Darja stieg bereits mit 15, und nicht wie üblich mit 16 Jahren, zu den Erwachsenen auf. „Seit ich bei den Seniors starte, merke ich, dass ich Jüngere begeistern kann – und dass sie bereits zu mir aufschauen.“ Die Schülerin möchte ihre Strahlkraft nutzen. Eine ihrer Visionen: Nach der aktiven Laufbahn als Trainerin arbeiten, primär im Nachwuchsbereich.
„Das Zeug dazu hat sie. Sie erfüllt schon jetzt die Kriterien, um anderen ein gutes Vorbild zu sein – nicht nur aufgrund ihrer Leistungen“, bestätigt Isabell Sawade, Teamchefin des Deutschen Turnerbundes. Sie gibt ein Beispiel für Darjas vorbildliche Haltung: Als diese im September für ihre überragenden WM-Leistungen bei einem Empfang in Fellbach geehrt und anschließend im Mannschaftskreis gefeiert wurde, seilte sich der Star des Abends zwischendurch einfach mal ab, um am Olympiastützpunkt eine Einheit Physiotherapie zu absolvieren. Sawade und Darjas Vereinstrainerin Yulia Raskina – eins ihrer Vorbilder – loben dieses hohe Maß an Professionalität und Selbstachtsamkeit der Ausnahme-Gymnastin.
Vieles sei auf ihren Werdegang zurückzuführen. Darauf, dass sie als Zwölfjährige allein aus ihrer russischen Heimat nach Deutschland kam, um hier den Durchbruch in die Weltspitze zu schaffen. Wer so jung so entschlossen und mutig ist, reift früh zur Persönlichkeit.
„Wer sich nur auf sein Talent verlässt und nicht fleißig genug ist, schafft es nicht. Ehrgeiz und Wille sind wichtiger als Talent.“
Dies sei eine Botschaft an die Jüngeren, betont sie – schon ganz Mentorin. Dass sie „Selbstvertrauen daraus ziehen kann, wenn ich gut vorbereitet bin“, ist eine weitere Message an jene, die zu ihr aufschauen. Diese Formel sorgt auch für Erfolg in Job, Schule, Studium und Ausbildung. Darja ist der beste Beweis: Diese Einstellung lässt sie neben den rund 36 Stunden Training pro Woche auch die Schule meistern.
Natürlich braucht selbst eine intrinsisch hochmotivierte Ausnahmesportlerin wie sie ab und zu einen Impuls oder aufbauende Worte: „Manchmal, wenn ich mich nicht so stark fühle, muss schon mal jemand sagen: Los, komm. Du schaffst das.“ Zuspruch findet sie bei ihren Eltern: „Sie haben mir immer gesagt, dass ich ganz viel erreichen kann. Aber auch, dass ich viel investieren muss, um mich immer weiter zu verbessern.“ Sogar die Olympiateilnahme hat Darjas Mutter ihr früh prophezeit.
Und wenn sie vor dem Wettkampf doch mal hadert, helfen ihre Trainerinnen Raskina und Yulia. So z. B. bei der Vereins-WM in Tokyo 2023. Da hatte Darja gerade mal zwei Wochen Vorbereitungszeit und schon entstanden Zweifel. Ihre Trainerin Yulia erinnerte sie dann daran, dass sie vier Wochen zuvor fünfmal WM-Gold in Valencia geholt hatte. „Dein Körper vergisst doch nicht alles in so kurzer Zeit.“ Und Darja bestätigt: „Der Zuspruch wirkte. Tatsächlich hatte ich noch alles in mir, was ich brauchte.“
Das Trio aus Schmiden holte Gold mit ihr in Tokyo. Die nötige Nähe und das Gespür füreinander sind essenzielle Fähigkeiten, insbesondere aus der Trainer- und Vorgesetzten-Perspektive. Auch das gilt im Sport gleichermaßen, wie im Beruf.
Das sind wertvolle Erfahrungen, die Darja in ihrer Rolle als Vorbild und Leitfigur helfen und die sie ebenso an Nachwuchstalente weitergeben kann. Mehrmals hat sie bereits bei internationalen Workshops dem Gymnastik-Nachwuchs zur Seite gestanden. Und auch hier gilt: Vorbereitung ist alles. „Auf dieses Training muss man sich ebenso intensiv vorbereiten. Man trägt schließlich Verantwortung für die jungen Leute und sollte es ganz besonders gut machen.“
Sich an Vorbildern zu orientieren ist eine Sache. Selbst Vorbild zu sein eine andere. Dafür braucht man möglichst viele von Darjas Skills: Akribie, Sorgfalt, Fleiß, Zielfokussierung, Nervenstärke, Selbstvertrauen. Das Bewusstsein für diese Führungsqualitäten ist elementar. An der Gymnastikmatte – und im Office. Daran sollten Vorgesetzte mit Vorbildfunktion im Sinne eines leistungsfördernden Arbeitsklimas stets denken.