25 Oktober, 2018
Dr. Michael Kramer und Jari Sengera. Das Fernsehen bleibt das Medium mit den am Abstand höchsten Reichweiten – trotz gewisser Verluste in den vergangenen Jahren. Im Jahr 2017 lag die durchschnittliche Verweildauer bei 332 Minuten. Damit genießt das Fernsehen nach wie vor sehr hohe Attraktivität und die Relevanz von Videoinhalten ist ungebrochen. Eine Breitenwirkung für Werbetreibende ist dementsprechend nur mit dem linearen TV möglich, denn kein anderes Medium kann so schnell eine so hohe Reichweite aufbauen.
Davon sind auch Alexander Glatz und Matthias Dang von der Mediengruppe RTL überzeugt: „Die Relevanz von TV-Werbung ist ungebrochen. Während TV auch im Jahr 2018 die Massen erreicht, und zwar über alle Genres und Zielgruppen hinweg, erreichen Onlinevideotheken in der Regel tendenziell jüngere Zielgruppen.“
Die wachsende Flexibilität und Personalisierung im Medienkonsum gewinnt zunehmend an Bedeutung. Besonders bei jungen Erwachsenen erfreuen sich Video-on-Demand (VoD)-Angebote steigender Beliebtheit. Der entscheidende Vorteil: Hier können die Zuschauer selbst entscheiden, wann und wo sie die Medieninhalte konsumieren wollen.
In der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen lag der durchschnittliche Nutzungsanteil von VoD im Jahr 2017 mit 44 Prozent erstmals über dem des klassischen Fernsehens (38 Prozent). Bei den älteren Zielgruppen dominiert nach wie vor das lineare Fernsehen.
„Eine isolierte Betrachtung von linearem und nicht linearem Fernsehen ist allerdings wenig zielführend“, findet Matthias Dang von IP und spricht lieber von „Total Video“.
Hier positionieren sich die großen Medienunternehmen zunehmend und bieten umfassende Onlinelösungen wie beispielsweise die ProSiebenSat.1 Group mit ihrer Plattform 7TV oder die Mediengruppe RTL mit TV NOW. Zuschauer können hier frei entscheiden, wann und wo sie die entsprechenden Inhalte konsumieren möchte. Dieser Trend wird in den künftigen Jahren sicherlich noch an Bedeutung gewinnen.
Das Fernsehen ist im vergangenen Jahr unangefochten eines der Leitmedien für den Werbemarkt und macht circa 26 Prozent des gesamten Werbemarktes in Deutschland aus. Die Wachstumsraten im Onlinebereich sind jedoch wesentlich höher als im klassischen Fernsehgeschäft: Während die (Brutto-)Werbeerlöse im Online-TV 2017 im zweistelligen Bereich zulegten, blieb das Wachstum im linearen Fernsehen deutlich darunter. In diesem Kontext kämpft das lineare Fernsehen auch mit Problemen bei der Quotenmessung durch die zunehmende Fragmentierung des TV-Marktes. So kritisiert die Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) die Reichweitenmessung durch die AGF Videoforschung. Probleme bei der Datenerhebung zur Reichweitenmessung, aber auch ein fehlendes einheitliches Konzept zur Messung von Onlinevideo-Reichweiten sind wesentliche Teile eines Forderungskatalogs, der im Rahmen der Screenforce Days im Juni dieses Jahres in Köln vorgestellt wurde.
Künftig wird es darum gehen, Messmöglichkeiten für die Reichweite von Fernsehwerbung, die sowohl klassisches lineares Fernsehen als auch Onlinevideos einschließt, an die Marktentwicklungen anzupassen, um die Werbewirkung auch in diesem dynamischen Marktumfeld zu erhalten bzw. weiter zu stärken.
Dies verdeutlicht sich am Beispiel der Adidas AG, die 2017 als einer der ersten großen Markenanbieter mit dem Schritt, komplett aus der TV-Werbung auszusteigen, für Aufsehen sorgte. Nur ein Jahr später, vor allem vor und während der FIFA-Fußball-WM in Russland im vergangenen Sommer, liefen dann aber doch wieder Spots von Adidas über die deutschen Bildschirme. Dies zeigt, dass der lineare Fernsehmarkt unersetzlich ist, aber auch, dass die Marktteilnehmer unsicher sind und der gesamte Werbemarkt vor enormen Herausforderungen steht.
