25 Oktober, 2018
Künstliche Intelligenz (KI) erlebt aktuell einen regelrechten Boom. Auch wenn die Ursprünge des KI-Begriffs bis in die 1950er-Jahre zurückreichen, steht das Konzept erst heute vor dem Durchbruch. Denn erst seit wenigen Jahren sind die Voraussetzungen dafür erfüllt: Erstens stehen in der Ära des Datensammelns die für KI benötigten großen Datenmengen problemlos zur Verfügung. Zweitens ist heute die nötige Rechenpower vorhanden; nicht nur die Prozessoren werden immer schneller und günstiger, auch bei den Komponenten hat sich einiges getan.
Die Hardwareindustrie entwickelt mittlerweile auf die KI-Herausforderungen abgestimmte Bauteile, die parallelisiert arbeiten und sich daher gut zum Lösen von KI-Aufgaben eignen. Und drittens sind die Algorithmen für künstliche Intelligenz mittlerweile sehr ausgereift und können dank entsprechender Datenmengen und Rechenkapazitäten auch in der Praxis getestet werden.
Die PwC-Studie „Auswirkungen der Nutzung von künstlicher Intelligenz in Deutschland“ kommt zu dem Ergebnis, dass das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland bis zum Jahr 2030 allein durch KI um rund 11 Prozent zulegen wird. Nahezu jede Branche tüftelt mittlerweile an KI-basierten Ansätzen, insbesondere auch die Medienindustrie. Denn grundsätzlich bietet KI immer dort gute Einsatzmöglichkeiten, wo große Mengen an Informationen verarbeitet werden. Der entscheidende Vorteil von künstlicher Intelligenz im Vergleich zu menschlicher Intelligenz ist die Möglichkeit zur Automatisierung: KI kann innerhalb weniger Sekunden Datenmengen durchforsten und dabei beispielsweise Millionen von Personen erkennen, wofür ein Mensch Jahrzehnte brauchen würde.
Die Medienbranche hat die Chancen Künstlicher Intelligenz längst erkannt und setzt KI beispielsweise bereits zum automatisierten Verfassen von Artikeln, dem Aufspüren von Fake News, zum Erkennen von Videostreams sowie bei der Individualsierung von Inhalten ein.
Medienhäuser stehen vor der Aufgabe, Inhalte in immer kürzeren Intervallen zu verfassen und zu publizieren. Um sich im Wettbewerb zu behaupten, müssen sie ihre Nachrichten schnellstmöglich auf ihre Onlineportale bringen. Dabei leisten automatisierte Verfahren einen wichtigen Beitrag. Autonome Programme durchforsten das Internet nach neuen Informationen und extrahieren Schlagwörter, sobald sie etwas Interessantes finden. Auf der Basis vorgefertigter Textbausteine tragen die Programme automatisiert Stichpunkte zusammen und übermitteln diese an einen Autor. Manche Programme erstellen bereits eigenständig Fließtexte, die sich kaum noch von Texten menschlicher Autoren unterscheiden. Die Inhalte erscheinen online, sobald ein Texter diese geprüft hat. Zum Teil werden Artikel bereits ohne menschliche Überprüfung veröffentlicht.
KI-Verfahren eignen sich zudem hervorragend, um die Qualität und Plausibilität von Inhalten zu bewerten. Entdecken die Programme beim Durchforsten (Crawling) des Internets spannende Neuigkeiten, können sie diese auf der Basis ihrer Wissensgrundlage bewerten. Sie untersuchen etwa die Quelle der Nachricht: Ist diese bekannt und renommiert? Sie analysieren, ob andere Medienhäuser ein ähnliches Thema bereits veröffentlicht haben oder ob seriöse Quellen auf die Inhalte verweisen. Zudem bewerten die Programme, ob eine Neuigkeit gravierend ist oder es sich eher um eine nebensächliche Nachricht handelt.
Hierfür kommen autonome, KI-basierte Bewertungssysteme zum Zuge. Diese führen eine Textanalyse durch, erkennen Schlagwörter und nehmen eine Einschätzung vor. KI-Verfahren sind mittlerweile auch in der Lage, die Stimmung eines Artikels zu erkennen. Eine sogenannte Sentiment Analysis gibt Aufschluss darüber, ob der Text eine traurige, ernste oder lustige Grundstimmung transportiert. Solche Bewertungsverfahren basieren häufig auf dem Prinzip des überwachten oder unüberwachten Lernens – und werden mit der Zeit immer besser und genauer. Beim überwachten Lernen kontrolliert ein Mensch in regelmäßigen Abständen, ob das Netz die richtige Antwort gibt. Wenn die KI-Instanz bei der Bewertung unschlüssig ist, besteht die Möglichkeit, automatisiert einen menschlichen Experten zu kontaktieren (Human-in-the-Loop) und um eine Einschätzung zu bitten. Beim nicht überwachten Lernen fehlt diese menschliche Instanz – das System lernt für sich selbst.
