25 Oktober, 2018
Herr Wirsing, wie schätzen Sie Deutschland als Standort für die Games-Entwicklung ein?
Deutschland ist ein riesiger Markt mit starker Wirtschaft und starker Kaufkraft, dennoch liegt der Marktanteil deutscher Games-Produktionen unter 6 Prozent – Tendenz fallend. Studios mit 300 Mitarbeitern zählen daher schon zu den ganz großen Entwicklern in Deutschland. Das sieht in anderen Märkten gänzlich anders aus.
Deutschland als Standort bietet grundsätzlich eine große Breite an Talenten und Qualifikationen sowie Produktschmieden mit einem hohen Anspruch an Technik und Spielspaß. Oft fehlt deutschen Entwicklern an einigen Stellen aber die internationale Ausrichtung und Vernetzung – auch untereinander in Deutschland. Bei Ubisoft als auch im game – Verband der deutschen Games-Branche, dessen Vorstandsvorsitzender ich bin, setzen wir uns natürlich stark dafür ein, diese Vernetzung zu stärken. Eine schwierige Hürde ist es vor allem, AAA-erfahrene [1] Produktmanager und Projektmanager in Deutschland zu finden, denn die zur Umsetzung notwendigen Talente und begeisterte Programmierer gibt es schon. Ein Ansatz wäre hier eine Art internationales Coaching, um mehr Erfahrung gerade im AAA-Bereich aufzubauen. Es braucht dann noch einen gewissen Grad an Professionalisierung und Talenterkennung. Zudem ist für eine erfolgreiche Produktentwicklung auch ein langer Atem erforderlich und der Wille, es immer und immer wieder zu probieren und das Spiel zu optimieren.
[1] AAA-Videospiele sind Blockbuster-Großproduktionen mit hohen Budgets und internationaler Strahlkraft.
Wird die Entwicklung von Games in Deutschland Ihrer Meinung nach ausreichend gefördert?
Nicht nur bei Ubisoft, sondern auch beim game fordern wir die Einführung einer Games-Förderung auf Bundesebene. Nur mit einer solchen Förderung, wie sie in vielen Ländern längst etabliert ist, können wir die aktuell bestehenden Wettbewerbsnachteile gegenüber Frankreich, Großbritannien und Kanada ausgleichen. Derzeit bestehen in Deutschland Games-Förderungen ausschließlich auf Landesebene. Diese sind abhängig von der individuellen Ausrichtung der jeweiligen Förderanstalten im Land, auch Videospielproduktionen weiter voranzutreiben. Die europäische Förderung ist leider noch immer hochbürokratisch, die Regularien sind für kleinere deutsche Produzenten deutlich zu hoch. Was fehlt, ist eine Förderung auf Bundesebene in Höhe von 50 Millionen Euro jährlich für kleine, mittlere, aber auch große Projekte. Als game haben wir mit dem Deutschen Games-Fonds ein entsprechendes Modell vorgestellt. Auf der diesjährigen gamescom wurde der Start der Entwicklungsförderung seitens der Politik kurzfristig in Aussicht gestellt.
Die Einstellung der Politik zu unserer Branche hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt, wir erfahren viel mehr positive Rückmeldungen und Unterstützung. Wir engagieren uns stark dafür, dass sich diese geänderte Einstellung auch in besseren Förderstrukturen, in der Vereinfachung der Förderprozesse und der Unterstützung im bürokratischen „Förderdschungel“ niederschlägt, da nur so die geplanten Mittel auch wirklich bei den Entwicklern und Publishern ankommen.
„Die Einstellung der Politik zu unserer Branche hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt, wir erfahren viel mehr positive Rückmeldungen und Unterstützung.“
Zuletzt hatte sich ein Trend zum Free-to-Play-Modell abgezeichnet; Ubisoft ist hier jedoch erstmals ausgestiegen. Wie beurteilen Sie die Bezahl-/Spielmodell-Entwicklung und welche Bezahlmethode wird sich langfristig am Markt durchsetzen und warum?
