmodellinnovationen sein. Marktplätze gibt es zwar schon seit Jahrzehnten, aber jetzt können wir sie mithilfe von Digital Commerce-Technologien leicht skalieren. Dies ermöglicht es Marktplatzbetreibern, ein Ökosystem von Käufern und Verkäufern aufzubauen, das Märkte bedient, die für ein einzelnes Unternehmen zu nischenhaft oder zu komplex sind, um sie allein zu bedienen.“

Quinton Pienaar,Partner, PwC EMEA Customer Transformation

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Horizontal vs. Vertikal

Horizontale Marktplätze wie Amazon Business und der B2B-Marktplatz von Alibaba verbinden Unternehmen aus verschiedenen Branchen, Produkt- und Kundensegmenten. Vertikale Marktplätze konzentrieren sich auf die Verbindung von Käufern und Verkäufern in Nischen- oder spezialisierten Industriesegmenten. Sie bieten eine abgegrenzte Palette von Produkten und Dienstleistungen an und konzentrieren sich auf bestimmte Zielgruppen. Vertikale Marktplätze werden oft von bestehenden und starken Branchenakteuren oder Spezialisten mit fundierten Kenntnissen der Wertschöpfungskette ihrer Branche eingerichtet.

Eigener Webshop

Verkauf an Onlinehändler

Social Commerce

Metaverse Commerce

Shop in Shop Marktplatz

B2B Distributor Shop

Quick Commerce

Ein Business Case für vertikale Marktplätze

Es gibt viele Gründe, die für den Aufbau einer neuen vertikalen Marktplatzplattform sprechen.

Sie haben eine bestehende B2B eCommerce-Plattform

Indem Sie Ihre bestehende Plattform für andere Anbieter öffnen, werden Ihre Konkurrenten zu Mitbewerbern, deren Produkte und Dienstleistungen dazu beitragen, die Einschränkungen Ihres eigenen Portfolios zu überwinden. Dies wiederum zieht mehr Käufer an und schafft einen positiven Kreislauf. Dabei geht es nicht unbedingt darum, möglichst viele Anbieter auf die Plattform zu bringen: schon ein paar starke Verkäufer können ausreichen, um mit bescheidenen Marketinginvestitionen ein größeres Publikum anzuziehen.

Geschäftsmodelle zur Monetarisierung vertikaler Marktplätze

Die erste und grundlegendste Frage, die es zu beantworten gilt, ist die Form, die der vertikale Marktplatz annehmen soll:

  • Ein Marktplatz, der Waren von Verkäufern kauft. Bei diesem Modell besitzt der Marktplatzbetreiber die Waren und führt die Bestellungen der Käufer aus.
  • Ein Marktplatz, der Waren mit Verkäufern listet. Der Marktplatz führt dann die Bestellungen im Namen der Verkäufer aus.
  • Ein Marktplatz, der als Schaufenster dient, um Besucherzahlen und Umsätze für die Produkte von Verkäufern zu steigern. Verkäufer verwalten die zugrundeliegenden Aktivitäten wie Rechnungsstellung, Kundenservice und Abwicklung.
  • Ein hybrider Marktplatz, der Elemente aus allen oben genannten Bereichen miteinander verbindet.
Darstellung der Geschäftsmodelle

Die Entscheidung, ob Sie Lagerbestände besitzen oder nicht, ist von grundlegender Bedeutung, da sie die Fähigkeit des Marktplatzbetreibers bestimmt, die Preisgestaltung, die Verfügbarkeit und möglicherweise die Lieferzeiten zu beeinflussen. Ein bekanntes Beispiel ist Fulfilment by Amazon (FBA). Der Besitz von Lagerbeständen erhöht jedoch wahrscheinlich den Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern, die sich möglicherweise Produkte aussuchen, um sie in ihren eigenen Bestand aufzunehmen. Dies stellt zwar ein Beschaffungsrisiko dar, aber der Vorteil für den Betreiber ist, dass er auf seiner eigenen Plattform über die Preise bestimmen kann.

Modelle für das Eigentum des Bestandes

Neben dem Eigentumsmodell für das Inventar haben Marktplatzbetreiber eine Vielzahl von Möglichkeiten, ihre Plattformen zu monetarisieren. Sie können sich auch dafür entscheiden, ihren Verkäufern die Wahl zu lassen, welche Art von Vereinbarung sie eingehen möchten. Dies ermöglicht es den Verkäufern, ein Geschäftsmodell zu wählen, das ihren Bedürfnissen entspricht, je nach ihrer eigenen Reife und ihren Zielen.

