„Man muss nicht immer alles komplett auf den Kopf stellen, um erfolgreich zu sein“

Interview zur PwC-Studie „Annual Global Market Winners 2024“

  • Interview
  • 5 Minuten Lesezeit
  • 05 Feb 2025

Ein Interview mit Jens Zwenger. Der Druck auf Unternehmen, sich zu verändern, ist hoch. Im Interview spricht PwC-Experte Jens Zwenger darüber, wie KI die Geschäftsmodelle verändert, was Marktführer dabei besser machen und wieso der persönliche Kontakt auch in naher Zukunft nicht durch Roboter ersetzt wird.

Jens Zwenger ist Partner und Salesforce Consulting Leader bei PwC Deutschland. Er hat über 20 Jahre Erfahrung in der Beratung, davon mehrheitlich spezialisiert auf Salesforce-Technologie/-Produkte und Cloud-Transformationen. Er hat bereits viele transformative Digitalisierungsprogramme gesteuert, CRM-Prozesse optimiert und zahlreiche Innovationen umgesetzt. Seine Expertise konzentriert sich auf die Entwicklung von Digitalisierungsstrategien und Cloud-Architekturen.

Für die Studie „Annual Global Market Winners 2024“ haben Sie untersucht, inwiefern Unternehmen weltweit im KI-Zeitalter ihre Kundenzentrierung und Geschäftsmodelle anpassen. Dabei vergleichen Sie stets Marktführer mit Unternehmen, die im Markt vergleichsweise weniger erfolgreich oder effizient sind. Zu welchen Ergebnissen sind Sie hierbei gekommen?

Jens Zwenger: Auf das konjunkturelle Auf und Ab reagieren viele Unternehmen, indem sie entweder auf Wachstum setzen oder auf die Kostenbremse treten. Was die Marktführer weltweit von der Masse abhebt, ist Folgendes: Sie priorisieren Umsatzwachstum und Kosteneffizienz gleichermaßen und finden unabhängig von konjunkturellen Zyklen ein Gleichgewicht zwischen diesen Polen, um ihren langfristigen Erfolg sicherzustellen. 

Der Veränderungsdruck für Unternehmen ist extrem hoch: Der aktuelle Global CEO-Survey von PwC zeigt, dass 37 Prozent der CEOs in Deutschland bezweifeln, dass ihr Unternehmen bei unverändertem Kurs in zehn Jahren noch wirtschaftlich tragfähig ist. Wie gehen die Unternehmen mit diesem Druck zur Veränderung um? 

Zwenger: In der Tat planen 30 Prozent der identifizierten Marktführer, mindestens fünf neue Geschäftsmodelle auszuprobieren. Sie berichten, dass ein Viertel ihrer aktuellen Einnahmen aus der Nutzung neuer Geschäftsmodelle stammt, und prognostizieren, dass dieser Anteil innerhalb von fünf Jahren auf ein Drittel steigen wird. 

Wenn man diese Zahlen liest, entsteht der Eindruck, dass sich Unternehmen ständig neu erfinden müssen. Dem ist aus meiner Erfahrung nicht so:

Es geht darum, das bestehende Geschäftsmodell anzupassen und weiterzuentwickeln, u. a. mit Hilfe neuer Technologien.

Ein zumindest fragwürdiger Fokus auf die radikale Neugestaltung des Geschäftsmodells setzt die Unternehmen unnötig unter Druck. Man muss nicht immer alles komplett auf den Kopf stellen, um erfolgreich zu sein.

Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen bei der kundenzentrierten Anpassung von Unternehmen?

Zwenger: Es sind vor allem die sehr prominenten Technologiethemen, die viele Unternehmen angehen bzw. planen anzugehen. Die Einführung innovativer Technologien stellt Unternehmen nicht nur vor komplexe Fragestellungen in der Implementierung, sondern birgt auch regulatorische Hürden, Sicherheitsaspekte und Herausforderungen mit Blick auf Mitarbeitende und Unternehmenskultur. Das sehe ich speziell auch im deutschen Markt:

Ich begegne in meinem Berateralltag kaum Unternehmen, die über eine ausreichend schlanke und agile IT verfügen, um effektiv auf Veränderungen reagieren zu können.

