28 Jun 2018
Von Fabian Schülke und Andre Saffran. Das Krankenhaus-Controlling steht vor der Herausforderung, aus einer heterogenen IT-Landschaft und bei stetig wachsendem Datenvolumen, schnell alle steuerungsrelevanten Kennzahlen ermitteln zu müssen. Die Lösung ist eine von zentraler Stelle koordinierte Business-Intelligence-Anwendung. Diese führt die Daten aller wesentlichen Systeme des Unternehmens zusammen und stellt rollenbezogene Auswertungen bereit und unterstützt so die Verantwortlichen bei dieser Aufgabe.
Zu überladen, nicht aussagekräftig, unvollständig – das sind häufige Klagen von Krankenhausgeschäftsführern, Chefärzten und Abteilungsleitern, wenn sie auf ihr internes Berichtswesen angesprochen werden. Dabei müssen sie in ihrem Arbeitsalltag immer öfter und schneller Entscheidungen von teils erheblicher Tragweite treffen.
Hierfür ist ein solides, passgenaues Steuerungsinstrumentarium unerlässlich. Vor dem Hintergrund der externen Qualitätssicherung und zu erwartender Pay-for-Performance-Ansätze gewinnt auch das Thema Datentransparenz an Bedeutung. Im Controlling wird noch immer zu viel Zeit für das Sammeln und Aufbereiten von Daten verwendet. Berichte fußen auf unterschiedlichen Datenquellen, werden in mühsamer Kleinstarbeit gepflegt und weisen dennoch Dateninkonsistenzen auf. Aufschlussreiche Interpretationen und Kommentare für den Berichtsempfänger oder eine gemeinsame Abstimmung der relevanten Kennzahlen kommen zu kurz. Um diese Situation zu verbessern, wird nach Lösungen ge- sucht, mit denen sich Datenvielfalt und Informationstiefe bewältigen lassen.
Die Digitalisierung ist Fluch und Segen zugleich: Nie zuvor wurden mehr Struktur- und Leistungsdaten entlang der Wertschöpfungskette elektronisch erfasst und verwaltet. Dies geschieht jedoch häufig mithilfe einer Vielzahl parallel laufender Systeme und Subsysteme. Schnittstellen sind oftmals nicht automatisiert, unidirektional oder schlichtweg nicht existent.
Viele Erkenntnisse, die sich aus der Verknüpfung der Systeme gewinnen ließen, bleiben ungenutzt. Um in puncto Heterogenität Abhilfe zu schaffen, setzen einige Kliniken möglichst viele Module ein und desselben Herstellers ein, auch wenn damit Einschränkungen in der Funktionalität verbunden sind.
Rund zwei Drittel aller deutschen Krankenhäuser verfügen mittlerweile über eine unabhängige Data-Warehouse-Lösung, mit der Daten aus unterschiedlichen Systemen zusammengeführt werden können, allerdings wird das Potenzial dieser Lösungen selten ausgeschöpft.
Hinzu kommt, dass sich auch die Anforderungen der Adressaten verändern. Das gilt nicht nur für die Berichtsinhalte, sondern auch für das Layout und die Bereitstellungsform. So werden Self Service- Datenportale gegenüber den klassischen Excel-, PDF- oder Papierdokumenten mehr und mehr bevorzugt. Aussagekräftige, interaktive Visualisierungen und effektives Data Storytelling helfen zudem, die wesentlichen Informationen in aufschlussreicher Detailtiefe zu vermitteln.
Schauen wir uns das an einem einfachen und konkreten Beispiel an: Ein robuster Erlössicherungs- oder auch Order-to-Cash-Prozess garantiert die Abrechnung aller erbrachten Leistungen, senkt Ausfallrisiken, stärkt die Liquidität und sichert damit die Innenfinanzierungskraft des Unternehmens.
Verringert beispielsweise ein Krankenhaus mit 500 Betten und Umsatzerlösen in Höhe von 80 Millionen Euro p. a. seine durchschnittliche Forderungslaufzeit (Days Sales Outstanding, DSO) von 60 Tagen auf 40 Tage – ein Ziel, das circa 25 Prozent aller deutschen Krankenhäuser ähnlicher Größe erreichen – so werden 4,4 Millionen Euro an liquiden Mitteln freigesetzt. Diese mussten bisher zinstragend durch das Krankenhaus finanziert werden.
Den Kostenträgern wurde ein kostenloser Kredit bereitgestellt. Der Prozess ist also von zentraler Bedeutung für die Wertschöpfungskette einer Klinik. Bei einem stationären Krankenhausfall reicht der Prozess von der Leistungsvereinbarung, das heißt dem Abschluss des Behandlungsvertrags bei Aufnahme, bis zum vollständigen Ausgleich der Forderung für die erbrachten Leistungen durch den jeweiligen Kostenträger (siehe Abb.).
