Ein Interview mit Fabian Schülke und Dr. André Wortmann über notwendige Restrukturierungen im Gesundheitswesen und wie Krankenhäuser herausfordernde Zeiten wirtschaftlich meistern können.
Über Fabian Schülke und Dr. André Wortmann: Dr. André Wortmann ist Partner bei PwC in Hamburg. Er leitet seit 2008 die Sanierungsberatung für das Gesundheitswesen. Der promovierte Betriebswirt hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Restrukturierungs- und Sanierungsberatung.
Fabian Schülke ist Director bei PwC in Stuttgart und Leiter des Bereichs Krankenhausberatung. Der diplomierte Betriebswirt hat rund 20 Jahre Beratungserfahrung im Krankenhaus- und Kassenumfeld.
Herr Schülke, wie beschreiben Sie die aktuelle Lage der deutschen Krankenhauslandschaft und wie unterstützen Sie Kliniken in dieser Situation?
Fabian Schülke: Ein großer Teil der deutschen Kliniken befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Die Herausforderungen sind groß und verlangen häufig zusätzliche finanzielle Mittel: Fachkräftemangel, Inflation, Investitionsstau, die Belastungen im Zuge von COVID-19, aber auch neue Qualitäts- und Strukturvorgaben, Ambulantisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeitsbestrebungen bestimmen die Agenda in den Chefetagen der Krankenhäuser. Die Politik reagiert mit zahlreichen und teilweise tiefgreifenden Initiativen, auf die sich die Verantwortlichen der Krankenhäuser permanent neu einstellen müssen. Es gilt also nicht nur, den Kopf im Tagesgeschäft über Wasser zu halten, sondern auch, das eigene Haus unter Berücksichtigung der vielfältigen Markttreiber zukunfts- und wettbewerbsfähig aufzustellen. Beides sind komplexe Aufgaben, bei denen wir unsere Kunden im Rahmen von Restrukturierungsprogrammen zur Ergebnisverbesserung und zur strategischen Neuausrichtung unterstützen.
Wie gelingt eine nachhaltige Restrukturierung im Einklang mit der medizinstrategischen Ausrichtung der Kliniken?
Schülke: Entscheidend für ein erfolgreiches Programm sind mehrere Faktoren: Zunächst benötigen die Verantwortlichen Klarheit zu Krisenursachen und Krisenstadium. Die notwendigen Einschätzungen hierfür sind aus Datenanalysen und Benchmarks, aber auch aus Interviews und Begehungen abzuleiten. Dabei werden die zurückliegende Entwicklung und der Status quo des jeweiligen Krankenhauses mit den externen Rahmenbedingungen und den zu erwarteten Entwicklungen abgeglichen.
Im zweiten Schritt lässt sich auf diese Weise das notwendige „Ambitionsniveau“ definieren. Es wird die Frage beantwortet, welchen Umfang die Ergebnisverbesserungen haben müssen und welche Handlungsfelder zu adressieren sind. Häufig besteht zwar weniger ein Erkenntnis-, sondern vielmehr ein Umsetzungsproblem, doch läuft man ohne saubere Diagnose auch in diesem Kontext Gefahr, die falsche Therapie anzuwenden.
An den Handlungsfeldern orientieren sich anschließend die zu bildenden Teilprojekte. Für diese werden Projektaufträge formuliert, in denen qualitative und quantitative Ziele, konkrete Maßnahmen, Meilensteine und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Die Maßnahmen gliedern sich dabei bspw. entlang der Zielgrößen Erlöse, Personalkosten, Sachkosten und Finanzierung. Eine andere Möglichkeit der Kategorisierung unterscheidet zwischen Maßnahmen in den Primär-, Sekundär- und Tertiärbereichen, also in den medizinischen und den unterstützenden Organisationseinheiten. Höchste Priorität haben in jedem Fall Maßnahmen zur Abwendung einer etwaigen Überschuldung.
