07 April, 2022
Ein Interview mit Michael Burkhart und Sevilay Huesman-Koecke. Der Klimawandel bedroht die menschliche Gesundheit. Zu den Treibern der Klimakrise zählt ausgerechnet das Gesundheitswesen, das eigentlich für das Wohlergehen von Menschen sorgen soll. Sind sich die Bürger:innen dieses Faktums bewusst? Welche gesundheitlichen Folgen des Klimawandels erwarten sie? Und welchen Ausweg sehen sie aus der Krise?
Antworten auf diese Fragen gibt das „Healthcare-Barometer 2022“, für das PwC 1.000 Bürger:innen nach ihrer Einschätzung zum Thema Nachhaltigkeit befragt hat. Im Interview erklären Michael Burkhart, bis Juli 2023 Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft, und Sevilay Huesman-Koecke, bis 2022 Head of Business Development bei PwC Deutschland, wie sie die Ergebnisse bewerten.
Das Gesundheitswesen trägt mehr zum Klimawandel bei als die Schifffahrt oder der Flugverkehr. Darüber sind aber die wenigsten Bürger:innen informiert, wie Ihr „Healthcare-Barometer 2022“ zum Schwerpunkt Klimawandel gezeigt hat. Woran liegt es, dass die Deutschen das Gesundheitswesen als Klimasünder so wenig im Blick haben?
Michael Burkhart: Das Ergebnis unserer Studie hat auch mich überrascht – lediglich 13 Prozent der Deutschen wissen, dass die Gesundheitsbranche mehr Treibhausgasemissionen verursacht als die Schifffahrt oder der Flugverkehr. Weltweit trägt der Gesundheitssektor mit 4,4 Prozent zu den CO2-Emissionen bei, wie die Nichtregierungsorganisation „Health Care Without Harm“ errechnet hat.
Wäre das Gesundheitswesen ein Land, würde es als fünftgrößter Emittent von Treibhausgasen gelten.
Ich kann nur spekulieren, warum diese Fakten so wenig im Bewusstsein der Öffentlichkeit sind und andere Branchen als Klimasünder gewertet werden. Eine Rolle spielt dabei sicherlich, dass der Gesundheitssektor als sozialer Bereich zum Wohlergehen der Menschen beiträgt. Da kann nicht sein, was nicht sein darf: dass die Branche durch ihren Beitrag zum Klimawandel selbst ein Gesundheitsrisiko darstellt.
Sie tragen mit Ihrer Studie dazu bei, dass die Mitverantwortung des Gesundheitswesens für den Klimawandel stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt. Warum ist Ihnen das wichtig?
Sevilay Huesman-Koecke: Wir brauchen dringend den gesellschaftlichen Druck, damit sich in puncto Nachhaltigkeit etwas verändert. Es waren auch Initiativen wie „Fridays for Future“, die den Klimaschutz auf die Agenda der Politik gebracht haben. Als Versicherte und Verbraucher:innen können wir den Druck auf Einrichtungen des Gesundheitswesens erhöhen. Inzwischen setzen sich Krankenhäuser zum Teil für Klimaschutz ein, etwa die Initiative „KLIK green: Krankenhaus trifft Klimaschutz“, die innerhalb eines Projektes 100.000 Tonnen CO2-Äquivalente vermeiden will. Ich finde es ermutigend, dass gerade jüngere Menschen gut über Klimaschutz informiert sind, wie unsere Studie zeigt:
Knapp die Hälfte der 18- bis 34-Jährigen schätzt den CO2-Ausstoß aus dem Gesundheitssektor realistisch ein. Bei den über 55-Jährigen sind es hingegen nur 32 Prozent.
Die Klimakrise entwickelt sich zu einem gravierenden Gesundheitsrisiko – mit welchen gesundheitlichen Folgen müssen wir in den kommenden Jahrzehnten rechnen?
Huesman-Koecke: Wir müssen etwa damit rechnen, dass wir die Folgen von Hitzeperioden stärker spüren werden: durch mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen, mehr Atemwegserkrankungen, mehr Hitzetote. Die Befragten in unserer Studie schätzen das sehr gut ein: 55 Prozent halten Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch die Erwärmung für eine große Gefahr, gefolgt von Luftverschmutzung (46 Prozent) und mehr Allergien (44 Prozent). Ebenso müssen wir damit rechnen, dass es mehr Infektionskrankheiten durch belastete Ökosysteme gibt. Weltweit gesehen können wir durch Extremwetterereignisse auch von Wasser- und Nahrungsknappheit bedroht sein. Der Lancet Countdown 2021, der die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels analysiert, zeigt auf, dass gerade die Hitzebelastung einen Höchststand erreicht hat und es hunderte vorzeitige Todesfälle durch Hitze gegeben hat.