Viele Unternehmen schleppen immer noch Altlasten an Systemen und Daten mit sich rum – wobei doch genau qualitativ hochwertige Daten der Schlüssel zum KI-Erfolg sind! Das ist zum einen das Ergebnis reger M&A-Aktivitäten, wo es nach Fusionen und Übernahmen nicht oder nur sehr langsam gelingt, unterschiedliche Systeme in ein einziges System zu überführen. Das verhindert meist die schnelle IT-Innovation. Auf der anderen Seite sind Unternehmen auch mit aktuell notwendigen Projekten beschäftigt oder sogar ausgelastet, bspw. im Bereich ERP / SAP-S/4-Migration.

Arbeiten Sie gerade an der Anpassung Ihrer Geschäftsmodelle?

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Welche Trends und Tendenzen beobachten Sie beim Thema Lean IT?

Zwenger: Eine wesentliche Entwicklung im Bereich Lean IT war Software as a Service (SaaS), wobei immer mehr Anbieter auf Preismodelle setzen, die auf dem tatsächlichen Gebrauch basieren („Consumption-based pricing“). Bei den Anwendern sorgt das manchmal für Unsicherheit: Sie haben Bedenken, dass sich bei einem solchen Modell unvorhersehbare Kosten ergeben. Während die Anbieter natürlich die Vorteile und den Mehrwert in den Vordergrund rücken, schauen die Nutzer mindestens ebenso stark auf die Kostenseite – und fühlen sich nicht wohl, wenn diese mit Unsicherheiten behaftet ist.

Wenn es um die Anpassung von Geschäftsmodellen geht, kommt man am Thema generative KI nicht vorbei. Wie blicken die Unternehmen auf die Veränderungen, die KI für ihre Betriebs- und Geschäftsmodelle bedeuten kann?

Zwenger:

Unter den Marktführern erwarten 82 Prozent, dass generative KI wie ChatGPT oder Copilot ihr Geschäftsmodell in den nächsten fünf Jahren erheblich beeinflussen wird.

Bei den Low Performern glauben das interessanterweise nur 16 Prozent. Die Marktführer ergreifen eher proaktive Maßnahmen, um KI-getriebene Innovationen zu integrieren. Sie bauen häufiger neue organisatorische Fähigkeiten auf und sind eher bereit, für KI-Projekte interne Ressourcen über einen längeren Zeitraum zu binden.

Sehen Sie hier Unterschiede zwischen deutschen Firmen und Unternehmen in anderen Ländern?

Zwenger:

Deutsche Unternehmen stehen bei der KI-Umsetzung – wie bei anderen Technologiethemen – nicht unbedingt an der Spitze, sondern agieren eher als Nachzügler.

Sie befinden sich bei KI-Projekten vielfach noch im Planungsstadium und noch nicht in der Umsetzung. Häufig haben sie noch keine konkreten Use Cases für den Einsatz von KI definiert, die auf eine Umsatzsteigerung einzahlen. Aber auch global fokussieren sich die KI Use Cases in den meisten Unternehmen derzeit noch auf Kosteneinsparungen oder vor allem eine Steigerung der Effizienz. Es geht also im ersten Schritt meist um die Einsparung von Kosten und die Übernahme von Routinetätigkeiten bei den Mitarbeitenden. So weit, dass das Unternehmen als Ganzes durch KI effizienter und wettbewerbsfähiger wird, sind die meisten Unternehmen heute noch nicht.

Welche Ergebnisse mit Blick auf KI haben Sie überrascht?

Zwenger: In der Umfrage haben wir die Befragten gebeten, zu überlegen, ob ihre Kunden lieber mit einem generativen KI-Modell interagieren würden als mit physischen Mitarbeitenden. Das Ergebnis hat mich überrascht: Zwei Drittel der weltweiten Marktführer, sowie 92 % aller deutschen Befragten, gaben an, dass ihre Kunden eine Interaktion mit einem generativen KI-Modell („ChatBot“) gegenüber dem persönlichen Kontakt bevorzugen würden. Für den deutschen Markt kann ich diese hohe Einschätzung nicht teilen.

Aus meiner Erfahrung suchen die Kunden in Deutschland eher den persönlichen Service-Kontakt und bevorzugen es, mit „echten“ Menschen zu sprechen anstatt mit Robotern – zumindest heute noch.

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