An die Analyse- und die Konzeptionsphase schließt sich klassischerweise die Umsetzungsphase an, in der eine klare Kommunikation und ein hohes Maß an Verbindlichkeit von wesentlicher Bedeutung sind. Es gilt, Betroffene zu Beteiligten zu machen und Vertrauen in die Transformation – insbesondere mit Blick auf unbequeme Notwendigkeiten – zu schaffen. Dadurch wird bspw. das Abwandern von Leistungsträgern vermieden. Es ist hilfreich, Erfahrungen aus vergleichbaren Projekten aufzeigen und auch auf Beraterseite aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Herausforderungen zu blicken. Neben Betriebswirt:innen und Gesundheitsökonom:innen bestehen unsere Projektteams daher auch aus Ärzt:innen und Pflegekräften, Ingenieur:innen, Datenspezialist:innen und Jurist:innen. Diese bringen neben viel praktischer Erfahrung und einer ausgeprägten Fach- und Methodenkompetenz die notwendige Überzeugungskraft und ausreichend Fingerspitzengefühl in die Projektarbeit ein. ChangeManagement ist integraler Bestandteil all unserer Restrukturierungsprojekte.
Das gesamte Programm sollte durch ein zentrales Projekt Management Office (PMO) gesteuert werden. Das PMO stellt ein möglichst gleichförmiges Vorgehen in den verschiedenen Teilprojekten sicher und unterstützt mit einem geeigneten Instrumentarium den Gesamtprozess. Es überwacht den Projektfortschritt und berichtet den Status an die relevanten Instanzen. Es steuert die Ressourcenauslastung und behält Abhängigkeiten und Wechselwirkungen im Auge.
Schließlich stellt das PMO das Benefit Tracking sicher. Der Erfolg des Programms lässt sich dabei auf drei Ebenen überwachen: Werden die definierten Meilensteine fristgerecht und vollständig erreicht? Zeigen die operativen Kennzahlen die erwartete positive Entwicklung? Mündet diese schließlich in einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation?
Herr Dr. Wortmann, was sind mit Blick auf ihre bisherigen Krankenhausprojekte Hebel für die Erlös- und Kostenseite?
Dr. André Wortmann: Auf der Erlösseite geht es insbesondere um die Erarbeitung von strategischen Entwicklungsmöglichkeiten für die Kliniken. Zentral ist die Schärfung des stationären und ambulanten Leistungsportfolios unter Beachtung der Nachfrageentwicklung, des medizinisch-technischen Fortschrittes, der lokalen Wettbewerbssituation, möglicher Kooperationen und insbesondere der aktuell tiefgreifenden regulatorischen Veränderungen.
Auf der Kostenseite stellen die Personalkosten mit mehr als 60 Prozent den größten Kostenblock in Krankenhäusern dar. Daher sind eine nachvollziehbare Personalplanung und ein abgestimmter Personaleinsatz gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels und externer Strukturvorgaben essenziell. Im Bereich der Sachkosten ist die Einführung eines aktiven Sachkostenmanagements – insbesondere durch Klinikeinkauf (Verbrauchsmaterialien, Implantate) und Apotheke (Medikamente, Blut) – in Abstimmung mit den Anwendern wichtig.
Oftmals sind es nur wenige Hebel mit großer Wirkung, die es zu identifizieren gilt, die sich dann auch positiv auf andere Problemfelder auswirken. Wichtig ist daher immer, sich die Kinetik des Systems – bspw. anhand von kennzahlenbasierten Treiberbäumen – zu vergegenwärtigen.
Was versteht man unter einem Sanierungsgutachten nach IDW S6, wann wird es notwendig und welchen Nutzen ziehen die Beteiligten daraus?
Wortmann: Der IDW-Standard Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6) ist ein vom IDW (Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V.) erstellter Leitfaden.
Der IDW S 6 fasst die aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung resultierenden Anforderungen zusammen, die Sanierungskonzepte und Sanierungsgutachten erfüllen müssen, um als Entscheidungsgrundlage für Geschäftsführer, Gesellschafter und Kapitalgeber in der Krise und bei umfassenden Restrukturierungen dienen zu können. Der IDW S 6 hat sich aufgrund der konkreten, praktikablen und verbindlichen Vorgaben als anerkannter Standard bei umfassenden Restrukturierungen und in Krisensituationen etabliert.