Was muss aus Ihrer Sicht für mehr Klimaschutz im deutschen Gesundheitswesen getan werden?
Burkhart: Die Gesundheitsbranche muss ihren ökologischen Fußabdruck erheblich reduzieren; das deutsche Gesundheitswesen hat mit 5,2 Prozent an CO2-Emissionen großen Anteil am Klimawandel. Gerade Krankenhäuser tragen mit ihrem hohen Energie- und Wasserverbrauch oder nicht unerhebliche Abfallmengen zur Klimakrise bei. Ersteres liegt an einer veralteten Bausubstanz, aber auch an dem Energiebedarf in der Diagnostik.
Das deutsche Gesundheitswesen ist alles andere als gut gerüstet für die Zukunftsziele.
Deshalb ist es dringend notwendig, dass die Gesundheitsbranche Anreize erhält, energie- und ressourcenschonender zu arbeiten. Ein erster Ansatz könnte eine neue Krankenhausfinanzierung sein, die keine Anreize bietet, immer mehr Fälle zu generieren.
Außerdem sind es die vielen Transportwege in der Gesundheitsbranche – verursacht auch durch eine globale Supply Chain –, die zum Ausstoß von schädlichen Treibhausgasemissionen führen. Insgesamt sehe ich in der Branche ein hohes Einsparpotenzial an Ressourcen und Energie. Dazu bedarf es allerdings einer durchdachten ESG-Strategie (Environmental Social Governance), die aktuell immer mehr Häuser in den Blick nehmen.
Lassen sich die Einsparpotenziale in Zahlen belegen?
Burkhart: Nehmen Sie nur ein großes Krankenhaus mit einem beispielhaften Jahresbudget von circa 500 Millionen Euro. Die Stiftung viamedica am Universitätsklinikum Freiburg rechnet vor, dass ein Haus dieser Größe jährlich elf Millionen Euro für Energie und Wasser zahlen muss. Ein Klinikbett verbraucht jährlich etwa so viel Energie wie vier neue Einfamilienhäuser. Durch mehr Klimaschutz wäre eine Einsparung von rund 30 Prozent und damit mehr als drei Millionen Euro durchaus realistisch.
Klimaschutz ist nicht nur dringend notwendig, sondern auch wirtschaftlich.
Bitte wagen Sie einen Ausblick: Wird dem Gesundheitswesen in den kommenden Jahren die Klimawende gelingen?
Huesman-Koecke: Die Wende muss uns gelingen, wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch erreichen möchten. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein soll. Im Gesundheitswesen ist es bis dahin noch ein langer Weg – aber einer, der sich lohnt: Wie der Lancet Countdown Jahresbericht 2021 zeigt, könnten durch die Eindämmung des Klimawandels jährlich Millionen Todesfälle verhindert werden. Menschen weltweit hätten Zugang zu sauberer Energieversorgung. Es gibt zahlreiche Initiativen, die erste Schritte in diese Richtung gehen, wie beispielsweise der „National Health Service“ (NHS) in Großbritannien demonstriert. Das Ziel des NHS ist es, der erste nationale Gesundheitsdienst der Welt zu sein, der “net zero” ist. Es ist dringend notwendig, dass diese Wende auch in Deutschland gelingt. Denn: Klimaschutz ist auch Gesundheitsschutz.
Michael Burkhart
Michael Burkhart war bis Juli 2023 Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland sowie Standortleiter Frankfurt. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung bei PwC. Seine Branchenexpertise umfasst das gesamte Gesundheitswesen – von Krankenhäusern über gesetzliche Krankenkassen, Pflegeheime, Diagnostikunternehmen, Medizinprodukte und Organisationen des öffentlichen Sektors.
Sevilay Huesman-Koecke
Sevilay Huesman-Koecke war bis 2022 Head of Business Development im Bereich Gesundheitswirtschaft bei PwC. Außerdem ist die Expertin Initiatorin des externen PwC-Frauennetzwerkes women&healthcare.
Roland M. Werner
Partner, Leiter Gesundheitswirtschaft & Pharma, PwC Germany
Tel.: +49 170 7628-557