Abb.: Von der Aufnahme bis zum Zahlungseingang
In vielen Kliniken ist es jedoch noch nicht möglich, einzelne Leistungsfälle auf dem Weg vom Krankenhausinformationssystem in das Buchhaltungssystem nahtlos zu verfolgen. Die Frage nach der Verweildauer eines Patienten ist schnell beantwortet. Aber wie viele Tage wurden benötigt, um nach der Entlassung die Dokumentation des Falles inklusive aller Befunde abzuschließen?
Nach wie vielen Tagen erfolgte die medizinische Freigabe nach Kodierung? Wie viel Zeit verstrich anschließend, bis die Rechnung dem Kostenträger zuging? Und wie lange dauerte es, bis die Zahlung vollständig geleistet wurde? Welche durchschnittlichen Laufzeiten sind zu verzeichnen? Was sind die Ursachen für Prozessverzögerungen und welche Auswirkungen haben diese? Wie viele OP-Berichte der Unfallchirurgie sind noch nicht geschrieben? Wie viele Fälle in der geriatrischen Abteilung noch nicht kodiert? Auf welche Summe belaufen sich die ausstehenden Rechnungen an die AOK? Welche Posten sind noch offen und müssen angemahnt werden? In welchen Fällen droht Verjährung?
Müssen noch Forderungen ausgebucht werden? In welcher Höhe ist in den nächsten Tagen und Wochen mit Zahlungseingängen für bereits kodierte, aber noch nicht abgerechnete Fälle zu rechnen?
Von den DRG-verantwortlichen Oberärzten über die Leiter des Medizin-Controllings und der Patientenabrechnung bis hin zur Debitorenbuchhaltung müssen alle Teilprozessverantwortlichen in die Lage versetzt werden, auf die für sie relevanten Fragen möglichst auf Knopfdruck eine Antwort zu bekommen. Nur so können sie ihre Bereiche proaktiv und gezielt steuern und ihren Teil zur übergreifenden Unternehmenssteuerung durch das Management beitragen.
Die Lösung ist eine von zentraler Stelle koordinierte Business-Intelligence-Anwendung, die Daten aller wesentlichen Systeme des Unternehmens zusammenführt und rollenbezogene Auswertungen bereitstellt. Die Nutzer – beispielsweise auf Abteilungs- und Bereichsleitungsebene – definieren zuvor ihre spezifischen Anforderungen.
Dank maßgeschneiderter Cockpits haben sie dann ihre zentralen KPIs, deren Entwicklung und eventuelle Planabweichungen systemübergreifend und multidimensional im Blick. Bei Bedarf können sie Top-Down-Analysepfade nutzen und so auf immer granularere Ebenen vordringen.
Heute ist es für Krankenhäuser technisch durchaus möglich, noch einen Schritt weiter zu gehen. Das zeigt das Beispiel der SAP Analytics Cloud (SAC), deren Funktionsfülle über eine klassische BI-Lösung hinausreicht. Sie verbindet die Bereiche Analytics, Planning, Predictive und Simulation. So lassen sich Medienbrüche vermeiden oder eine bestehende Systemlandschaft verschlanken. Die zugrundeliegende Cloud-Plattform erlaubt Unternehmen, sich von Insellösungen und Datensilos zu trennen und stattdessen eine zentrale Cloud-Applikation mit Zugriff via Internetbrowser oder Mobile Device (Smartphone und Tablet) zu nutzen.
Damit besteht die Möglichkeit, nicht nur auf SAP-eigene Datenquellen zuzugreifen, sondern auch auf externe Datenbanken und Dateien. Die Daten werden via Import Data-Connection über einen speziellen Cloud-Connector mit der Cloud-Plattform verbunden und dort gespeichert.
Abb.: SAP Analytics Cloud
In Krankenhäusern sind die Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen aufgrund der großen Menge sensibler Daten seit jeher sehr hoch. Mit einer Reihe von neuen Richtlinien haben sie sich in den vergangenen Jahren weiter verschärft, zum Beispiel mit der Pflicht zur Einführung eines Datenschutzmanagementsystems (DSMS) nach Artikel 32 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) oder eines Informationssicherheitsmanagementsystems (ISMS) nach DIN EN ISO 27001. Eine Speicherung in der Cloud ist in den meisten Fällen ausgeschlossen. Um dennoch den vollen Funktionsumfang nutzen zu können, kann über die Live-Data-Connection und einen Reverse Proxy auf interne Systeme und lokale Dateien zugegriffen werden. Die Daten verbleiben also im lokalen Netzwerk und werden weder kopiert noch übertragen.