Beispiele dafür, wie man vertikale Marktplätze monetarisieren kann, sind:

Wie man vertikale Marktplätze monetarisieren kann

Zugang und Mitgliedschaften

Marktplatzbetreiber können verschiedene Stufen einer Mitgliedschaft anbieten, die sich in Bezug auf Funktionen und Unterstützung der Kontoverwaltung unterscheiden. Die Stufen geben Verkäufern zusätzliche Einblicke in ihre Leistung und bieten Zugang zu zusätzlichen Funktionen auf der Plattform. In Nischenbranchen könnten sich die Mitgliedschaftsmodelle sogar sowohl auf Käufer als auch auf Verkäufer erstrecken.

Aufbau organisatorischer Fähigkeiten für vertikale Marktplätze

Die Fähigkeiten, die für den Aufbau und den Betrieb von Marktplätzen erforderlich sind, ähneln denen in traditionellen eCommerce-Umgebungen. Der Hauptunterschied besteht jedoch darin, dass Ihre Kunden nicht nur die Käufer, sondern auch die Verkäufer sind, und Ihre Organisation sollte sowohl die B2B- als auch die B2C-Implikationen entsprechend widerspiegeln. Das bedeutet, dass Sie in Bereichen wie Strategie, Verwaltung des Produktangebots, Marketing, Technologie, Kundenservice, Lagerhaltung und Auftragsabwicklung spezielle Fähigkeiten benötigen.

Typische Fähigkeiten, die beim Aufbau von eCommerce-Organisationen zu berücksichtigen sind

Aus der Perspektive des Organisationsdesigns wirft dies mehrere Fragen auf:

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Risiken und Herausforderungen für vertikale Marktplätze

Unterschätzen Sie den Aufbau eines vertikalen Marktplatzes nicht. Zunächst mag der Aufwand vergleichbar zu sein mit einem Webshop, mit zusätzlichen Logins für Verkäufer. Es ist jedoch wichtig, die Komplexität zu bedenken, die der Aufbau einer neuen Technologie, das Einstellen neuer digitaler Talente, der Aufbau internationaler organisatorischer Fähigkeiten sowie das Lösen potenzieller Vertriebskanalkonflikte mit sich bringen, während Sie den Betrieb tatsächlich durchführen.

Eine weitere Herausforderung ist die sich schnell entwickelnde eCommerce-Landschaft. Wir beobachten einen zunehmenden Trend: Im Falle eines erfolgreichen vertikalen Marktplatzes, steigen große horizontale Anbieter in denselben Bereich ein und vertiefen ihr Produktportfolio entsprechend, um zu den spezialisierten Webshops und vertikalen Marktplätzen aufzuschließen.

Als Antwort darauf müssen vertikale Marktplätze ihre Produkte und Dienstleistungen ständig weiterentwickeln und ausbauen. Eine große Modeplattform kann eine Reihe von Schönheitsprodukten als angrenzende Kategorie zu ihrem Modeportfolio einführen. Ein internationaler Marktplatz für Landwirtschaftsbedarf kann die volle Bandbreie von Traktorteilen bis hin zu Tierpflegeprodukten verkaufen. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass sich vertikale Marktplätze jemals in dem Maße ausbreiten werden wie die derzeitigen horizontalen Akteure, aber wir sehen, dass die Grenzen zwischen beiden verschwimmen und der Wettbewerb zunimmt. Zudem besteht die Gefahr, dass zu viele Akteure Marktplätze einführen. Während ein dominanter vertikaler Marktplatz einen One-Stop-Shop bieten kann, führen fünf davon mit begrenzter Differenzierung zu Fragmentierung und mangelnder Akzeptanz. Das Risiko besteht darin, dass Unternehmen bei Projekten für vertikale Marktplätze eine Inside-Out-Perspektive einnehmen, ohne sich die Frage zu stellen, ob sie mit einer weiteren Webseite tatsächlich ein Kundenproblem lösen. Wenn Sie darüber nachdenken, eine Marktplatzinitiative zu starten, kann es wichtig sein, sich im Vorfeld mit anderen Akteuren einer Branche zusammenzutun – und bewusst zu entscheiden, ob Ihr Unternehmen die Initiative anführen oder mitgestalten soll.

Regulierung und Steuern rund um Online-Plattformen sind ein Thema für sich.

Die fortschreitende Entwicklung der Plattformökonomie zieht eine immer stärkere Regulierung nach sich, insbesondere für die Plattformen selbst. Ein Grund dafür ist die Einhaltung von Steuergesetzen und Datenschutzverpflichtungen. Die Regulierungsbehörden sehen zudem auch das Risiko wettbewerbswidrigen Verhaltens.

Die Regulierung der Plattformökonomie zielt darauf ab, detaillierte Informationen über Transaktionen zu erhalten und diese mit den wichtigsten Interessengruppen zu teilen, um einen fairen Wettbewerb zwischen der Plattformökonomie und dem Offline-Sektor zu gewährleisten. Ein Beispiel dafür ist die DAC 7-Richtlinie, die seit 2013 in den EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt wird und die Plattformen dazu verpflichtet, bestimmte Informationen über Plattformanbieter und deren Aktivitäten auf der Plattform zu melden.