An der Restrukturierung von Krankenhäusern sind verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Interessen beteiligt. Damit dieser Prozess gelingt, müssen sich Geschäftsführung, Träger, Mitarbeiter:innen und Banken auf einen gemeinsamen Weg verständigen. Die Initiative für die Erstellung eines Sanierungsgutachtens geht oft von den finanzierenden Banken und der Geschäftsführung aus, wenn es darum geht, in Krisensituationen Kredite zu verlängern oder aufzustocken. Banken müssen sich aufgrund gesetzlicher Vorgaben in solchen Situationen insbesondere vergewissern, dass der Kreditnehmer auch realistische Chancen hat, Zinsen und Tilgungen zu leisten. Der Kreditnehmer, d. h. die Geschäftsführung des Krankenhauses, hat zu prüfen, wie hoch der Finanzbedarf ist und ob der damit verbundene Kapitaldienst auch mit ausreichender Belastbarkeit geleistet werden kann.
Im Sanierungsgutachten wird auf der Grundlage eines Restrukturierungskonzepts die Frage beantwortet, ob dieses Konzept mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend ist. Die Bank kann dann ihre Kreditentscheidung auf der positiven Prognose des Gutachtens treffen. Gleiches gilt aber prinzipiell auch für Träger und Geschäftsführung. Auch sie unterliegen in Krisensituationen besonderen Sorgfaltspflichten und können ihr Handeln durch ein Sanierungsgutachten absichern. Dabei geht es nicht nur um Haftungsrisiken. Restrukturierungen sind Sondersituationen mit sehr speziellen Anforderungen für alle Beteiligten. Der Prozess zur Erstellung eines Sanierungsgutachtens erfüllt in dieser Situation einen großen praktischen Nutzen, da die Beteiligten fachliche Unterstützung und eine neutrale Moderation von einem erfahrenen Team in dieser von Zeit- und Handlungsdruck geprägten Phase erhalten.
Herr Schülke, wie blicken Sie auf die Zukunft der Krankenhauslandschaft?
Schülke: Wir werden die heutige Krankenhauslandschaft so nicht erhalten können. Hierfür fehlt uns in erster Linie das notwendige Personal. Aber auch gute Argumente in puncto medizinische Qualität sind schwer zu finden, wie der Vergleich über medizinische Qualitätsindikatoren mit dem Ausland zeigt.
Wir werden in Zukunft viel mehr ambulante oder auch digitale Leistungen sehen und dafür weniger stationäre Fälle. Die Anzahl der Krankenhäuser wird zurückgehen und die Bürgerinnen und Bürger werden für komplexe Leistungen längere Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen. Diese Entwicklung wird sich positiv auf die medizinische Qualität, die Verfügbarkeit von Fachkräften und die Finanzierbarkeit des Systems auswirken. Doch es wird zusätzlich finanzielle Mittel brauchen, um die notwendige Transformation zu ermöglichen.
Hierfür wird am Ende die Politik Sorge tragen müssen, denn eine funktionierende Gesundheitsversorgung ist von existenzieller Bedeutung für unsere Gesellschaft.
Auf dem Weg dorthin wird es allerdings viel Widerstand geben, denn dieser Wandel bringt Gewinner und Verlierer hervor. Wo kleinere Krankenhäuser die stationäre Versorgung einstellen, wächst die Sorge um die medizinische Versorgung und um die flächendeckende Notfallversorgung – gerade im ländlichen Raum. Diesen Ängsten muss bspw. durch eine bessere Verzahnung der Leistungssektoren, funktionierende integrierte Zentren, eine Intensivierung der Telemedizin, digitale Nachsorge und vergleichbare Ansätze begegnet werden. Den größeren medizinischen Zentren und Maximalversorgern kommt dabei eine wichtige, koordinierende Rolle zu.
Für viele Häuser bedeutet diese Entwicklung eine große Herausforderung, da grundlegende strukturelle Veränderungen natürlich nicht zum Tagesgeschäft gehören. Und dennoch: Der Transformationsbedarf der Branche bedeutet Transformationsbedarf für jedes einzelne Krankenhaus – dem werden sich alle Akteure stellen müssen.
Die Bundesregierung hat ein Konzept zur Reform der Krankenhausversorgung von einer Expertenkommission erarbeiten lassen. Lassen sich damit die Probleme des deutschen Gesundheitswesens lösen? Kann so die prekäre Finanzlage vieler Krankenhäuser überwunden werden? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Kliniken? Im Interview erklärt Michael Burkhart, bis Juli 2023 Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland, wie er den Reformvorschlag bewertet.
Dr. André Wortmann
Partner, Restrukturierung und Sanierung, PwC Germany
Tel.: +49 40 6378-1414