Es ist langfristig schwer zu sagen, welche Bezahlmethode sich durchsetzen wird, da in der Branche immer neue Trends aufkommen. Aktuell ist – auch auf Konsolen – Free-to-Play wie beispielsweise bei Fortnite erfolgreich. Das basiert auch auf der Öffnung der First Parties [2] für dieses Modell. Solche Trends sind aber immer mit Vorsicht zu genießen und lassen sich nicht per se auf alle Spielformen und Märkte übertragen. Zudem ist Gaming ein zyklisches Geschäft und es besteht immer das Problem von zu vielen Nachahmern und einer Übersättigung des Marktes. Für die Kalkulation von Spieleentwicklungskosten ist selbstverständlich das Free-to-Play-Modell deutlich schwerer auszurechnen, dafür lebt es aber im Positiven von der Reichweitensteigerung und von möglicher Skalierung. Auch Vollpreistitel werden weiterhin eine Zukunft haben. Sie müssen aber einen Mehrwert für das vorab bezahlte Geld bieten. Am Ende bin ich überzeugt davon, dass sich Qualität durchsetzen wird, auch wenn sich die Vielfalt an Vermarktungsmodellen in der Tat erhöht hat.
Ubisoft setzt weiterhin darauf, dass auch klassische Modelle mit Verpackung oder der Download digitaler Spiele in den nächsten Jahren ihre Berechtigung haben. Zudem setzen wir bei aktuellen Titeln wie Tom Clancy’s Rainbow Six Siege, For Honor oder The Crew 2 auf das Modell „Games as a Service“. Ein bestehendes Game wird durch neue Inhalte und stetige Community-Events im Wert gesteigert und inhaltlich verbessert.
[2] First Parties sind Videospiele-Unternehmen mit eigener am Markt etablierter Konsolenhardware.
Was ist Ihre Einschätzung in Bezug auf Virtual Reality (VR)? Sehen Sie VR zukünftig als Nischenprodukt im Games-Bereich oder auch vermehrt als Anwendung in anderen Lebensbereichen wie Sport, Tourismus, Bildung oder Immobilien in den nächsten zwei bis drei Jahren?
Ich persönlich und auch Ubisoft sehen das Thema VR als einen Markt mit sehr großem Wachstumspotenzial. Wesentliche Herausforderungen bestehen noch in der Verbreitung der Geräte, der Komplexität in der Produktion und den Kosten der Geräte und der zugehörigen Systeme. Man muss sagen, dass sich die hohen Erwartungen noch nicht erfüllt haben und der Markt nicht so schnell gewachsen ist, wie man erhofft hatte. Auch stellen VR-Games andere Anforderungen an die Spieleentwicklung, da sich der Stresslevel des Spielers in VR von klassischen Spielen unterscheidet.
Aktuell ist die Risikobereitschaft bei Hard- und Softwareanbietern noch nicht groß genug und einen richtigen Must-Have-Titel, der die Hardwareverkäufe antreibt, gibt es so noch nicht. Letztendlich ist auch die menschliche Aufnahmefähigkeit begrenzt. Es besteht also ein kleines „Henne-Ei-Problem“, wenn man so will, das heißt, wer treibt die Entwicklung mit der größten Intensität voran?
Ubisoft sieht VR aber definitiv nicht nur im Spieleinsatzbereich. Eine unserer Schwesterfirmen forscht und berät bereits im Umfeld des Einsatzes von VR im Business. Es existiert ja bestehendes Know-how in der Videospielbranche zum Umgang mit räumlicher Tiefe (in-game im Gegensatz zur Raumgröße in der realen Welt), VR-Interaktionsmöglichkeiten, der spielerischen Anreizsetzung und bereits realisierten Projekten wie zum Beispiel VR als Escape Game. Diese Erfahrungswerte in die Industrie zu übertragen, zunächst etwa im Sinne von Serious Games, bietet großes Potenzial. Dafür muss Gamification als Begriff aber auch noch positiver besetzt werden. Hier engagieren wir uns natürlich auch als game-Verband.
