22 November, 2023
96 Prozent der deutschen Reedereien bezeichnen die Erreichung von Klimazielen und Umweltauflagen als größte Hürde / 83 Prozent erwarten Beeinträchtigungen aus geopolitischen Verwerfungen / Zwei von drei Unternehmen spüren den Fachkräftemangel deutlich / Nur noch jede:r zweite Reeder:in rechnet mit Wachstum / Große Mehrheit geht von sinkenden oder stagnierenden Fracht- und Charterraten aus
Hamburg, 22. November 2023
Die Boomjahre in der maritimen Schifffahrt sind vorbei. Nach einigen Jahren mit überdurchschnittlichen Wachstumsaussichten und hohen Container- und Frachtraten dämpfen geopolitische Veränderungen und weitere Herausforderungen die Geschäftserwartungen. Als größte Schwierigkeit der kommenden Dekade sehen die Branchenvertreter:innen die Erfüllung von Umweltauflagen und Klimazielen. Ein Großteil der befragten Unternehmen erwartet maßgebliche Beeinträchtigungen der Schifffahrt durch Handelskriege und Embargos. Aber auch der Fachkräftemangel bereitet den Reedereien zunehmend Kopfzerbrechen.
Zu diesen Ergebnissen kommt die 15. Reederstudie von PwC Deutschland, für die das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen 110 Entscheider:innen aus deutschen Hochseereedereien zu ihrem Blick in die Zukunft befragt hat.
„Als wichtige Akteure im internationalen Seeverkehr stehen deutsche Reedereien aktuell vor zahlreichen Herausforderungen, die sich auf ihre Geschäftstätigkeit und ihre Perspektiven auswirken. In dem sich neu ordnenden globalen Markt müssen sie mit zunehmender Konkurrenz, Unwägbarkeiten aus geopolitischen Verwerfungen und strengeren Umweltauflagen umgehen.“
Aus Sicht des PwC-Experten ist der Umbau der Schifffahrtsbranche hin zu nachhaltigeren und umweltfreundlicheren Lösungen dringend notwendig, um sich zukunftsgerecht aufzustellen. Laut Studie bezeichnen 96 Prozent der Reedereien die Erreichung von Klimazielen und Umweltauflagen als derzeit größte Hürde.
Weiterhin skeptisch sehen die Reeder:innen die Erreichbarkeit des von der EU-Kommission ausgegebenen Ziels, die Emissionen bis 2030 um mehr als 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. Aktuell meinen 23 Prozent der Führungskräfte in den Schifffahrtsunternehmen, dass sich dieses Ziel definitiv nicht umsetzen lässt. Das ist ein Anstieg um zehn Prozentpunkte im Vergleich zu 2021.
„Dennoch − oder vielleicht gerade deswegen − hat sich in den vergangenen Jahren eine zunehmende Akzeptanz für umweltgerechte Maßnahmen entwickelt“, konstatiert André Wortmann. So hat beispielsweise der Einsatz von Smart-Shipping-Tools zugenommen. Mit dieser Technologie lassen sich etwa Route und Treibstoffverbrauch in Echtzeit nachverfolgen. In 77 Prozent der Reedereien kommen diese digitalen Werkzeuge mittlerweile zum Einsatz – ein Plus von 13 Prozentpunkten im Vergleich zu 2021.
Zudem hat sich der Anteil der Reedereien, in denen Maßnahmen zur Emissions-reduktion umgesetzt wurden, mehr als verdoppelt. Während 2021 erst jede dritte Reederei berichtete, dass sie bewusst Emissionen reduziert, tun dies heute bereits 71 Prozent. Burkhard Sommer, stellvertretender Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums bei PwC Deutschland, fasst zusammen: „Dem Thema Klimaschutz kann sich kein Unternehmen mehr entziehen. Die Reedereien verinnerlichen das immer mehr und nehmen bei der Umsetzung geeigneter Maßnahmen deutlich Fahrt auf.“
Große Verunsicherung besteht nach wie vor bei der Frage, welche alternativen Treibstoffe sich in der Branche künftig durchsetzen werden. Viele Reedereien geben an, dass sie den aktuell diskutierten alternativen Treibstoffen wie LNG oder Wasserstoff nicht zutrauen, sich langfristig als dominierende Treibstoffart durchzusetzen. Einzig Methanol scheint sich als Lösung herauszukristallisieren; 65 Prozent glauben, dass er die Langstrecken in 20 Jahren dominieren könnte.