Neben der Quotenmessung nimmt auch die Unsicherheit hinsichtlich der Größe des gesamten deutschen Werbemarktes zu. Im Zeitalter von Google, Amazon, Facebook und Apple, die den Onlinewerbemarkt dominieren, stoßen klassische Erhebungsmethoden an ihre Grenzen, da diese Plattformen regelmäßig weder Umsätze noch Kunden an Marktforschungsunternehmen melden. So zeigten die einschlägigen Statistiken der Marktforschungsunternehmen für das erste Halbjahr 2017 beispielsweise einen erheblichen Rückgang bei den Werbeausgaben von Ferrero und Procter & Gamble. Die Unternehmen wiesen diese Statistiken jedoch zurück, indem sie verdeutlichten, dass es sich vor allem um Budgetverschiebungen zwischen den Werbekanälen handelte. Die erhöhten Ausgaben im Onlinewerbemarkt werden von den klassischen Marktforschern jedoch nicht adäquat erfasst, da diese nur eingeschränkt in der Lage sind, die Realität des Werbemarktes mit den vorhandenen Erhebungsmethoden in ihren Statistiken abzubilden. Guido Modenbach, Geschäftsführer SevenOne Media, sieht dieses Problem ebenfalls und betont, dass „Teile des Marketings systematisch nicht erfasst werden, beispielsweise Spots im Livestream auf mobilen Endgeräten“.
Angesichts dessen wird es für Medienunternehmen immer schwieriger, präzise Vorhersagen über ihre zukünftige Entwicklung zu treffen. So sieht es auch Gerd Neumüller, Director Research bei SevenOne Media: „Die Prognosekorridore sind größer geworden.“ Dies bedeutet für Werbetreibenden eine zunehmende Verunsicherung über die Wirkung von Fernsehwerbung. Eine Verbesserung der Messmethoden muss daher Priorität haben, um die Transparenz im Markt wiederherzustellen bzw. zu erhöhen. So kann sichergestellt werden, dass Aussagen sowohl über die Größe des Marktes als auch über die Reichweite von Fernsehwerbung weiterhin verlässlich getroffen werden können. Neben einer Verbesserung der Messmethoden könnten Sender auch über eine Zertifizierung bzw. unabhängige Prüfung der Reichweitendaten nachdenken.
Aktuell befasst sich die Fernsehindustrie mit der Flexibilisierung des Angebots. Hier wird vor allem das Thema Hybrid Broadcast Broadband TV (HbbTV) diskutiert, da es dieser offene, internationale Standard ermöglichen soll, Fernsehen und Internet miteinander zu verschmelzen, sodass auch neue Werbemöglichkeiten für Werbetreibende geschaffen werden.
Als Pionier hat ProSiebenSat.1 bereits im Jahr 2015 als erstes deutsches Medienunternehmen „Addressable TV“ eingeführt. Bei diesem können Werbefenster nach Zielgruppen und Standorten ausgesteuert werden; dadurch lässt sich die Effizienz der ausgestrahlten Werbung erheblich verbessern.
Zudem drängen immer mehr ausschließlich auf Onlinevideo spezialisierte Anbieter wie Netflix in den ohnehin umkämpften Markt für Bewegtbild. Doch auch hier positionieren sich die Medienunternehmen bereits entsprechend: Einerseits setzen sie wie bereits oben angeführt auf eigene Onlineangebote, andererseits wollen sie aber auch Spartensender und Eigenproduktionen als Differenzierungsmöglichkeit verstärkt ausloten.
Die ProSiebenSat.1 Group spricht beispielsweise mit Sat.1 Gold ältere Frauen an, mit Pro Sieben MAXX zielt sie auf Männer im mittleren Alter und K1 Doku richtet sich vor allem an ältere Männer. Auch die Mediengruppe RTL positioniert sich entsprechend: RTL Nitro fokussiert sich auf junge und mittelalte Männer und RTL Plus auf Frauen im mittleren Alter. Ziel der Spartensender ist es, einzelne Zielgruppen separat anzusprechen. Damit eröffnet sich auch für die Werbetreibenden die Möglichkeit, einzelne Zielgruppen gezielt anzusprechen.
Zur Strategie der Differenzierung zählt auch die Investition in eigenen Content.
„Eigenproduktionen sind eine gute Chance, um uns zu differenzieren. Deutscher Content ist erfolgreich und macht uns unabhängiger von US-Studios.“
Den aktuellen Herausforderungen im TV-Markt zum Trotz: Fernsehen und Onlinevideotheken sind die Unterhaltungsweltmeister. Das lineare Fernsehen hat noch immer die höchste Reichweite und schafft damit, was kein anderes Medium kann: eine breite Masse anzusprechen. Dies ist auch für Werbetreibende von enormer Bedeutung, denn kein anderes Medium kann so schnell eine so hohe Reichweite aufbauen. „Bei Produktwerbung ist eine breite Streuung gut, um vor allem die Nichtkunden zu erreichen; eine zu starke Zielgruppenansprache bringt schließlich keine Neukunden“, hebt auch Guido Modenbach hervor. Die genannten Herausforderungen werden den Fernsehmarkt in den kommenden Jahren zwar mit Sicherheit weiter bewegen und Veränderungen herbeiführen, nichtsdestotrotz wird das lineare Fernsehen voraussichtlich auch in Zukunft eine hohe Bedeutung haben und damit auch die Werbewirkung dieses Mediums.
Werner Ballhaus
Global Entertainment & Media Sector Leader und Leiter Technologie, Medien, Telekommunikation, PwC Germany
Tel.: +49 211 981-5848