Wann wird es zum Durchbruch der VR-/AR-Technologie kommen? Wird dies gegebenenfalls durch die Video- und Computerspieleindustrie geschehen, indem Konsumenten vermehrt VR-Hardware für Spiele kaufen und zusätzlich diese dann auch für andere Bereiche benutzen?
Den Auslöser und Haupttreiber für den Durchbruch sehe ich schon noch in der Hardwareentwicklung. Die nächsten Generationen an Hardware werden eine Anpassung beim Preis, aber auch bei der Haptik und der Vernetzung mit sich bringen und so die breite Installationsbasis im Markt ermöglichen. Ein intuitiver, flächendeckender Einsatz des Systems im Sinne von High-End versus Breite und ein frühzeitiges Einbinden von Content-Entwicklern sind hier entscheidend.
Über die Maße erfolgreiche Spiele wie AR Pokémon Go oder auch der Hype um klassische Spiele wie Fortnite lassen sich nicht planen. Das sind Ausnahmen. Nur zu einem gewissen Grad können Modefaktoren, kreative und professionelle Ideen im Marketing oder Vertrieb eingeplant werden, um einen solchen Erfolg zu stützen. Es werden aber ganz sicher auch hier weitere, sehr erfolgreiche Spiele kommen, die ein gutes Verständnis des Zielmarkts mit einer international bekannten Marke und neuen Technologien verknüpfen können. Ein realistisches Szenario für einen Durchbruch sollte mit den neuen Hardwaregenerationen also typischerweise in zwei bis fünf Jahren einhergehen.
Der E-Sport-Markt in Deutschland ist im Vergleich zu den USA, Südkorea oder China noch klein, das Potenzial aufgrund der vielen Spieler jedoch enorm. Was ist Ihre Vision von E-Sport in Deutschland?
E-Sport ist natürlich auch eine Erweiterung der Zielgruppe von Games. Die bekannte Gruppe der Gamer wird im Wesentlichen um die Gruppe der Zuschauer und Fans erweitert. Wir erleben das beispielsweise mit unserem aktuellen Hauptprodukt für den E-Sport-Markt: Tom Clancy’s Rainbow Six Siege.
Ein wesentlicher Treiber insgesamt ist ja der Kampf um die Legitimierung des Sports der Gamer. Wenn hier eine gemeinschaftliche Basis erreicht würde, durch die Anerkennung des E-Sports als Sport, könnte dies eine Revolution für die gesamte Spieleindustrie bedeuten.
Ich sehe hier viele gemeinsame Interessen und Synergien mit Vereinen aus dem klassischen Sport. Diese haben vor allem Herausforderungen in der Gewinnung des Nachwuchses und E-Sport kann hier die Lücke schließen. Sport hat auch den Auftrag, gesellschaftlich zu sein und Menschen zusammenzubringen. Immer mehr rückt das Thema Fitness, sowohl physische als auch geistige, in den Vordergrund. Wenn man es schafft, E-Sport aus der Nische zu holen und attraktiver für die Breite zu machen, ist das eine gigantische Win-Win-Situation, in der alles zusammenkommt: Verknüpfung mit dem Vereinsleben, Erschließen und Begeistern neuer Zielgruppen in beide Richtungen, Gewinn von Attraktivität sowie ein Miteinander in Vereinen und die Schaffung von Interesse für die Vielfalt von Sportarten. Hiermit ließe sich dann die riesige, bestehende Vereinsinfrastruktur in Deutschland aktivieren, denn die Begeisterung für E-Sport selbst und die Anzahl an Spielern sind ja bereits sehr groß.