Diese Unsicherheit mit Blick auf den Treibstoff der Zukunft hat großen Einfluss auf die Flottenplanung: So sind sieben von zehn Befragten der Auffassung, dass es viel mehr Schiffsneubestellungen geben würde, wenn klar wäre, welche Antriebstechnologie sich durchsetzen wird.
Die Reeder:innen rechnen damit, dass geopolitische Konflikte anhalten und weiter zu Beeinträchtigungen in der Branche führen werden. Gut jedes zweite Unternehmen (53 Prozent) geht davon aus, dass der Krieg in der Ukraine das Geschäft dauerhaft belastet. 85 Prozent halten zudem eine Verschiebung von Fahrtgebieten für sicher oder wahrscheinlich. Die Projektionen der Reeder:innen für die nächsten fünf bis zehn Jahre lassen die Verlagerung von Ladungsströmen ins mittlere Afrika und nach Asien erwarten. Für China rechnet die Mehrheit jedoch mit einem sinkenden Ladungsaufkommen.
Jede:r Zweite ist zudem der Meinung, dass die Rückbesinnung auf die eigene Region und lokale Märkte mehr ist als ein kurzfristiges Strohfeuer, sondern sich zu einem nachhaltigen Trend entwickelt.
„Nach den multiplen Krisen wie Corona, Krieg in Europa, Inflation und Liefer-kettenproblemen halten die Reeder:innen die weitere Aufwertung der regionalen Verkehre für ein wahrscheinliches Szenario.“
Zu den zentralen Herausforderungen der Branche gehört auch der Fachkräftemangel. 85 Prozent der Reedereien bereitet das Fehlen von Fachpersonal Kopfschmerzen. Zwei von drei Unternehmen sind bereits konkret betroffen: 58 Prozent berichten, dass ihnen in den vergangenen zwölf Monaten nicht alle benötigten Fachkräfte zur Verfügung standen, da sie diese nicht im gewünschten Umfang rekrutieren konnten und in fast jedem zehnten Unternehmen (9 Prozent) klaffen bereits erhebliche personelle Lücken. Der Fachkräftemangel betrifft vor allem höhere Ränge zur See wie Kapitän:innen und Offizier:innen; aber auch technisches Personal sowie Kauf- und Verwaltungsfachleute an Land sind schwer zu finden.
Darüber hinaus bereiten auch konjunkturelle Unsicherheiten der Branche zunehmend Sorgen. Aktuell sind die Schiffe zwar in 93 Prozent der Reedereien noch voll ausgelastet und die Erwartungen für die kurzfristige Entwicklung des weltweiten Ladungsaufkommen fallen entsprechend positiv aus. Sieben von zehn Reeder:innen vertreten allerdings die Ansicht, dass die vielen Neubestellungen für Containerschiffe in ein paar Jahren zu signifikanten Überkapazitäten führen werden.
Und auch die Wachstumsaussichten sind im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gedämpft: Nur noch eine knappe Mehrheit der Führungskräfte (56 Prozent) rechnet mit Wachstum in den kommenden zwölf Monaten. Im Vorjahr gingen noch 74 Prozent von steigenden Umsätzen aus.
„In den vergangenen beiden Jahren erlebte die Schifffahrtsbranche einen regelrechten Boom. In Folge der Pandemie explodierte die Nachfrage nach Transportkapazitäten, das Fracht- und Charterratenniveau schnellte nach oben und damit die Einnahmen der Reedereien. Mittlerweile sind die Raten wieder gesunken und haben sich für zahlreiche Schiffstypen auf ein vor-pandemisches Niveau normalisiert.“
In der Befragung gehen 96 Prozent der Entscheidungsträger davon aus, dass das hohe Einnahmeniveau der vergangenen beiden Jahre kaum zu halten sein wird. Sowohl bei Fracht (83 Prozent) als auch bei Charter (87 Prozent) rechnen die Befragten mit einem stagnierenden oder gar sinkenden Ratenniveau.
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