Die Regulierungsbehörden überwachen auch Bereiche wie die Mehrwertsteuerzahlungen und die Haftung für Steuerausfälle, wie das E-Commerce-Paket zeigt, welches seit Juli 2021 in den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Dies wird ab 2025 im Rahmen der Kommission „Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter“ (Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der mehrwertsteuerlichen Vorschriften für das digitale Zeitalter (KOM/2022/701 endgültig)) weiter ausgeweitet werden. Ab dem 1. Januar 2024 müssen auch in der EU ansässige Zahlungsdienstleister bestimmte Meldepflichten für Zahlungen erfüllen, während die DAC 8-Richtlinie – die am 1. Januar 2026 in Kraft tritt – Meldepflichten für Kryptobörsen vorsieht. 

Weitere rahmenbildende Regelungen in den Bereichen Wettbewerb, Sicherheit und Vertrauen für die Plattformökonomie werden ebenfalls in vielen Ländern festgelegt, darunter die Digital Markets Acts (gültig ab Mai 2023) und der Digital Services Act (gültig ab Februar 2024).

Auf der einen Seite bedeutet diese Reihe von Vorschriften, dass den Plattformen erhebliche Kosten entstehen werden, um die notwendigen Melde- und Datenschutzpflichten zu erfüllen. Aber da die Plattformen diese Verpflichtungen für die Anbieter auf ihre Plattform übernehmen, bietet sich für die Plattformen die Möglichkeit, diese Dienste entsprechend zu monetarisieren.

Die Quintessenz ist, dass es für alle Akteure in der Plattformökonomie entscheidend ist, sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen vertraut zu machen und über weitere Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben. Diese Vorschriften werden Einfluss darauf haben, wie Sie Ihr Geschäft auf vertikalen Marktplätzen betreiben und darüber berichten. Es ist auch wichtig, die Anpassung der Verbraucherrechte auf digitalen Plattformen in der EU nach den in Kraft getretenen 'Verbraucherleitlinien' zu überwachen

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Vertikale Marktplätze sind nicht neu, aber sie verändern das Kaufverhalten in Branchen, die sich an das traditionelle Verkaufsmodell geklammert haben. Ihr Mehrwert liegt in der Spezialisierung, die es den Betreibern ermöglicht, zusätzliche Dienste anzubieten und eine Vermittlerrolle in der Branche zu beanspruchen.

Wenn Sie eine Marktplatzstrategie verfolgen, müssen Sie sich über Ihr Wertbeitrag im Klaren sein, sowohl für Ihre Kunden als auch für Ihre Verkäufer. Zudem müssen Sie einen Plan haben, wie Sie das Henne-Ei-Problem beim Start des Marktplatzes überwinden können, d.h. zu wissen, wie Sie Kunden anziehen können, ohne genügend Verkäufer auf der Plattform zu haben und umgekehrt.

Seien Sie sich über Ihr Geschäftsmodell im Klaren und darüber, wie Sie Ihren Marktplatz monetarisieren wollen. Seien Sie sich bestimmter Risiken bewusst und denken Sie auch an die verschiedenen geltenden oder in Vorbereitung befindlichen Vorschriften. Am Anfang müssen Sie wahrscheinlich klein anfangen, aber sobald Sie den Traffic, die Transaktionen und die Daten haben, können Sie damit beginnen, zusätzliche Dienste darauf aufzubauen.

Marktplätze sind nicht einfach nur ein weiteres eCommerce-Projekt mit einer zusätzlichen Dimension, um die Sie sich kümmern müssen. Sie müssen sich gut überlegen, wie Sie Ihr Operating Model einrichten und wo Sie bestimmte Funktionen platzieren. Zumal Sie die Möglichkeit haben, Fähigkeiten bei Ihren Partnern zu platzieren oder sie als bezahlten Service für Ihre Partner aufzunehmen.

Und schließlich sollten Ihre Marktplatzambitionen in Ihre allgemeine Vertriebs- und Handelsstrategie eingebettet sein. Dies ist kein einmaliges Unterfangen, sondern erfordert ein ständiges neu erfinden und weiterentwickeln, um mit dem Markt Schritt zu halten oder ihm voraus zu sein.

Dieser Artikel ist der erste in einer dreiteiligen Serie über Marktplätze und befasst sich mit vertikalen Marktplätzen aus der Perspektive der Geschäftslogik. Teil 2 befasst sich mit der Technologie hinter den Marktplätzen. Teil 3 befasst sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen, mit denen Marktplätze umgehen müssen.

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Martin Röser

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Director, Digital Platform Business Advisory, PwC Germany

Pascal Kohlhase

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