Der Einsatz von KI erfolgt mittlerweile nicht nur im Textbereich, sondern gezielt auch im Bewegtbildbereich. KI-Systemen gelingt es, die Videopräferenzen der Nutzer automatisch zu erkennen. Dabei entschlüsseln die Systeme nicht nur das Genre, sondern stellen auch detaillierte Informationen bereit. Die Grundlage dafür bildet die Analyse häufig abgespielter Szenen. So können die Anbieter von Videoinhalten ihren Nutzern automatisierte Vorschläge für Videocontent unterbreiten, der exakt auf die individuellen Präferenzen zugeschnitten ist. Technisch basiert das Verfahren meist auf einer semantischen Videoanalyse.
Für die Medienhäuser, die ihren Videocontent häufig selbst produzieren, ist ein solches Konzept ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Es wird zum Beispiel möglich anstatt von umfangreichen Filmen lediglich Videoschnipsel zu produzieren und diese dann dynamisch zu unterschiedlichen Gesamtfilmen zusammenfügen. Die Produktion zielt damit exakt auf die Wünsche und Vorstellungen der Nutzer ab. Das verbessert die User Experience, gleichzeitig wird aber auch ein breiteres Publikum bedient - und das bei fast gleichbleibenden Kosten. Dieses völlig neue Filmkonzept hat weitreichende Auswirkungen auf die Film- und Medienbranche. Allerdings müssen sich die Inhaltproduzenten über das damit verbundene Missbrauchspotenzial im Klaren sein – und verantwortungsvoll damit umgehen. Nicht alle Kunden wären erfreut eine unzensierte und öffentlich zugängliche Liste Ihrer Filmpräferenzen im Internet zu finden. Detailliertes Wissen über Filmpräferenzen können darüber hinaus Einblick in die individuelle Psychologie jedes einzelnen geben und Manipulation durch subtile und maßgeschneiderte Impulse Tür und Tor öffnen – dies klingt vielleicht utopisch doch die jüngste Berichterstattung im Falle der Manipulation der US Wahlen durch Einblenden maßgeschneiderter Artikel in Social Media Accounts, spricht hier für sich.
Medienhäuser setzen also vielfach auf KI, um die Präferenzen ihrer Kunden automatisch zu erkennen. Dabei zeichnen sie das Verhalten der Leser auf, zum Beispiel welche Artikel die Kunden lesen, wie lange sie auf einer Seite verweilen oder welche Links sie anklicken. Dadurch erhalten die Unternehmen aufschlussreiche Einblicke in die Interessen ihrer Nutzer. Sie erfahren, welche Rubriken die Zielgruppe gern konsumiert, ob sie Bilder oder Texte bevorzugt oder wie die Kunden beim Lesen vorgehen. Mit einem neuronalen Netz, das trainiert wird, wie das menschliche Gehirn zu denken, können die Contentproduzenten die Vorlieben der Nutzer exakt nachzeichnen. Auf Grundlage dieses Wissens besteht die Möglichkeit, die Inhalte zu personalisieren. Aber auch hier gilt: Das Missbrauchsrisiko ist hoch. Der Einsatz der KI-Technologie sollte also entsprechend durchdacht und gewissenhaft erfolgen.
Bei der Umsetzung von KI-Ansätzen kommt es vor allem darauf an, das Thema ganzheitlich und strategisch anzugehen. Insellösungen generieren in der Regel nur geringen Mehrwert. Wie hoch die Synergieeffekte sind, wenn Medienhäuser das Thema übergreifend bearbeiten, lässt sich an den engen Verflechtungen der vier oben genannten Anwendungsbereiche ablesen. Diese Beispiele stützen sich auf ähnliche Konzepte oder basieren auf identischen Daten. Individuelle Lösungen entfalten logischerweise nicht die gleiche Wirkung. Auch internationale Vorreiter wie Amazon setzen auf ganzheitliche Konzepte und profitieren schon längst von entsprechenden Synergieeffekten.