E-Sport hat insbesondere auch einen ganz großen Eventfaktor – welche bestehende Sportart schafft es noch, eine junge, diverse und stark internationale Zielgruppe für gemeinsame Events zu begeistern? Die Teams und ihre Spieler sind „greifbar“ und es lässt sich eine hohe Emotionalität aufbauen. Auf dieser Grundlage bietet sich hier meiner Meinung nach die Möglichkeit, kleinere, lokale Events sehr gut zu realisieren. Stark sind heutzutage diejenigen Vereine, die es schaffen, ihren Mitgliedern Attraktivität und Perspektiven zu bieten, sich auszutauschen und zu vernetzen. Das lässt sich noch viel weiter ausbauen und hebeln, indem man im E-Sport-Umfeld zum Beispiel eigene Stars und Events aufbaut.
Zu begrüßen ist die Entwicklung, dass mittlerweile jeder dritte Fußball-Bundesligaverein ein eigenes E-Sport-Team unterhält. Der Fokus liegt hier aber klar auf der FIFA-Spielserie, in den meisten Fällen fehlt es am Transfer auf andere (e-)Sportarten und Titel. Dies liegt sicher am noch teilweise fehlenden Verständnis für Spiele außerhalb der klassischen Sportgenres. Langsam setzt sich aber hier die Erkenntnis durch, dass es sich bei allen E-Sport-Titeln viel mehr um die richtige Strategie, koordiniertes Teamplay, gutes Timing und die passende Ausrüstung dreht.
Professionelle E-Sport-Teams in Deutschland unterliegen – nicht nur durch den Einstieg der Fußball-Bundesligisten – einem strukturellen Wandel. Einige von ihnen sind beispielsweise in internationalen Organisationen aufgegangen.
Dennoch bietet der deutsche Markt mit vielen Talenten, einer hohen E-Sport-Begeisterung und dem weltweit größten Veranstalter mit der ESL enormes Potenzial und Know-how. Daher sehe ich die Zukunft für erfolgreiche deutsche Vereine oder Teams positiv.
Können Sie sich denn eine Verbreitung an Schulen (E-Sport als Unterrichtsfach) vorstellen, ähnlich wie es in Schweden der Fall ist?
Das Problem hierbei sehe ich vielmehr in der Digitalisierung der Schulen. E-Sport als Unterrichtsfach ist ja nur möglich, wenn die digitale Infrastruktur an den Schulen die Arbeit mit Hardware, Equipment und Internetverbindung in einer Form zulässt, dass man sich überhaupt mit dem Thema auseinandersetzen kann. Diese Grundvoraussetzung ist in Deutschland aktuell flächendeckend schlicht nicht gegeben.
Wie sieht die Zukunft für einen E-Sport-Weltverband aus?
E-Sport wird weiter wachsen, aktuell auch ohne Olympia. Trotzdem wäre die Vorstellung sehr charmant und eine Win-Win-Situation, wenn die Strukturen, die gegenseitige Unterstützung und die gesellschaftliche Breite durch eine Anerkennung als Sport und die Einbindung in Olympia gelingen würden. Die Gründung des nationalen E-Sports-Verbands ESBD war hierzu ein wichtiger Schritt. Hier bewegt sich viel, allerdings müssen sich einige Strukturen in diesem Bereich noch finden.
Spezifische Charakteristika des Marktes sind allerdings das Ringen zwischen Entwicklern, Publishern, Betreibern und Turnierveranstaltern um Trade-offs und finanzielle Aspekte. Der elektronische Sport ist eben kein analoges, statisches „Gemeingut“ wie der Fußball. Unabhängig davon helfen gemeinsame Plattformen, Organisationen und Ambitionen dem E-Sport, weiter zu wachsen.
Wir danken Herrn Wirsing für das interessante und informative Gespräch!
Ralf Wirsing ist Managing Director bei Ubisoft Deutschland und Vorstandsvorsitzender des game-Verbands.