Die Benutzeroberfläche im Internetbrowser ermöglicht dabei den Zugriff auf Dashboard-Anwendungen (sogenannte Storys) oder Self-Service-BI-Szenarien. Prototypen können in kurzer Zeit realisiert werden. Tabellen und Charts sind in der üblichen Darstellung wie auch gemäß der International-Business-Communication-Standards (IBCS)-Notation verfügbar.
Dank der International-Business-Communication-Standards (IBCS)-Notation wird die Gestaltung von Berichten standardisiert und dadurch deren Lesbarkeit und Informationsgehalt erhöht.
Die SAC ermöglicht es darüber hinaus, automatisierte Planungsprozesse – eine Komponente, die Krankenhäuser bisher wenig nutzen – unternehmensweit zu implementieren. Manuell erfasste Daten, aber auch Simulationen und Verteilfunktionen können hiermit als Basis für datengestützte Budget-, Forecast- und Analysemodelle genutzt werden. Auf der Basis von Machine Learning ermöglichen Algorithmen und statistische Methoden im Rahmen von Predictive Analytics die Vorhersage künftiger Entwicklungen. Dadurch können frühzeitig Lösungsansätze entwickelt werden, um beispielsweise den Personaleinsatz, die Materialwirtschaft und die Lagerbestände im Krankenhaus zu optimieren. Schließlich ermöglichen Kollaborationsfunktionen, dass Inhalte mit anderen Benutzern geteilt und kommentiert werden können. Benutzern können Aufgaben zugeteilt werden und Workflows werden durch Kalendereinträge und E-Mail-Benachrichtigungen unterstützt.
Für Krankenhäuser, die keine SAP-Anwendung einsetzen wollen, stehen am Markt verschiedene andere geeignete Produkte für die systemübergreifende Datenanalyse zur Verfügung.
Bei der Auswahl der passenden Lösung kommt es unter anderem auf das Datenvolumen, die Datenbasis und den gewünschten Funktionsumfang an. Als führende Anbieter in diesem Marktsegment hat das BI-Marktforschungsinstitut Gardner für 2018 unter anderem Microsoft, Tableau und Qlik identifiziert.
Business-Intelligence-Anwendungen sind grundsätzlich geeignet, um aus dem Datenuniversum eines Krankenhauses – durchaus auch gepaart mit externen Datenquellen – entscheidungsrelevante Erkenntnisse zu ziehen. Sie ermöglichen schnellere und komplexere, systemübergreifende und multidimensionale Auswertungen, die über die isolierte Betrachtung im Rahmen von Primäranwendungen hinausgehen und den Analysefunktionalitäten konventioneller Tools der Microsoft Office Suite überlegen sind. Mit der SAP Analytics Cloud stehen eine Reihe weiterer Funktionalitäten zur Verfügung.
Durch die Möglichkeit der schrittweisen Integration zusätzlicher Daten wird sich eine solide aufgestellte BI-Plattform im Zeitalter der Digitalisierung in jedem Fall bezahlt machen. OP-Roboter, Patienten-App, IoT-Medizintechnik, Onlinesprechstunden, Patienten-Tracking, 3D-Druck, künstliche Intelligenz, Augmented Reality und Predictive-Ansätze sind nur einige Technologien, die zunehmend real werden und das Datenvolumen signifikant erhöhen. Durch die frühzeitige und strategische Planung dieser Themen können Krankenhäuser ihre Datenanalysekompetenz zu einem echten Wettbewerbsvorteil ausbauen.
Fabian Schülke ist Partner im Bereich Healthcare Consulting der PwC GmbH WPG. Er verfügt über mehr als zwölf Jahre Berufs-, Führungs- und Beratungserfahrung im Krankenhaus- und Krankenversicherungsumfeld. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Beratung von Krankenhäusern, insbesondere zu den Themen Strategieentwicklung, Unternehmenssteuerung und Organisationsgestaltung.
Andre Saffran ist Senior Manager im Bereich Technology Consulting der PwC GmbH WPG. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Berufserfahrung im Bereich SAP Business Analytics und verantwortete eine Vielzahl von BI-Projekten in den unterschiedlichsten Branchen. Sein Fokus liegt auf der Konzeption und Entwicklung von Business Intelligence-Lösungen.
Roland M. Werner
Partner, Leiter Gesundheitswirtschaft & Pharma, PwC Germany
Tel.: +49 170 7628-557